
Um das russische Militär zu stoppen, sabotieren einige Belarussen die Bahnstrecken in ihrem Land.
(Foto: imago images/ITAR-TASS)
Russland nutzt das Territorium seines Nachbarlands Belarus für Angriffe auf die Ukraine. Auch ein Großteil der russischen Militärtransporte läuft über das Land. Nicht alle Belarussen schauen tatenlos zu.
Seit Beginn der russischen Invasion in die Ukraine häufen sich Berichte über Sabotageakte gegen die Eisenbahn in Belarus. Einzelne Personen und Gruppen haben sich zum Ziel gesetzt, den Schienenverkehr aus ihrem Land in die Ukraine lahmzulegen, um den Transport russischer Militärtechnik ins Kriegsgebiet zu stören. Wie erfolgreich die Saboteure sind, lässt sich nicht unabhängig überprüfen. Doch es gibt Hinweise darauf, dass die "Schienenpartisanen", wie sie von den Medien genannt werden, bereits bedeutende Erfolge verbuchen konnten.
So erklärte der Chef der ukrainischen Eisenbahn, Alexander Kamyshin, bereits vor zwei Wochen, dass es keine Bahnverbindung zwischen Belarus und der Ukraine mehr gebe. Er deutete an, dass dies auf die Aktivitäten von "Eisenbahnpartisanen" zurückzuführen ist. "Ich werde nicht auf Einzelheiten eingehen, aber ich bin den belarussischen Eisenbahnern dankbar für das, was sie tun", sagte er in einem Interview mit dem exilrussischen Fernsehsender "Current Time".
In den vergangenen Wochen erschienen in unabhängigen belarussischen Medien mehrere Berichte über Sabotageakte auf der Bahn. Einige von ihnen wurden von den Behörden des autoritär regierten Staates bestätigt. Mehrfach berichtete das Innenministerium des Landes über Festnahmen von Personen, die "terroristische Handlungen" gegen die Eisenbahn begangen hätten.
Der neue "Schienenkrieg"
Vor wenigen Tagen wurden Dutzende Bahn-Mitarbeiter festgenommen, die Mitglieder des in Belarus verbotenen Telegram-Kanals "Live. Gemeinschaft der Eisenbahner von Belarus" gewesen sein sollen. Daraufhin veröffentlichten die Behörden 38 "Geständnis-Videos". Die Festgenommenen wurden offenbar gezwungen zu sagen, sie würden es bereuen, den Kanal abonniert zu haben, und würden den Bürgern abraten, dieser "destruktiven" und "extremistischen" Quelle zu folgen.
Bei der "Gemeinschaft der Eisenbahner von Belarus" handelt es sich um einen Kanal, der im August 2020 im Zuge der Massenproteste gegen den Diktator Alexander Lukaschenko gegründet wurde. Ende März dieses Jahres wurde die Gruppe vom belarussischen Innenministerium zu einer "extremistischen Formation" erklärt. Dass die Behörden die Gruppe zum Schweigen bringen wollen, ist kein Wunder, denn sie ist zu einem Sprachrohr der "Eisenbahnpartisanen" geworden. Der Kanal berichtet immer wieder von erfolgreichen Sabotageakten auf der Bahn. Die belarussische Presse bezeichnet die Aktionen als neuen "Schienenkrieg" - in Anspielung auf die gleichnamige Operation der sowjetischen Partisanen im Zweiten Weltkrieg. Um die Rote Armee zu unterstützen, hatten Partisanen im August und September 1943 das Schienennetz in den von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten durch Zehntausende Sprengungen lahmgelegt.
Brennende Stellwerke, Baumstämme auf Gleisen
Das häufigste Ziel der Angriffe sind Stellwerke, mehrere davon wurden in den vergangenen Wochen in Brand gesetzt. Diese Anlagen sind für Signale und Weichen zuständig. Wenn sie beschädigt sind, können nur einzelne Züge die betroffenen Abschnitte befahren, wobei ihre Geschwindigkeit 15 bis 20 Kilometer pro Stunde nicht überschreiten darf. Auch die belarussischen Behörden berichteten in den vergangenen Wochen mehrmals von Brandstiftungen an Stellwerken.
Durch die Berichte des Innenministeriums wurden auch weitere Aktionen bekannt. So nahm die belarussische Polizei nach eigenen Angaben Anfang März ein Ehepaar fest, das in der Kleinstadt Stowbtsy 80 Kilometer südwestlich von Minsk Baumstämme auf die Gleise gelegt und diese angezündet haben soll. Darüber hinaus berichteten die Behörden von einem festgenommenen 35-jährigen "Eisenbahnpartisanen", ohne dass Einzelheiten bekannt wurden. Das Innenministerium kündigte aber an, dass die Eisenbahn künftig von der Armee und der Polizei überwacht wird.
In den folgenden Tagen meldeten die Behörden mehrere weitere Festnahmen. In mindestens einem Fall soll es zum Waffeneinsatz gekommen sein. Wie die "Gemeinschaft der belarussischen Eisenbahner" berichtete, eröffnete am 31. März eine Patrouillengruppe auf mehrere Menschen das Feuer, die einen Schaltschrank im Südosten des Landes angezündet haben sollen. Den "Partisanen" gelang es demnach, zu entkommen.
Lukaschenkos Ex-Mitarbeiter übernehmen die Verantwortung
Der "Schienenkrieg" wird auch online geführt. So gab bereits am 27. Februar die oppositionelle Hackergruppe "Cyber Partisans" bekannt, das Computernetzwerk der belarussischen Eisenbahn lahmgelegt zu haben. Der Zugverkehr musste mehrere Tage lang manuell gesteuert werden. Auch der Online-Service für Fahrkarten funktionierte nicht. Kassierer auf den Bahnhöfen mussten laut einem Bericht des Nachrichtenportals "Zerkalo.io" die Tickets handschriftlich ausfüllen. Demnach konnte der Dienst erst zwei Wochen später wiederhergestellt werden.
Die Initiative ByPol übernahm die Verantwortung für einige der Sabotageakte. Die Organisation vereint ehemalige Mitarbeiter der belarussischen Sicherheitsorgane, die sich von Lukaschenko abgewandt haben. Nach Angaben von ByPol stellen die Aktionen keine Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Belarussen dar, verursachten aber erhebliche Schäden an der Infrastruktur der Eisenbahn.
In ihrem Kampf konnte die Initiative offenbar erhebliche Erfolge erzielen. "Nach der ersten Welle von Aktionen stoppte die russische Eisenbahn aus Angst vor Sabotage den Transit von militärischen Einheiten durch Belarus", erklärte ByPol-Leiter Alexander Azarov der Deutschen Welle. Allerdings war der Transportstopp nur kurzzeitig. "Seitdem das belarussische Innenministerium Moskau versichert hatte, dass alle Partisanengruppen angeblich gesäubert sind, fahren die russischen Züge wieder durch Belarus", sagte Azarov. "Daraufhin haben wir unsere Aktionen fortgesetzt".
Quelle: ntv.de