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Experte zum Israel-Iran-Konflikt "Die iranischen Optionen sind begrenzt"

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Israel und die USA sind die erklärten Erzfeinde Irans - zum Gedenken an die in Damaskus getöteten Mitglieder der Revolutionsgarden werden in Teheran Fahnen der beiden Länder verbrannt.

Israel und die USA sind die erklärten Erzfeinde Irans - zum Gedenken an die in Damaskus getöteten Mitglieder der Revolutionsgarden werden in Teheran Fahnen der beiden Länder verbrannt.

(Foto: picture alliance / NurPhoto)

Offiziell hat sich Israel nicht zu dem Angriff auf eine iranische Vertretung in Damaskus bekannt, bei der ein hochrangiger General der Revolutionsgarden starb. Doch das Regime in Teheran hat Vergeltung angekündigt. Laut Nahost- und Dschihadismus-Experte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) ist daher "die Gefahr von iranischen Angriffen - in welcher Form auch immer - sehr hoch". Die iranischen Optionen hält er jedoch für begrenzt, während Israel ihm zufolge die Kapazitäten für eine weitere militärische Auseinandersetzung hat. Mit ntv.de spricht er über mögliche Szenarien und Möglichkeiten, eine Eskalation noch zu verhindern.

ntv.de: Erwarten Sie, dass aus den iranischen Drohungen gegen Israel bald mehr wird, also ein tatsächlicher Angriff?

Guido Steinberg: Die Drohungen sind eine Reaktion auf den israelischen Angriff auf sieben Revolutionsgardisten in einem iranischen Botschaftsgebäude in Damaskus. Aus iranischer Sicht haben die Israelis mit der Tötung dieser hochrangigen Militärs eine Grenze überschritten. Aus dem eigenen Selbstverständnis als Feind Israels heraus, aber auch, weil in den Revolutionsgarden nun ein gewisser Druck entsteht, muss die Islamische Republik in irgendeiner Form reagieren. Deshalb ist die Gefahr von iranischen Angriffen - in welcher Form auch immer - sehr hoch.

Guido Steinberg ist Wissenschaftler der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Guido Steinberg ist Wissenschaftler der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

(Foto: SWP)

In früheren Fällen ist teils eine gewisse Zeit vergangen zwischen den iranischen Drohungen und einem Angriff. Warum?

Die iranischen Optionen sind begrenzt. Das ist ein Grund dafür, dass die Iraner, wenn sie Vergeltung für israelische oder amerikanischer Angriffe üben wollen, immer mal wieder abwarten. Hinzu kommt, dass die iranische Führung durchaus mit Geduld ausgestattet ist. Ich halte es also für möglich, dass in den nächsten Tagen nichts passiert, die Iraner aber zuschlagen zu einem Zeitpunkt und an einem Ort, den niemand erwartet hat.

Es gibt verschiedene Szenarien für einen iranischen Angriff: Das Land könnte den Angriff selbst ausführen, ihn aber auch durch eine verbündete Terrororganisation ausführen lassen. Was halten Sie für wahrscheinlicher?

Beide Optionen sind möglich. Man muss sich klarmachen, dass die Israelis aus iranischer Sicht ein sehr wichtiges Ziel getroffen haben. Das war schon beim Luftschlag der USA auf den iranischen Generalmajor Ghassem Soleimani im Januar 2020 so. Die Tötung von General Mohammad Sahedi in Damaskus ist durchaus damit zu vergleichen. Das zwingt die Iraner, ebenfalls ein qualitativ hochwertiges Ziel anzugreifen, macht es für sie aber auch so schwierig. Wenn der Iran selbst beispielsweise Raketen auf Israel schießen oder eine israelische Botschaft im Ausland angreifen würde, würde das fast unweigerlich eine größere israelische Reaktion und vielleicht sogar einen Krieg nach sich ziehen. Wenn Sie "nur" über die Hisbollah, die Huthis oder schiitische Milizen aus dem Irak reagieren, dann wäre die Wirkung aus iranischer Sicht möglicherweise nicht groß genug.

Ist der Angriff auf ein diplomatisches und damit besonders geschütztes Gebäude eine neue Qualitätsstufe in diesem Konflikt?

Es gab von iranischer Seite immer wieder Angriffe auf diplomatisches Personal. Zum Beispiel gab es 2012 einen Anschlagsplan der Revolutionsgarden auf den saudi-arabischen Botschafter in Washington D.C. Die bei uns verbreitete Vorstellung, dass diplomatisches Personal und diplomatische Einrichtungen unantastbar sind, ist vor allem auf iranischer Seite nicht verbreitet. Für Israel hingegen - und für mich besteht kein Zweifel, dass es Israel war - ist ein so offener militärischer Angriff auf einen Teil einer diplomatischen Einrichtung schon eine dramatische Eskalation.

