Gesetz gegen Medikamentenmangel "Das ist für viele Eltern ein Riesenproblem"
24.05.2023, 07:29 UhrDamit nicht wieder wichtige Medikamente knapp werden, will Gesundheitsminister Lauterbach die Versorgung verbessern. Die Union teilt dieses Ziel - ihr Gesundheitsexperte Sorge schlägt angesichts eines neuen Gesetzentwurfes aber die Hände überm Kopf zusammen.
ntv:de: Im vergangenen Winter standen viele Eltern in der Apotheke und wollten Fiebersaft für ihre kleinen Kinder haben - es gab aber keinen. Wie ist die Lage jetzt?

Tino Sorge ist gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag.
(Foto: picture alliance / Flashpic)
Tino Sorge: Wir laufen wieder in Lieferengpässe hinein. Das ist ärgerlich, weil wir vor Weihnachten eine ähnliche Situation hatten. Schon damals hatten wir den Gesundheitsminister aufgefordert, zeitnah einen Bund-Länder-Gipfel zu initiieren und sich mit Apothekern, Ärzten, Krankenkassen und Pharmaunternehmen an einen Tisch zu setzen, damit so etwas nicht wieder passiert. Karl Lauterbach hat stattdessen monatelang gewartet. Was jetzt passiert, kam mit Ansage. Das ist ärgerlich und für viele Eltern ein Riesenproblem.
Aber es gibt jetzt einen Gesetzentwurf, den der Bundestag nun beschließen soll. Ein bisschen Zeit müssen Sie dem Minister doch geben. Den kann man ja nicht einfach aus der Schublade ziehen.
Dieser Gesetzentwurf ist ein Armutszeugnis. Erst lässt er mehr als ein halbes Jahr auf sich warten, wird mehrfach verschoben, und löst dann nicht einmal ansatzweise die Probleme. Zuerst hätten wir mit einem Bund-Länder-Gipfel schnell reagieren und Sofortmaßnahmen koordinieren müssen. Mit einem Gesetzentwurf hätte man dann die grundsätzlichen Probleme lösen können. Die bestehen vor allem in den Rabattverträgen für Medikamente. Der billigste Anbieter bekommt fast immer den Zuschlag. Außerdem haben wir kein Frühwarnsystem für Engpässe.
Im neuen Gesetzentwurf steht aber, dass es ein Frühwarnsystem geben soll, eine mehrmonatige Lagerung wichtiger Medikamente und die Lieferketten sollen diversifiziert werden. Was kann man dagegen haben?
Das ist, so hart muss man es leider sagen, viel Belletristik. Bei der längeren Lagerung ist ungeklärt, wie sie konkret organisiert werden soll. Schon in der Pandemie wurde beschlossen, Schutzausrüstung einzulagern. Bislang ist kaum etwas in dieser Richtung passiert. Medikamente müssen wieder stärker in Deutschland und Europa hergestellt werden. Das wird aber nur funktionieren, wenn wir Anreize setzen. Es darf nicht mehr sein, dass nur der billigste Anbieter eines Medikaments den Zuschlag bekommt. Man könnte es anders machen: zum Beispiel mehreren Anbietern den Zuschlag geben - wobei es dann auch eine Rolle spielen muss, dass man den Wirkstoff nicht nur aus Asien bezieht.
Was ist so schlimm daran, wenn der günstigste Anbieter den Zuschlag bekommt?
Weil dann die Versorgungssicherheit und Versorgungsstabilität zu kurz kommen. Wer sich das billigste Auto kauft, muss sich nicht wundern, wenn schneller etwas kaputtgeht. Bei den Medikamenten ist es ähnlich. Nicht der Billigste sollte den Zuschlag bekommen, sondern ein seriöser Anbieter, oder am besten mehrere. Dabei könnte man es zur Voraussetzung machen, dass die Unternehmen größtenteils in Europa produzieren.
Größtenteils?
Das machen die Amerikaner mit dem Inflation Reduction Act auch. Sie verlagern massiv Wertschöpfung in die USA zurück. Auch für uns gilt, dass Lieferketten sicherer sind, wenn mehr in Europa produziert wird. Dann wäre die Versorgung hierzulande weniger anfällig, falls es Engpässe in Asien gibt. Wichtig ist, dass entscheidende Wirkstoffe in der EU hergestellt werden. Sonst löst man das Problem nicht.
Das würde aber auch steigende Preise bedeuten.
Wir müssen uns von dem Mantra "Geiz ist geil" verabschieden. Die Frage ist, was uns Gesundheitsversorgung und Stabilität wert sind. Bei Paracetamol, Ibuprofen, aber auch Krebsmedikamenten reden wir über Cent-Beträge pro Tagesdosis. Ist das wirklich sinnvoll, wenn es kaum noch Hersteller gibt, die zu solchen Preisen überhaupt produzieren können?
Aber wer zahlt das dann? Müssen dann nicht die Krankenkassenbeiträge steigen?
Wir werden bei den allermeisten Medikamenten keinen horrenden Preisanstieg erleben. Ich kenne kein Elternpaar, das nicht 20 Cent mehr für den Fiebersaft zahlen würde.
Es geht also um Beträge wie 20 Cent und nicht 20 Euro?
Das kommt immer auf das Präparat an. Aber bei vielen Generika, also patentfreien Medikamenten, reden wir über niedrige Cent-Beträge. Die führen dazu, dass viele Anbieter überhaupt nicht mehr am Markt sind. Wir werden auch über die Verlängerung von Patenten nachdenken und die Forschung stärker fördern müssen, damit Hersteller auch bereit sind, in Bereiche zu investieren, in denen die Gewinnmarge nicht so hoch ist.
Wie soll das gehen, die Produktion größtenteils zurückzuholen?
Das wird nicht von heute auf morgen gehen. Es geht auch nicht darum, dass der Staat plötzlich viel Geld in die Hand nehmen soll, um Unternehmen zurückzuholen. Wir müssen die langfristigen Rahmenbedingungen unseres Wirtschaftsstandortes so gestalten, dass es für Unternehmen wieder attraktiver wird, in Europa zu produzieren.
Läuft das dann nicht auf neue Subventionen hinaus?
Das kann der Staat kaum leisten. Aber er kann die richtigen Anreize setzen. Weiche Faktoren spielen eine viel wichtigere Rolle: Abbau von Bürokratie, die Möglichkeiten der Datennutzung, die Rahmenbedingungen für klinische Studien und wie schnell neue Medikamente entwickelt werden können. Gesundheitsversorgung sollte uns etwas wert sein. Wir als Solidargemeinschaft sollten bereit sein, Gesundheit stärker zu unterstützen, damit wir keine Zweiklassen-Medizin bekommen.
Das würde Minister Lauterbach vermutlich genauso sagen.
Wir sind in vielen Punkten auch gar nicht so weit auseinander. Wir unterscheiden uns aber in der Frage, wie man Herausforderungen angehen sollte. Minister Lauterbach sitzt die Probleme zu oft aus, kündigt dann kurzfristig Lösungen an - und wenn er überhaupt einmal einen Gesetzentwurf vorlegt, kommt der viel zu spät. Er muss das Tempo erhöhen und die grundsätzlichen Probleme anpacken.
Mit Tino Sorge sprach Volker Petersen
Quelle: ntv.de