Erstmals seit Jahrzehnten Berlin meldet Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels
14.02.2024, 07:19 Uhr Artikel anhören
Beim Gipfel in Prag 2002 setzten sich die NATO-Staaten das Zwei-Prozent-Ziel. Nun meldet Deutschland Vollzug.
(Foto: dpa)
Das Zwei-Prozent-Ziel bei den Verteidigungsausgaben gibt es schon lange - und wird auch schon lange von Berlin ignoriert. Nun allerdings meldet Deutschland eine Rekordsumme bei den Verteidigungsausgaben an die NATO. Auch etliche andere NATO-Staaten erreichen offenbar die Vorgabe.
Deutschland hat der NATO erstmals seit drei Jahrzehnten wieder geplante Verteidigungsausgaben in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts gemeldet. Die Bundesregierung übermittelte für das laufende Jahr einen Betrag, der umgerechnet in Vergleichszahlen des Verteidigungsbündnisses einer Summe von 73,41 Milliarden Dollar entspricht. Dies ist für Deutschland in absoluten Zahlen ein Rekordwert und würde nach aktueller NATO-Prognose eine BIP-Quote von 2,01 Prozent bedeuten.
In der Vergangenheit war Deutschland nach Dokumenten aus dem NATO-Archiv zuletzt 1992 auf Ausgaben in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gekommen. In den Jahren des Kalten Krieges hatte die Quote meist bei über drei Prozent gelegen. Über die Entwicklung der Verteidigungsausgaben der NATO-Staaten soll an diesem Donnerstag bei einem Verteidigungsministertreffen in der Brüsseler Bündniszentrale beraten werden. Es wird erwartet, dass in diesem Jahr etwa 20 der 31 NATO-Staaten das Zwei-Prozent-Ziel erreichen.
Steigerung von mehr als 20 Prozent
Die neuen Zahlen entsprechen im Vergleich zum Vorjahr einem Anstieg der Verteidigungsausgaben von mehr als 20 Prozent, wie es aus NATO-Kreisen heißt. Im letzten öffentlichen Bericht zu den Verteidigungsausgaben der Bündnis-Staaten war für Deutschland für 2023 lediglich eine Vergleichszahl in Höhe von 56,64 Milliarden Dollar und eine BIP-Quote von 1,57 Prozent angegeben gewesen. Im kommenden Bericht werden diese Zahlen nach oben korrigiert werden.
Der Haushalts- und Verteidigungsexperte Ingo Gädechens sprach allerdings im vergangenen Jahr angesichts des erwarteten Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels im vergangenen Jahr von Trickserei. Im Interview mit ntv.de bemängelte der CDU-Politiker, dass verteidigungsnahe Ausgaben aus anderen Ressorts dazugerechnet werden sollten. Auch kritisierte er, dass Mittel aus dem Sondervermögen auch für Betriebsausgaben, kleinere Beschaffungen oder Forschungsaufträge verwendet werden sollten. "Die Regierung trickst beim Verteidigungshaushalt", so Gädechens.
Mit der drastischen Steigerung der Verteidigungsausgaben reagiert die Bundesregierung insbesondere auf Russlands Einmarsch in die Ukraine. Durch eine deutliche Stärkung von Abschreckung und Verteidigung soll Kremlchef Wladimir Putin deutlich gemacht werden, dass ein Angriff auf ein europäisches NATO-Land keinerlei Erfolgschancen hätte. Mit dem Geld sollen nach Angaben des Verteidigungsministeriums unter anderem neue Schützenpanzer, Fregatten, U-Boote und hochmoderne Mehrzweckkampfflugzeuge vom Typ F-35A finanziert werden.
Hilfreich könnten die Zahlen zudem auch mit Blick auf eine mögliche Wiederwahl von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen im November sein. Der Republikaner hatte am Wochenende bei einem Wahlkampfauftritt deutlich gemacht, dass er Bündnispartnern mit geringen Verteidigungsausgaben im Fall eines russischen Angriffs keine amerikanische Unterstützung gewähren würde. Trump hatte bereits in seiner Amtszeit von 2017 bis 2021 immer wieder über die seiner Ansicht nach zu niedrigen Verteidigungsausgaben von europäischen Alliierten gewettert und zeitweise sogar mit einem Austritt der USA aus dem Bündnis gedroht.
Das neue Zwei-Prozent-Ziel
Das derzeit gültige NATO-Ziel für die Verteidigungsausgaben sieht vor, dass die Bündnismitglieder dauerhaft jährlich mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in Verteidigung investieren. Es wurde im vergangenen Sommer angesichts der Bedrohungen durch Russland beschlossen. Das bis dato gültige Ziel sah lediglich vor, dass sich alle Bündnisstaaten bis 2024 dem Richtwert annähern, mindestens zwei Prozent ihres BIP für Verteidigung auszugeben. Beim NATO-Gipfel 2002 in Prag hatten sich die NATO-Staaten das Zwei-Prozent-Ziel gesetzt, und dieses beim Gipfel 2014 nach der russischen Annexion der Krim festgeschrieben. Deutschland wurde dabei vom damaligen Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier vertreten.
Eine neue öffentliche Übersicht mit Daten zu den Verteidigungsausgaben der Mitgliedstaaten will die NATO im März vorstellen. Aus ihr wird dann auch hervorgehen, wie hoch die veranschlagten deutschen Verteidigungsausgaben in aktuellen Preisen liegen. Die internen Vorbereitungsdokumente für das Verteidigungsministertreffen an diesem Donnerstag enthalten nur die inflationsbereinigten Vergleichszahlen in US-Dollar.
Ermöglicht wird die massive Erhöhung der deutschen Verteidigungsausgaben derzeit durch das Bundeswehr-Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro. Dieses wird allerdings voraussichtlich 2027 aufgebraucht sein. Verteidigungsminister Boris Pistorius drängt deswegen darauf, schnell einen Plan zu entwickeln, wie Deutschland dauerhaft die NATO-Zielvorgaben erreichen kann.
Der SPD-Politiker zeigt sich in der Debatte über eine mögliche Aufstockung des Sondervermögens für die Bundeswehr allerdings skeptisch. "Ich freue mich über jeden Vorschlag, der dazu beiträgt, dass die Verteidigungsausgaben vernünftig und angemessen veranschlagt werden", sagte der SPD-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Wir haben die Zusage des Kanzlers, dass wir bis in die 2030er Jahre hinein mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung investieren", sagte Pistorius jüngst dem "Spiegel". Das absehbare Auslaufen des Sondervermögens müsse sich in der Finanzplanung niederschlagen.
Quelle: ntv.de, ghö/dpa