Warum haben sie es dennoch getan?

Aus meiner Sicht ist das Entscheidende, dass der getötete General Sahedi der Operationschef der Al-Kuds-Brigaden für Syrien und den Libanon war. Er war Brigadegeneral und damit einer der höchstrangigen iranischen Offiziere, den die Israelis je getötet haben.

Israel muss dabei eine iranische Reaktion eingerechnet haben. Schwingt da auch die Hoffnung mit, dass diese Reaktion nicht so groß ausfällt und eine massive Eskalation ausbleibt?

Israel könnte durchaus darauf setzen, dass die iranische Reaktion hinter den Erwartungen zurückbleibt. Ganz einfach, weil der Iran die große Auseinandersetzung nicht will. Aber selbst, wenn "nur" die Hisbollah Raketen auf Israel schießt oder ein militärisches Ziel angreift und wichtige israelische Militärangehörige tötet, könnte es dazu führen, dass sich Israel für einen größeren Militärschlag entscheidet.

Hat Israel die Kapazitäten für eine weitere militärische Auseinandersetzung?

Die hat Israel durchaus, weil eine mögliche Reaktion auf Angriffe des Iran oder der Hisbollah zunächst einmal Luftangriffe wären. Im Krieg im Gazastreifen ist die Luftwaffe derzeit aber nicht so entscheidend, dort werden vor allem Bodentruppen und Drohnen eingesetzt. Ohnehin gibt es in Israel Stimmen, die einen Präventivschlag gegen die Hisbollah aus der Luft fordern. Die Israelis denken also unabhängig von einer iranischen Reaktion über eine größere Auseinandersetzung mit der Hisbollah im Libanon nach.

Was massive Auswirkungen hätte.

Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass in dem Moment, in dem die Hisbollah oder andere Milizen aus dem Irak oder Syrien massiv Israel mit Drohnen, Marschflugkörpern und ballistischen Raketen beschießen, auch Israel hohe Verluste erleiden wird und große Zerstörungen angerichtet werden. Jede größere Auseinandersetzung würde beide Seiten massiv schädigen.

Steht die Bevölkerung im Iran hinter einer Reaktion gegen Israel?

Die innenpolitische Opposition im Iran ist denkbar schwach. Gerade während der Proteste 2022/2023 hat das Regime gezeigt, dass es in der Lage ist, auch mit einer größeren Protestbewegung fertig zu werden. Ich sehe keine Bedrohung für die Stabilität des Landes. Trotzdem ist klar, dass ein Großteil der Bevölkerung die Islamische Republik ablehnt. Und dieser Großteil will auch keine militärische Auseinandersetzung, weil dabei unweigerlich Zivilisten zu Schaden kommen würden. Dennoch muss man sagen: Die Islamische Republik ist stabil, die Machtbasis steht. Ein größerer israelischer Angriff wäre ein militärisches Problem, aber wahrscheinlich keins für das System.

Sehen Sie eine Möglichkeit, diese hochgeputschte Atmosphäre diplomatisch zu entschärfen?

Ich glaube nicht, dass es in diesen Konflikt eine Verhandlungslösung zwischen Israel und dem Iran gibt. Die Frage ist, ob der Schattenkrieg der vergangenen Jahre, der mit den Angriffen in Damaskus verschärft wurde, noch weiter eskaliert oder nicht. Vor allem die USA können eine Eskalation verhindern, indem sie den Iranern klarmachen, dass sich jegliche Reaktion in einem Rahmen bewegen muss. Und indem sie den Israelis verdeutlichen, dass Angriffe beispielsweise auf den Südlibanon - wie sie Israels Verteidigungsminister immer wieder fordert - mit großen Risiken behaftet sind. Ich setze darauf, dass Israels Verbündete durch Drohungen gegenüber Iran und gutes Zureden in Tel Aviv versuchen, diese Krise zumindest etwas zu entschärfen.

Eine grundlegende Verhandlungslösung schließen Sie aber für die nächsten Jahre aus?

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Verhandlungen zwischen der Islamischen Republik und Israel halte ich aus prinzipiellen Gründen für ausgeschlossen. Es gehört zur DNA der Islamischen Republik und auch der Revolutionsgarden, Israel zerstören zu wollen. Israel hat also nur die Möglichkeit, sich zu wehren. Da gibt es keine Kompromisslösungen. Wir müssen damit rechnen, dass dieser Konflikt fortbesteht und zumindest in den nächsten Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten weiterschwelt.

Mit Guido Steinberg sprach Markus Lippold

Quelle: ntv.de

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