Neue Enthüllungen im NSU-Prozess Carsten S. vermutet weiteren Anschlag
11.06.2013, 19:06 Uhr
Der Angeklagte Carsten S. im Münchener Gerichtssaal.
(Foto: dpa)
Im NSU-Prozess macht der Angeklagte Carsten S. "reinen Tisch" - und bringt die Neonazi-Terroristen mit der Explosion einer Rohrbombe in einer Nürnberger Gaststätte in Verbindung.
Langsam kämpft sich Carsten S. zum entscheidenden Teil seiner Aussage vor, immer wieder stockend, manchmal unter Tränen. "Ich hab' Angst davor, dass meine Mutter einen Nervenzusammenbruch bekommt. Ich wollte ihr den Sohn nicht nehmen, auf den sie stolz war", sagt er. Lange schon hat sich der 33-Jährige aus der Neonazi-Szene gelöst, hat Sozialpädagogik studiert, bei der AIDS-Hilfe gearbeitet. Er sei zu einem Punkt gekommen, an dem er keine andere Wahl habe, sagt Carsten S. "Ich will reinen Tisch machen, es ist mir nicht anders möglich."
Er habe versucht, es nochmals "hochzuholen", sagt der 33-Jährige. Wie es genau war mit der Waffe, die er den gesuchten Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt brachte - und bei der es sich nach aller Wahrscheinlichkeit um jene "Ceska"-Pistole mit Schalldämpfer handelte, mit der die NSU-Terroristen neun Menschen töteten.
"Wir sind auch immer bewaffnet"
Böhnhardt und Mundlos hätten ihn vom Bahnhof abgeholt, in Chemnitz Anfang 2000. Dann seien sie in ein Café gegangen. Böhnhardt habe sein Mobiltelefon in die Hand genommen und einen Fingerabdruck auf das Display gemacht, erzählt S. "Was denkste, was der wert ist?", habe Böhnhardt gefragt. Weil sie ja gesucht wurden. Dann habe er an seinen Rucksack getippt. "Wir sind auch immer bewaffnet", irgend so etwas habe Böhnhardt gesagt. "Fand ich komisch", sagt Carsten S. "Bis dahin war ich nicht davon ausgegangen, dass die Waffen hatten."
Wieder kommt Carsten S. ins Stocken, fängt an zu weinen. "Dann haben die gesagt, dass die irgendwo in Nürnberg in einem Laden eine Taschenlampe hingestellt haben. Und ich wusste nicht, was die meinen." Dann sei Beate Zschäpe dazugekommen. "Sie sagten "psst", damit Frau Zschäpe das nicht mitbekommt."
Eine rätselhafte Andeutung - und es gibt tatsächlich einen Anschlag, der dazu passen könnte: Im Juni 1999 wurde bei der Explosion einer Rohrbombe in einer Nürnberger Gaststätte ein 18-jähriger Putzmann verletzt. Wie die Zeitschrift "Stern" unter Berufung auf Zeitungsartikel der "Nürnberger Nachrichten" berichtet, habe die Bombe wie eine "Taschenlampe" ausgesehen. Das Opfer erlitt Verbrennungen am Oberkörper, im Gesicht und an den Armen. Die Ermittler hätten nach "Schutzgelderpressung" gefragt. Hinweise auf einen ausländerfeindlichen Hintergrund habe es nicht gegeben.
"Es gab wahrscheinlich früher einen versuchten Anschlag", vermutet jedenfalls Carsten S. Für Beate Zschäpe könnte seine Aussage entlastend sein - denn warum sollte sie nicht mitbekommen, was Böhnhardt erzählte? Oder wusste sie alles - und sollte bloß nicht merken, wie unvorsichtig ihr Komplize plaudert? Die 38-Jährige hört die Aussage ohne sichtbare Regung, oft mit verschränkten Armen.
"Damit zielt man nicht auf Menschen"
Von ganz außen auf der Anklagebank verfolgt Ralf Wohlleben aufmerksam die Aussage seines ehemaligen Kameraden. Mit aufgestützten Kopf fixiert er ihn von der Seite. Es kann dem ehemaligen NPD-Funktionär nicht gefallen, was er hört. Nachdem Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe untergetaucht waren, hatte Wohlleben Carsten S. zu seinem Verbindungsmann gemacht.
Wohlleben habe ihm auch gesagt, wo er die Waffe besorgen solle, und ihm das Geld für die Pistole gegeben, erzählt Carsten S. In seinem Arbeitszimmer habe Wohlleben dann den Schalldämpfer auf die Waffe geschraubt. "Er hat die auf mich gerichtet und auch wieder gelacht. Ich hab' einen Schreck bekommen und gedacht: Damit zielt man nicht auf Menschen."
Einmal habe Wohlleben erzählt, die drei hätten jemanden angeschossen. Er habe gedacht: "Hoffentlich nicht mit der Waffe", erzählt Carsten S. Auf welche Tat sich die Bemerkung Wohllebens bezog, lässt sich nicht sicher zuordnen - möglicherweise auf einen der Raubüberfälle, mit denen die Untergetauchten ihr Leben finanzierten. Klar ist aber: Wenn Carsten S. die Wahrheit sagt, dann hatte Ralf Wohlleben durchaus eine Ahnung, was seine drei Freunde im Untergrund anstellen.
Quelle: ntv.de, Jochen Neumeyer und Sabine Dobel, dpa