Politik

Klima-Kleber zur EU-Kandidatur "Dass jemand Pudding mit ins Parlament bringt, wäre möglich"

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Festnahme bei einer Farbattacke der Letzten Generation am Bundeskanzleramt - im Parlament wollen die Aktivisten wohl Pudding statt Farbe nutzen.

Festnahme bei einer Farbattacke der Letzten Generation am Bundeskanzleramt - im Parlament wollen die Aktivisten wohl Pudding statt Farbe nutzen.

(Foto: picture alliance / PIC ONE)

Die Letzte Generation möchte nach der Straße auch das Europäische Parlament für sich erobern. Sprecherin Carla Hinrichs erklärt, warum die Klimaaktivisten bei der Europawahl antreten, wie sie den Plenarsaal aufmischen wollen und was es für sie heißt, "den Protest im Herzen" zu tragen.

ntv.de: Sie haben Ende Januar Ihre Blockaden durch das Festkleben von Körperteilen auf den Straßen aufgegeben. In der Bevölkerung machten Sie sich durch diesen Protest teilweise unbeliebt. Die Anfeindungen führen dazu, dass Ihnen Anhänger fehlen. Ist das wirklich der richtige Zeitpunkt, um für den Einzug ins Europäische Parlament zu kandidieren?

Carla Hinrichs: Für das Europäische Parlament zu kandidieren, ist ein logischer Schritt. Wir wollen den Widerstand in alle Bereiche der Gesellschaft tragen. Da gehört das Parlament dazu. Wenn wir uns anschauen, was unsere Parlamente an Arbeit abliefern, dann lassen sie uns weiter in eine Katastrophe steuern, ohne nachhaltig umzulenken. Wir sagen: Es braucht dort keine einzelnen kleinen Gesetze und Reformen mehr, sondern da braucht es welche, die den Widerstand hineintragen, die aufrütteln, die den Elefanten, der im Raum sitzt, vor die Kameras zerren. Auf der Straße werden wir natürlich auch weiter protestieren.

Die Letzte Generation wolle das System "aufrütteln", betont Sprecherin Carla Hinrichs.

Die Letzte Generation wolle das System "aufrütteln", betont Sprecherin Carla Hinrichs.

(Foto: John Mio Mehnert)

Sie sagen, Sie wollen das Europäische Parlament aufmischen. Bedeutet das auch Störaktionen im Plenarsaal?

Wenn man uns kennt, dann weiß man, dass wir kreativ in unserem Protest sind. Dass man von uns im Parlament mal ein paar lustige Witze hört oder dass jemand Pudding mit ins Parlament bringt, wäre möglich. Worauf man zählen kann, ist, dass wir ehrlich, authentisch und friedlich den Protest ins Parlament tragen und deutlich machen, dass es nicht so weitergehen kann.

Ihre Kritiker würden vielleicht sagen, dass Pudding-Aktionen im Parlament weder besonders friedlich noch sinnvoll sind. Was entgegnen Sie denen?

Ich würde Kontroversen nicht als etwas Schlechtes bezeichnen. Das Dramatischste, was gerade passieren kann, ist, dass wir so weitermachen, dass wir alle die Füße stillhalten und sagen: Die Regierung hat das im Griff, wir kriegen das hin. Aber Menschen, die aufstehen, wachrütteln, laut sind und für den Diskurs sorgen, ob wir als Gesellschaft über die Klippe gehen wollen oder nicht, sind nichts Schlechtes, sondern lebensnotwendig.

Sie sagten im Januar, Sie wollen "die Verantwortlichen für die Klimazerstörung in Zukunft verstärkt direkt" konfrontieren und dafür Politiker und andere Entscheider "öffentlich und vor laufenden Kameras zur Rede stellen". Werden Sie, falls Sie nach der Wahl Abgeordnete stellen, nicht selbst zu diesen von Ihnen gescholtenen Politikern?

Wir tragen in unserem Herzen den Widerstand, den Protest und insbesondere den Überlebenswillen. Wir wollen in diesem System nicht mitmachen und gemeinsam dafür sorgen, dass wir nicht über die Klippe gehen. Wir wollen es aufrütteln und werden es dadurch auch herausfordern. Was wir uns wünschen, ist ein System, das über sich hinauswächst, mehr Menschen mit einbezieht, das Gesellschaftsräte zusammenholt, damit die ganze Gesellschaft über die Frage sprechen kann: Wie kommen wir aus dieser katastrophalen Situation heraus?

Sie fordern neben der europaweiten Einführung von gelosten Gesellschaftsräten auch Unterstützung von Klimabewegungen sowie den schnellstmöglichen Ausstieg aus fossilen Energien. Wie wollen Sie mit diesen spezifischen Forderungen viele Menschen überzeugen?

