Steuer-Talk bei Anne Will "Das ist Voodoo"
06.09.2021, 01:35 Uhr
In der ARD-Talkrunde von Anne Will stehen die Zeichen auf Angriff. Schließlich geht es ums Geld
(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)
SPD, CDU und Linke streiten bei "Anne Will" über Steuererhöhungen, Umverteilung und mögliche Koalitionen. Der Union wird "Voodoo" unterstellt, der SPD ein "Linksrutsch". Nur als es um die AfD geht, sind sich alle einmal einig.
Noch drei Wochen sind es bis zur Bundestagswahl am 26. September. In der ARD-Talkrunde von Anne Will stehen die Zeichen auf Angriff. Schließlich geht es ums Geld: Mindestlohn, Reichensteuer, Schuldenbremse - das sind die Diskussionsthemen. Die neue Bundesregierung wird mehrere Mammut-Haushaltsfragen angehen müssen. Etwa 470 Milliarden Euro Schulden hat Deutschland seit Beginn der Corona-Pandemie gemacht, hinzu kommen die kaum auszurechnenden Klima-Kosten der Zukunft.
Die CDU will all die Herausforderungen der kommenden Jahre ohne zusätzliche Steuern angehen. Das sagt Spitzenkandidat Armin Laschet, so steht es im Wahlprogramm. "Das ist gut durchgerechnet", erklärt Ralph Brinkhaus, der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Man müsse "alles nacheinander" angehen und "Spielräume erwirtschaften, um kleine und mittlere Einkommen zu entlasten". Ein ARD-Einspieler zeigt, dass selbst Helmut Kohl lange einen höheren Spitzensteuersatz durchsetzte als den, den die Linke in ihrem Programm fordert. Doch Brinkhaus will davon nichts wissen. "Aus einem Schuldenstaat kann man nur herauswachsen", sagt er. Und an der Schuldenbremse festhalten müsse man ebenfalls.
"Das ist Voodoo", ruft dem CDU-Mann die Linken-Parteivorsitzende Janine Wissler zu. "Wir brauchen jetzt Investitionen, damit es eine gute Zukunft gibt." Ihre Partei will sich von der Schuldenbremse verabschieden, möchte viel Geld über Steuererhöhungen für Besserverdienende reinholen. 75 Prozent an Steuern sollen Reiche demzufolge nach dem Erwirtschaften der ersten Million zahlen. Dies beträfe aber nicht mal "ein Prozent der Bevölkerung", sagt Wissler. Warum Die Linke etwa den Biontech-Gründern ihren Erfolg nicht gönnen würde, möchte Anne Will wissen. Die Parteivorsitzende dreht die Frage um und antwortet, dass für die großen Herausforderungen unserer Zeit "die Verkäuferin an der Supermarktkasse nicht zahlen kann". Und in einem weiteren Angriff auf die CDU stellt sie klar: "Herauswachsen funktioniert nicht, deshalb braucht es eine Umverteilung."
Tatsächlich nähern sich SPD und Linke
Norbert Walter-Borjans, vornübergebeugt in seinem Sessel, springt ihr in Sachen Voodoo zur Seite und attackiert ebenfalls Brinkhaus. Die Rechnung der CDU ohne Steuererhöhungen sei "nach Adam Riese nicht zu machen", so der SPD-Parteivorsitzende. Die Sozialdemokraten wollten jedoch trotz zusätzlicher Steuern "95 Prozent der Bürger steuerlich entlasten". Wie genau das passieren soll, sagt er nicht. Zwar werde seine Partei genau wie die CDU an der Schuldenbremse festhalten, aber "die, die ganz oben sind, müssen etwas dazu beitragen", dass die vielen Aufgaben der Zukunft angegangen werden könnten. Der sogenannte Deutschlandfonds, Laschets Finanzierungsidee abseits der Schuldenbremse, sei derweil überhaupt nicht hilfreich.
