Reisners Blick auf die Front "Da macht so eine F-16 einen Unterschied"
21.08.2023, 20:58 Uhr Artikel anhören
Bis die ersten F-16 in der Ukraine im Einsatz sind, wird wohl noch mindestens ein halbes Jahr vergehen.
(Foto: dpa)
An den Fronten in der Ukraine gibt es zwar Bewegung, doch keine Durchbrüche - weder für die Ukrainer noch die Russen. Nun soll Kiew aber Kampfjets des Typs F-16 erhalten. Der österreichische Oberst Markus Reisner erklärt im Interview, auf welche Weise das Flugzeug die Ukraine stärken wird - und was es für die Offensive bedeutet.
ntv.de: Herr Reisner, bevor wir über die F-16 sprechen - was hat sich in den vergangenen Tagen an der Front getan?

Markus Reisner ist Oberst des österreichischen Bundesheeres und anaylsiert jeden Montag für ntv.de die Kriegslage in der Ukraine.
(Foto: privat)
Markus Reisner: Insgesamt gab es wenig Bewegung. An der Südfront hat die Ukraine immer wieder versucht, Brückenköpfe auf der anderen Seite des Dnipro aufzubauen. Die Russen versuchen dies zu verhindern, und jeder russische Kampfhubschrauber, der dort eingesetzt wird, fehlt woanders. Eine größere militärische Bedeutung haben diese Brückenköpfe darüber hinaus aber derzeit kaum. Das liegt daran, dass sie sich im Überschwemmungsgebiet des Flusses befinden. So ist es kaum möglich, schweres Gerät nachzuholen. Im Winter, wenn der Boden gefroren ist, könnte sich das ändern. Im Zentralraum gab es dafür durchaus positive Entwicklungen.
Welche?
In den letzten 48 Stunden scheint es gelungen, eine weitere Ortschaft, Robotyne, nördlich von Melitopol zu besetzen. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist aber, dass die Ukraine noch immer im Bereich der Vorfeldstellungen kämpft. Diese, sowie die Hauptstellungen müssen eigentlich durchbrochen werden, um letztlich zum Asowschen Meer durchzustoßen.
Wie sieht es im Nordosten aus?
Südlich von Bachmut gibt es heftige Kämpfe mit gegenseitigen Vorstößen, aber keinem Durchbruch auf ukrainischer Seite. Weiter nördlich im Raum Kupjansk versuchen dagegen die Russen, mit der 1. Garde-Panzer-Armee durchzustoßen. Das ist ihnen bisher nicht gelungen.
Also ist weiter Geduld gefragt.
Wir erleben weiterhin ein Fegefeuer, in dem keine Seite den Durchbruch schafft. Für die Ukraine drängt aber die Zeit, wenn sie bis zum Asowschen Meer vorstoßen wollen, um die russischen Kräfte zu zerteilen. In wenigen Wochen beginnt die erste Schlammperiode, dann wird der Boden für schweres Gerät zu weich.
Kommen wir zu den F-16. Eine einzelne Waffengattung bringt nicht die Wende, das haben wir mittlerweile gelernt. Aber welche Wirkung wird die F-16 haben?
Die F-16 ist ein robustes, belastbares Mehrrollenkampflugzeug. Es kann mit entsprechender Zuladung an Luft-Luft-Waffensystemen gegen feindliche Kampfflugzeuge oder mit Luft-Boden-Waffen gegen feindliche Gefechtsstände, Depots, Fliegerabwehrsysteme oder Ähnliches eingesetzt werden. Dies steigert die Fähigkeiten der Ukraine, ihren Luftraum wieder beherrschen zu können. Nehmen wir die Bodenoffensive als Beispiel. Wenn die Ukrainer die F-16 bereits gehabt hätten, auch in geringer Stückzahl, wären das sehr hilfreich gewesen. Sie hätten die russischen Kampfhubschrauber auf Distanz halten können, sodass diese die voranrückenden ukrainischen Truppen nicht mehr hätten angreifen können. Da macht so ein Kampfflugzeug natürlich einen Unterschied.
Könnte die F-16 auch den deutschen Marschflugkörper Taurus tragen?
Das muss man sich anschauen. Grundsätzlich hat die F-16 den Vorteil, eine Vielzahl von westlichen Waffensystemen tragen zu können. Das war ja das Problem bei den Flugzeugen sowjetischer Bauart, dass sie erst mühsam umgerüstet werden mussten, um die westlichen Raketen wie Stormshadow oder Scalp tragen zu können.
Wie viel kann man überhaupt erwarten, wenn die F-16 frühestens zum Jahreswechsel und dann im Laufe des kommenden Jahres eintreffen?
Die große Frage ist weniger die Stückzahl oder wann die F-16 eintreffen, sondern die Logistik dahinter. Im Vergleich zu den alten Sowjet-Modellen SU-24 oder MiG-29 ist die F-16 ungleich aufwendiger zu betreuen. Anders auch als der schwedische Gripen, der auf sehr unwegsamen Gelände und in Bereichen betrieben werden kann, wie es für andere Flugzeuge nicht möglich wäre. Die F-16 ist viel komplexer. Man brauch Absprungbasen und Techniker. Und dabei muss man ständig mit russischen Angriffen rechnen.
Die Piloten müssen auch noch ausgebildet werden.
