"Zum Schutz der Bürger" Bundeswehr im Inneren
06.10.2008, 07:02 UhrDie Spitzen von Union und SPD haben sich nach jahrelangen Auseinandersetzungen darauf geeinigt, die Bundeswehr bei Notfällen auch im Inneren einzusetzen und eine Verfassungsänderung herbeizuführen. "Es wird eine Grundgesetzänderung geben", sagte Unions-Fraktionschef Volker Kauder nach der Sitzung des Koalitionsausschusses am späten Sonntagabend in Berlin. SPD-Fraktionschef Peter Struck sprach von "Nothilfe" in Fällen, wo zum Beispiel "die Marine der Wasserschutzpolizei helfen kann".
Kauder sagte, die Bundeswehr solle im Bedarfsfall auch die Polizei unterstützen. "Wir haben jetzt einen Weg gefunden, dass der Einsatz der Bundeswehr in ganz bestimmten, begrenzten Fällen auch gestaltet werden kann. "Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) begrüßte den Beschluss "zum Schutz der Bürger in Deutschland", wie sein Sprecher sagte.
"Mehr geht nicht"
Hintergrund sind auch mögliche Einsätze der Luftwaffe gegen ein mit Terroristen besetztes Flugzeug. Frühere, weitergehende Pläne der Koalition, solche Einsätze auch beispielsweise gegen gekaperte Passagiermaschinen als letztes Mittel zuzulassen, waren am Widerstand des Bundesverfassungsgerichts gescheitert.
Bei der von der Koalition erzielten Einigung gehe es um die Frage, wie die Bundesmarine konkret bei Unglücksfällen auf See helfen könne, sagte Struck im Deutschlandfunk. Die vereinbarte Änderung des Grundgesetzartikels 35 sei keineswegs ein Einfallstor für weitere Einsätze der Soldaten in Deutschland. "Hier geht es eigentlich um eine Klarstellung, dass auch die Bundesmarine bei Notfällen auf See helfen darf." Die SPD habe klar gemacht: "Mehr geht nicht." Demgegenüber habe die Union im Artikel 87a Grundgesetz einen anderen Verteidigungsbegriff installieren wollen.
Entscheidung zu Afghanistan-Mandat
Kurz vor der Bundestagsentscheidung über die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan am Dienstag hat die CSU eine Ausstiegsstrategie für die Militäraktion gefordert. Er erwarte von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) klare Perspektiven für die Beendigung "in absehbarer Zeit", sagte der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Peter Ramsauer der "Neuen Osnabrücker Zeitung".
KSK kommt nach Hause
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) will unterdessen das Afghanistan-Mandat für das Bundeswehr-Elite-Kommando Spezialkräfte (KSK) innerhalb der US-geführten Operation "Enduring Freedom" (OEF) beenden. Steinmeier begründete seinen Vorstoß im "Spiegel" mit der verstärkten Beteiligung an der NATO-geführten Stabilisierungstruppe ISAF. Dies sei für Berlin der "eindeutige Schwerpunkt". Der Außenminister signalisierte Wohlwollen für die Verlegung von AWACS-Überwachungsflugzeugen der NATO nach Afghanistan.
Am 7. Oktober debattiert der Bundestag in einer Sondersitzung über die einjährige Verlängerung des Einsatzes und gleichzeitige Aufstockung des ISAF-Kontingents um 1000 auf 4500 Mann. Die endgültige Entscheidung soll Mitte Oktober fallen. Über das Anti- Terror-Mandat OEF berät das Parlament am 4. November.
Steinmeier begründete seinen Vorschlag zur Streichung des OEF-Beitrags auch mit dem Hinweis, die bis zu hundert Elitesoldaten, die seit 2001 dafür bereit gestellt wurden, seien in den vergangenen drei Jahren "kein einziges Mal" eingesetzt worden. "Deshalb sollte bei der im November anstehenden Verlängerung des OEF-Mandats das KSK-Element herausgenommen werden." Mit Blick auf die Aufstockung bei ISAF sagte er, es könne "kein ständiges Draufsatteln ohne kritische Bestandsaufnahme bestehender Verpflichtungen" geben. "In diesem Sinne" habe er bereits mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Verteidigungsminister gesprochen.
Kritik der Linken
Nach Ansicht der Linken kann die Bundeswehr mit der geplanten Änderung künftig auch bei Demonstrationen eingesetzt werden. Bereits beim G-8-Gipfel 2007 in Heiligendamm seien gepanzerte Fahrzeuge und Kampfflugzeuge der Bundeswehr bei der Beobachtung von Demonstranten eingesetzt worden, erklärte Innenexpertin Ulla Jelpke.
Damals hätten die Sicherheitsbehörden im Vorfeld von angeblich geplanten Anschlägen gegen den Gipfel gesprochen. "Nach einer Grundgesetzänderung, wie sie die Koalition plant, könnten solche zweifelhaften Mutmaßungen über geplante Anschläge den Einsatz der Bundeswehr bei amtlichen Großveranstaltungen rechtfertigen", fügte Jelpke hinzu.
Quelle: ntv.de