Die Menschen, die wir erreichen wollen, haben keinen Bock mehr, das Kreuzchen auf dem Wahlzettel da zu setzen, wo sie das kleinste Übel vermuten. Die wollen das wählen, was uns noch retten kann - das ist der friedliche Protest in Zeiten einer Krise. Genau das wollen wir den Menschen bieten, weil die Parteien versagen, das Parteiensystem versagt. Bei der Bundestagswahl 2021 gab es keine Partei, die ich hätte wählen können, die meine Interessen als junger Mensch in diesem Land vertritt, der nicht möchte, dass wir weiter in diese Katastrophe hineinsteuern. Wir wollen den Menschen die Möglichkeit geben, zu wählen, woran sie glauben. Die Geschichte hat gezeigt: Wenn es friedlichen, massenhaften Protest gibt, können wir in kürzester Zeit Wandel bewirken.

Aus Ihrer Sicht versagt also das Parteiensystem. Nun gründen Sie selbst eine Partei, wobei Sie von staatlichen Geldern profitieren könnten. Die Grünen sind inzwischen auch etabliert, aber aus einer Widerstandsbewegung heraus entstanden. Haben Sie nicht Angst, institutionalisiert zu werden?

Wir haben uns feierlich geschworen, dass uns Brüssel-Sekt nicht schmeckt. Wir sind junge Menschen, wir sind ein bisschen verrückt, aber mit Liebe und Zuversicht im Herzen. Wir greifen nach den Sternen. Wir haben nichts zu verlieren. Das Einzige, was uns bleibt, ist zu sagen: Wir machen hier verdammt noch mal nicht mit, auch wenn ihr alle so weitermachen wollt.

Sie sagen, jüngere Menschen seien Ihre Zielgruppe. Gibt es denn Pläne, das Wahlprogramm zu erweitern, um zum Beispiel auch für die Interessen von Rentnern einzustehen?

Wir sprechen alle Menschen in diesem Land an, die überleben wollen. Die es satthaben, weiterzumachen wie bisher, die es satthaben, dass die Reichen immer reicher werden und sich an unseren Lebensgrundlagen bereichern und die es satthaben, dass Regierungen dies befeuern. Dabei ist es egal, ob die Menschen jung oder alt sind, ob sie Handwerkerinnen sind oder in einem großen Unternehmen arbeiten. Wir richten uns an diejenigen, die keinen Bock mehr auf diese ganze Scheiße haben. Der Kriminalbiologe Mark Benecke hat in einem Vortrag gesagt, dass wir nächsten Sommer den Höllensommer des Jahrtausends haben werden. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.

Es gibt bereits mehrere Parteien, die bei der Europawahl mit einem ökologischen Programm überzeugen wollen. Neben den Grünen steht auch die Spitzenkandidatin der Linken, die Aktivistin Carola Rackete, für eine radikalere Klimapolitik. Wie wollen Sie sich von dieser Konkurrenz abheben?

Wir sehen das nicht als Konkurrenz. Wir wagen einen neuen Weg, wir treten nicht als normale Partei an, sondern als Widerstandsbewegung. Deswegen sehen wir uns nicht als Konkurrenz zu anderen Bewegungen, die auch wichtige Arbeit leisten.

Sie haben Lina Johnson und Theo Schnarr zu Ihren Spitzenkandidaten gekürt. Warum?

Weil die beiden diesen Widerstand tief in ihrem Herzen tragen und wir glauben, dass sie als Sprecherinnen unserer Bewegung dazu in der Lage sind, im Parlament die Stimme der Bewegung sein zu können. Wir alle tragen den Protest im Herzen, wenn wir uns entscheiden, die Konsequenzen dafür zu tragen. Bei den Straßenblockaden bedeutet das oft, dass man sich körperlicher Gewalt und den Repressionen des Staates aussetzt. Das ist nicht schön, da muss man überzeugt sein.

Nun ist die Büroarbeit in Brüssel etwas grundlegend anderes als die Aktionen auf offener Straße. Was erwarten Sie von Frau Johnson oder Herrn Schnarr, falls sie einen Sitz im Parlament gewinnen?

Ich verstehe, dass der Wunsch da ist, uns in eine Schublade zu stecken und jetzt eine Kategorie draufzudrücken: Klimaaktivistin, Politikerin, Abgeordnete im EU-Parlament. Alle wünschen sich eine Kategorie. Die gibt es nicht. Wir wählen einen neuen Weg. Da muss man kreativ sein. Wir machen schon Pläne. Das kann alles Mögliche sein: von Straßenblockaden bis hin zur Pflanzung von Kartoffeln vor dem Kanzleramt oder sich mit Öl übergießen und dabei Bundeskanzler Olaf Scholz, der nach Öl sucht, spielen. Da können wir auf eine Bandbreite von Protest zählen, die jede Emotion anspricht.

Das heißt also, neben Pudding-Aktionen kann man auch mit solchen Szenen im Europäischen Parlament rechnen, falls Sie dort einziehen?

Das würde ich nicht ausschließen.

Mit Carla Hinrichs sprach Lea Verstl

Quelle: ntv.de

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