Ermittlungen gegen Klimakleber Bundesweite Razzia gegen Letzte Generation
24.05.2023, 08:06 Uhr
Auch am Dienstag blockierten Klimakleber die Berliner Autobahn A100. Nun läuft eine Razzia gegen die Letzte Generation.
(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)
Gegen die Klimaaktivisten von der Letzten Generation läuft eine bundesweite Razzia. Auf Veranlassung der Generalstaatsanwaltschaft München durchsuchen Beamte Objekte in sieben Bundesländern. Es geht unter anderem um den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Mit einer großangelegten Razzia sind Polizei und Staatsanwaltschaft gegen die Klimaschutzgruppe Letzte Generation vorgegangen. Rund 170 Beamte durchsuchten ab dem frühen Morgen 15 Wohnungen und Geschäftsräume in sieben Bundesländern, wie die Generalstaatsanwaltschaft München und das Bayerische Landeskriminalamt mitteilten.
Der Tatvorwurf lautet auf Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Ermittelt wird gegen sieben Beschuldigte, die zwischen 22 und 38 Jahre alt sind. Festnahmen gab es zunächst nicht. Zwei der Verdächtigen stehen den Ermittlern zufolge im Verdacht, im April 2022 versucht zu haben, die Öl-Pipeline Triest-Ingolstadt zu sabotieren. Hintergrund der Ermittlungen und Durchsuchungen sind laut Staatsanwaltschaft zahlreiche Strafanzeigen.
Rechtsanwalt Jan Siebenhüner beantwortete die Frage, was eine kriminelle Vereinigung auszeichnet, gegenüber ntv so: "Eine Gruppe wird dann zu einer kriminellen Vereinigung, wenn sie sich für einen übergeordneten Zweck zusammenschließt, Organisationsstrukturen innerhalb dieser Vereinigung erkennbar sind, die auf eine konkrete Dauer angelegt ist, und mindestens drei Personen dieser Vereinigung am Ende angehören. Diese Vereinigung muss sich zum Ziel setzen, Straftaten zu begehen, die im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren Haft bedroht sind." In seinen Augen kann die Justiz aufgrund vieler zuletzt durch Aktivisten unternommener Aktion durchaus davon ausgehen, dass es sich bei der Letzten Generation um eine kriminelle Vereinigung handele.
Die Gruppe macht regelmäßig mit Sitzblockaden und Aktionen in Museen auf die fatalen Folgen der Erderhitzung aufmerksam. Die Mitglieder kleben sich dabei häufig fest - an Straßen oder auch an Kunstwerken. Klimaschutzaktivisten reagierten mit scharfer Kritik. Die Gruppe Ende Gelände kritisierte auf Twitter, Razzien gebe es bei denen, "die vor der Klimakrise warnen, und nicht bei denen, die dafür verantwortlich sind". Die Letzte Generation selbst fragte auf Twitter, wann Lobbystrukturen durchsucht und "fossile Gelder der Regierung" beschlagnahmt würden.
Zentraler Vorwurf im Zusammenhang mit den Durchsuchungen ist laut Polizei und Generalstaatsanwaltschaft, dass die Beschuldigten eine Spendenkampagne zur Finanzierung weiterer Straftaten für die Letzte Generation organisiert und so mindestens 1,4 Millionen Euro eingesammelt haben sollen. Dieses Geld sei nach bisherigen Erkenntnissen "überwiegend auch für die Begehung weiterer Straftaten" eingesetzt worden. Woher das Geld stamme, sei Gegenstand der Ermittlungen. Wie viel davon beschlagnahmt wurde, sagte die Polizei zunächst nicht. Ziel der Durchsuchungen sei auch "das Auffinden von Beweismitteln zur Mitgliederstruktur" gewesen, hieß es.
Homepage abgeschaltet
Durchsuchungen gab es in sieben Bundesländern, konkret in Hessen im Landkreis Fulda, in Hamburg, Sachsen-Anhalt (Magdeburg), Sachsen (Dresden), Bayern (Augsburg und München), Berlin und im Kreis Segeberg in Schleswig-Holstein. Die Einsätze verliefen ersten Informationen nach friedlich. Auf Anweisung der Staatsanwaltschaft wurde auch die Homepage der Gruppe beschlagnahmt und abgeschaltet.