Hochrangige US-Offiziere sagen, die Ausbildung dauere 18 Monate, könne aber auf mindestens vier Monate verkürzt werden. Die F-16 ist aber ein sehr weit verbreitetes Flugzeug, weltweit sind noch rund 2500 im Einsatz. Das heißt, es gibt Hunderte, wenn nicht sogar Tausende ausgebildete Piloten. Ich denke, da kann man in sehr kurzer Zeit rasch etwas zusammenbringen.
Sie meinen, ausländische Piloten könnten sich der ukrainischen Luftwaffe anschließen?
Es wäre denkbar, dass Freiwillige in die ukrainischen Streitkräfte eintreten und als Piloten dienen, so wie es ja auch bei der internationalen Legion der Fall ist. Es gab in den vergangenen Monaten immer wieder Wortmeldungen von ausländischen Piloten, die ihre Bereitschaft dazu erklärt haben. Grundsätzlich gibt es diese Möglichkeit, ob es wirklich dazu kommt, muss man sehen.
Muss sich die gesamte F-16-Logistik in der Ukraine befinden oder könnten ukrainische Flugzeuge nicht beispielsweise auch in Polen starten? Dort wären sie vor russischen Raketen sicher.
Das ist kaum vorstellbar, da Polen in der NATO ist. Die NATO will aber unbedingt den Eindruck vermeiden, selbst Kriegspartei zu werden. Spätestens wenn ukrainische Flugzeuge aus einem NATO-Land einfliegen, ließe sich das aber nicht mehr von der Hand weisen. Etwas anderes wäre es, wenn Reparaturen in einem NATO-Land durchgeführt würden. Das ist schon jetzt der Fall, etwa bei der Panzerhaubitze 2000 oder beim Leopard.
Es wird also mindestens ein halbes Jahr, wenn nicht noch länger dauern, bis wir die F-16 in der Ukraine im Einsatz sehen.
Die Ukrainer sagen selbst, sie rechnen mit dem Ausbildungsende der Piloten frühestens im ersten Quartal des kommenden Jahres oder auch erst im Sommer. Die Ankündigung jetzt ist als Botschaft für die ukrainischen Soldaten wichtig: Haltet durch, es kommt noch eine Fähigkeit, die euch den Kampf wesentlich erleichtern wird. Das Problem dabei ist, dass bis jetzt neue Waffengattungen immer verzögert nacheinander geliefert wurden. Diese Waffen können also nicht gemeinsam im Verbund eingesetzt werden können. Wozu das führt, sehen wir bei der gegenwärtigen Offensive.
Damit wird die F-16 nicht mehr in die laufende Offensive eingreifen können. Wäre es da nicht militärisch sinnvoller, sich jetzt zurückzuhalten und dann im kommenden Jahr neu anzugreifen, wenn sie zur Verfügung steht?
Diese Diskussion wird in den englischsprachigen Leitmedien bereits geführt, sei es in der "Washington Post", der "New York Times", "Politico" oder "Forbes". Soll die Ukraine jetzt wirklich alle Reserven einsetzen oder soll man lieber warten und sich vielleicht selbst zur Verteidigung einrichten? Immerhin wurden bei der Offensive auch bereits signifikant Kräfte verbraucht. Laut dem Portal Oryx wurden z.B. schon über 50 Bradley-Kampfpanzer und 15 Leopard-Panzer zerstört. Um wieder in die Offensive zu gehen, muss man die Ukraine neu für das nächste Frühjahr aufstellen. Wenn sie jetzt aber ihre Kräfte verbraucht, wird das nicht möglich sein.
Wäre es nicht sinnvoller, mehr Iris-T-Systeme, Gepard und Patriot-Systeme zu liefern?
Die Ukraine braucht das, was notwendig ist, um das Land zu verteidigen und die besetzten Gebiete zurückzuerobern. Bei der Fliegerabwehr gibt es noch immer Defizite in der Quantität. Es sind gute Systeme vorhanden, aber zu wenige. Die Ukraine muss den rückwärtigen Raum sichern, um auch wieder eine industrielle Produktion aufbauen zu können, um einen längeren Krieg führen zu können. Diese Fliegerabwehrsysteme können dann auch den F-16 den Schutzschirm geben, den sie für Angriffe brauchen. Die Ukraine braucht zumindest regional eine gewisse Lufthoheit, um im nächsten Frühjahr wieder in die Offensive gehen zu können. Dafür müsste jetzt auch wieder Material geliefert werden. Diese Entscheidungen sollten schnell getroffen werden, damit das überhaupt möglich wird.
Deutschland hat ja noch einige Eurofighter in der Garage, die ausgemustert werden sollen. Die sind zwar nicht mehr gut in Schuss, aber das hieß es bei den Leopard 1 auch. Hätte das aus Ihrer Sicht Sinn, die wieder flott zu machen?
Ich kann nur zitieren, was die ukrainische Seite sagt. Für sie hat die F-16 Priorität. An zweiter Stelle steht der Gripen, weil er so vielseitig ist. Der Eurofighter kommt erst an dritter Stelle. Der hat wie die F-16 das große Problem, dass er ebenfalls eine sehr aufwendige Logistik benötigt. Er muss ortsfest betrieben und dann wieder vor russischen Angriffen gesichert werden. Zwei Logistikketten zu unterhalten wäre sehr unpraktisch. Die Kriegsgeschichte ist voll von Beispielen, in denen die Logistik den Ausschlag über Sieg und Niederlage gegeben hat.
Mit Markus Reisner sprach Volker Petersen
Quelle: ntv.de