Die Angriffs-Koalition von SPD und Linke ist Brinkhaus ein Dorn im Auge - und spielt ihm zugleich in die Karten. Statt auf Sachfragen zu antworten, kann er seinen heißgeliebten Lagerwahlkampf betreiben. "Wenn Sie Scholz wählen, dann wählen Sie einen Linkskanzler", stellt der CDU-Mann angriffslustig klar und reizt Walter-Borjans, der bisher im Wahlkampf äußerst still geblieben war: "Die SPD will also mit der Linken koalieren. Wen wollen sie lieber, Die Linke oder die FDP?" Zuletzt hatte Brinkhaus immer wieder vehement vor Rot-Grün-Rot gewarnt. Walter-Borjans keift zurück: "Das ist eine absolute Lachnummer, diese 'Linksrutsch-Kampagne', die 20 Jahre alt ist." Keine zehn Minuten dauert die Will-Sendung, bis SPD und CDU wie gescriptet miteinander im Clinch liegen. Der Sozialdemokrat, Schweißperlen bilden sich auf seiner Stirn, kritisiert die "Rote-Socken"-Aktion der Union und sagt, seine Partei wolle im Falle eines Wahlsieges mit allen demokratischen Parteien sprechen. Aber er stellt auch klar, dass man lieber "ohne CDU/CSU" regieren wolle. Dass man "etwas Neues" wolle.
Tatsächlich nähern sich SPD und Linke, die auf einmal wohl doch Interesse am Mitregieren entwickelt, im ARD-Talk an. "Es gibt viele Gemeinsamkeiten zwischen Grünen, SPD und Linken, um soziale Gerechtigkeit durchzusetzen", sagt Wissler. Doch es wäre natürlich noch nichts verabredet worden, gäbe keine Koalitionsverhandlungen vor der Wahl. Aber, stichelt die Linken-Parteivorsitzende: "Wie bitte wollen SPD und Grüne Themen wie Mindestlohn und Klimapolitik mit der Union durchsetzen?"
Zurück zu den Steuern. Hier lässt Walter-Borjans mögliche Koalitionsgedanken verpuffen. Steuererhöhungen müssten "pragmatisch und praktizierbar sein und das ist bei den Linken nicht der Fall", sagt der SPD-Chef. Im Kern sehe er ohnehin nur ein Bündnis mit Grünen, "bei den jeweils nächsten gibt es sehr hohe Hürden". Anne Will konfrontiert anschließend Brinkhaus' Steuer-"Voodoo" mit Aussagen des Direktors des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther. Der sagt, ein Herauswachsen aus der Verschuldung würde nicht gelingen und die Schuldenbremse müsse geöffnet werden.
Auch die AfD ist an diesem Abend geladen
"Lassen Sie uns mal abwarten", antwortet ein gereizter Brinkhaus etwas unbedacht, um dann schnell nachzuschieben: "Wir müssen dafür sorgen, dass wir viele gutbezahlte Arbeitsplätze haben." Dieser Satz ruft gleich wieder den Angriffsmodus Wisslers auf den Plan. "Na dann können wir ja den gesetzlichen Mindestlohn anheben", johlt sie ironisch in Richtung des CDU-Manns, dessen Partei ungleich der SPD, der Linken und der Grünen kein Freund des Mindestlohns ist und zuletzt dessen Anhebung auf zwölf Euro in der Stunde blockte.
Viel Lagerwahlkampf, viel Positionierung, viele Attacken. Die Will-Sendung zeigt, wie weit die Parteien bei den Themen Steuern, Gerechtigkeit und weniger Ungleichheit auseinanderliegen und dass die teuren Herausforderungen der Zukunft hohe Hürden für mögliche Sondierungs- und Koalitionsgespräche darstellen.
Auch die AfD ist an diesem Abend geladen. Tino Chrupalla, Bundesvorsitzender und Spitzenkandidat der rechtspopulistischen Partei, fiel zuletzt mit den kruden Programmpunkten und Falschaussagen auf, "auf keinen Fall den Klimaschutz" verstärken zu wollen, Geflüchtete aus Afghanistan an der Grenze "ohne Prüfung" und zur Not mit Gewalt abweisen zu wollen, oder dass "99 Prozent der Afghanen zufrieden mit den Taliban sind". Im ARD-Talk erklärt er, dass er bis auf die Einkommens- und die Umsatzsteuer fast alle anderen Steuerarten abschaffen und aus der EU austreten will. Hier sind sich zum einzigen Mal in der Sendung alle demokratischen Parteien einig: Diese Ideen sind gefährlich und - wie Brinkhaus es ausdrückt - "völliger Blödsinn".
Quelle: ntv.de