Aktivisten von Extinction Rebellion haben sich derweil mit den Beschuldigten solidarisiert. "Lobbys und Konzernen legen wir das Handwerk nur gemeinsam", schrieben die Umweltaktivisten auf Twitter und bekundeten ihre Unterstützung. Razzien mit dem Strafrechtsparagrafen 129 zu begründen - der Bildung krimineller Vereinigungen - solle "umfassende Überwachung ermöglichen, Rechte und Demokratie aushebeln und vor allem: von den wahren Kriminellen ablenken", erklärte Extinction Rebellion weiter.
In den vergangenen Wochen war das Umfeld für die Aktivisten extrem rau geworden. Abgenervte Autofahrer schlugen und traten die Protestierenden des Öfteren und schleiften sie ruppig von der Straße, und das Landgericht Potsdam bestätigte erstmals den Anfangsverdacht, dass die Gruppe eine kriminelle Vereinigung sein könnte. Diese Woche äußerte sich auch Kanzler Olaf Scholz extrem kritisch und nannte die Anklebe-Aktionen der Gruppe "völlig bekloppt". Die Aktivisten forderten anfangs ein "Essen-Retten-Gesetz" gegen Lebensmittelverschwendung. Die derzeitigen Forderungen sind Tempo 100 auf Autobahnen und ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket für den öffentlichen Verkehr.
Angesiedelt sind die Ermittlungen bei der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus. Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft München betonte aber, dass das nicht bedeute, dass man die Letzte Generation als extremistisch oder terroristisch einstufe. "Wir gehen nach jetzigem Ermittlungsstand davon aus, dass es sich um eine kriminelle Vereinigung handelt - wohlgemerkt nicht um eine terroristische", sagte der Sprecher. Dies wolle man gerichtlich prüfen lassen.
Rainer Wendt spricht von "Straßenterror"
Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) begrüßte die Durchsuchungen. "Die Justiz greift durch, das ist das richtige Signal eines wehrhaften Rechtsstaates", sagte Gewerkschaftschef Rainer Wendt in Berlin. "Die Bevölkerung, die unter dem Straßenterror dieser selbst ernannten Klimaretter täglich tausendfach leidet, wird endlich als das tatsächliche Opfer dieser Kriminellen wahrgenommen", so Wendt weiter. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) äußerte sich ähnlich. Der Rechtsstaat setze ein klares Zeichen gegen diejenigen, die die Demokratie diskreditieren und die Gesellschaft spalten wollten, hieß es in einer Mitteilung am Mittwoch. "Aus unserer Sicht erfüllt die Letzte Generation längst die Charakteristika einer kriminellen Vereinigung". Es sei konsequent, genau hinzuschauen, "wo das Geld zur Finanzierung der Straftaten herkommt", schrieb die GdP.
Der stellvertretende Vorsitzende der Linken, Lorenz Gösta Beutin, nannte die Razzien völlig überzogen. Die Menschen, die sich der sogenannten Letzten Generation zurechneten, setzten auf friedlichen zivilen Ungehorsam, um auf die Klimakatastrophe und das Versagen der Bundesregierung aufmerksam zu machen. Probleme für die Gesellschaft und die Zerstörung der Lebensgrundlagen produzierten diejenigen, die Lobbypolitik für Konzerne machten. "Wann findet die Razzia bei den Herren Lindner und Wissing statt und bei all denen, die mit ihrem Bremsen beim Klimaschutz das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021 ignorieren?", kritisierte der Linken-Politiker mit Blick auf die beiden Bundesminister der FDP.
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger schrieb auf Twitter: "Klimaschutz ist ein richtiges und drängendes Anliegen. Klimaschutz gegen Rechtsstaat, Demokratie und die Bevölkerung dagegen nicht."
Quelle: ntv.de, als/vpe/dpa