Politik

Für Russland Fakten geschaffen Annexionen sind ein "großer Brocken für Putin-Nachfolger"

Russlands Präsident Wladimir Putin zusammen mit den vom Kreml installierten Leitern der illegal annektierten ukrainischen Regionen.

Russlands Präsident Wladimir Putin zusammen mit den vom Kreml installierten Leitern der illegal annektierten ukrainischen Regionen.

(Foto: picture alliance/dpa/Pool Sputnik Kremlin/AP)

Die genauen Grenzen der von Russland einverleibten ukrainischen Gebiete stehen noch gar nicht fest, aber schon jetzt ist klar, dass Präsident Wladimir Putin nach jetzigem russischen Recht Fakten geschaffen hat. Gebiete zurückgeben? Kann ein möglicher Putin-Nachfolger jedenfalls nicht so einfach.

Cherson, Saporischschja, Donezk, Luhansk - diese vier ukrainischen Gebiete sind seit etwa einem Monat Teil von Russland. Das behauptet jedenfalls der Kreml nach illegalen Referenden in den besetzten Gebieten. Nach dem Völkerrecht sind die Annexionen der Russischen Föderation allerdings unwirksam und illegal. Wie sich Russland auch dreht und wendet, die einverleibten Gebiete sind offiziell weiterhin ukrainisches Staatsgebiet.

Zwar steht auch einen Monat nach den Abstimmungen nicht fest, welche Grenzen die vier Regionen nach russischer Lesart haben. Doch eines ist klar: Präsident Wladimir Putin hat mit den Einverleibungen mutmaßlich auf Jahre und Jahrzehnte Fakten geschaffen, erklärt Militärexperte Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität München im "Stern"-Podcast "Ukraine - die Lage". Demnach binde Putin "sämtliche Generationen von russischen Politikern" an diese territoriale Situation. "Es ist gemäß der russischen Verfassung zwar theoretisch möglich, aber praktisch fast unmöglich, Staatsgebiet Russlands wegzugeben."

Sabine Fischer von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sieht in den illegalen Annexionen einen "extremen Akt der imperialistischen Aggression". Friedensverhandlungen mit Russland unter Putin seien unmöglich. Die Einverleibungen der ukrainischen Gebiete bedeuten einen "Quantensprung weg von einer Verhandlungslösung, die für die Ukraine akzeptabel wäre", schreibt Fischer bei Twitter.

Übergangsphase bis 2026

Der russische Föderationsrat hatte nur wenige Tage nach Putins Entscheidung einstimmig die Annexionen der vier ukrainischen Gebiete abgesegnet. Die Übergangszeit bis zur vollständigen Eingliederung in die Russische Föderation soll über drei Jahren lang dauern, bis zum 1. Januar 2026. Bis dahin sollen die russischen Behörden ihre Arbeit in den illegal annektierten Gebieten aufnehmen, Gesetze angepasst und der komplette Zahlungsverkehr auf Rubel umgestellt werden.

"Das sind tatsächlich sehr große Brocken und Steine, die Putin möglichen Nachfolgern in den Weg legt, weil damit auch Verfassungsänderungen verbunden sind, weil neue föderale Subjekte, also neue Teilgebiete, in die Russische Föderation aufgenommen werden aus russischer Sicht", analysiert Fabian Burkhardt im ntv-Podcast "Wieder was gelernt".

Burkhardt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg und dort auch als Redakteur für die Onlinezeitschriften Russland-Analysen und Ukraine-Analysen tätig. Und er ist Fachmann, wenn es um die Verfassung der Russischen Föderation geht. "Föderale Subjekte, das ist gewissermaßen das, was bei uns Bundesländer sind. Und in der Verfassung wird jedes einzelne föderale Subjekt festgehalten."

Russland will die Bürgerinnen und Bürger der illegal annektierten Gebiete bis 2026 formell zu russischen Staatsbürgern machen. Und obwohl die Ukraine und der Westen das nicht anerkennen werden, müssen sich die Menschen in Cherson, Saporischschja, Donezk und Luhansk, solange Russland die Gebiete besetzt, wohl an gewisse Regeln halten, um überhaupt noch in ihrer Heimat leben zu können und nicht als Ausländer im eigenen Staatsgebiet zu gelten.

Russland werde in der nächsten Zeit versuchen, die Bevölkerung in den besetzten Gebieten auszutauschen, erwartet Carlo Masala. "Wir erleben seit den ersten Wochen, dass Kinder nach Russland verschleppt werden. Das läuft alles auf eine Russifizierung dieser Gebiete hinaus", so der Militärexperte im Podcast "Ukraine - die Lage". Russland habe "natürlich wenig Interesse daran", dass noch viele Ukrainer in den illegal annektierten Gebieten leben, die weiterhin Widerstand gegen die russischen Besatzer leisten." Also säubert man die Regionen von den Ukrainern, um in Zukunft Russen dort anzusiedeln".

Die Regionen sollen nach Moskaus Willen künftig auch in der Duma und im Föderationsrat vertreten sein. Das heißt, die Gebiete müssen Politiker in die beiden Kammern des russischen Parlaments entsenden. Diese nehmen dann faktisch an der russischen Gesetzgebung teil. Wie bei der Krim: Die 2014 völkerrechtswidrig annektierte ukrainische Halbinsel wird mittlerweile auch von Abgeordneten im Parlament vertreten.

"Putin macht nicht nur sein Schicksal vom Krieg abhängig"

Ist Putin eines Tages aber nicht mehr Präsident und möchte sein Nachfolger dann die illegal annektierten Gebiete der Ukraine zurückgeben, wäre das mit Blick auf die russische Verfassung rechtlich kompliziert. "Je länger der Zeitraum ist, in dem Russland diese Gebiete als von sich annektiert betrachtet und de facto zumindest Teile dieser ukrainischen Gebiete kontrolliert, desto schwieriger wird es für jeden Nachfolger, das wieder rückgängig zu machen", macht Burkhardt deutlich. Das liege an der Vielzahl von Verfassungsänderungen, die in diesem Fall nötig wären.

Putin habe dementsprechend nicht nur sein Schicksal vom Kriegsverlauf abhängig gemacht, "sondern auch das seines Nachfolgers oder von jeder neuen Regierung, der oder die nach ihm ins Amt kommt", sagt Burkhardt im Podcast.

Die Annexionen machen es für Putin schwieriger, eines Tages gesichtswahrend aus dem Krieg zu kommen, analysiert Gwendolyn Sasse, Direktorin des Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien, im ntv-Interview. Sasse möchte die illegalen Annexionen "nicht kleinreden", jedoch seien die Einverleibungen auch "erstaunlich vage gehalten", weil eben nicht klar ist, welches Gebiet genau Russland dauerhaft besetzt halten will. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hatte vor der Annexions-Feier in Moskau am 30. September gesagt, die Grenzfrage müsse erst noch "geklärt" werden.

Trotzdem ist Fabian Burkhardt davon überzeugt, dass Putin mit den illegalen Annexionen zumindest in Russland für lange Zeit Fakten geschaffen habe, die ernsthafte Friedensverhandlungen auf lange Sicht unmöglich machen. Denn auch einem möglichen Nachfolger im Kreml wären die Hände gebunden. Russisches Staatsgebiet - dazu wurden die besetzten Gebiete von Moskau erklärt - wieder weggeben? Gemäß der russischen Verfassung ist das, Stand jetzt, praktisch unmöglich.

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(Dieser Artikel wurde am Mittwoch, 26. Oktober 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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