Elektronische Fußfesseln Demjanjuk zu Hause
15.04.2009, 20:57 UhrDas vermutlich letzte größere Verfahren um Nazi-Verbrechen verzögert sich weiter. Ein US-Berufungsgericht stoppte die Abschiebung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers John Demjanjuk nach Deutschland. Sein Sohn hatte Einspruch mit der Begründung erhoben, die Abschiebung käme einer Folter gleich und sein kränkelnder Vater könnte allein schon wegen des Flugtransports sterben.
Der 89-Jährige, dem Beihilfe zum Mord an knapp 30.000 Juden vorgeworfen wird, war zuvor im Rollstuhl von Beamten aus seinem Haus in Ohio gebracht worden. Politiker aller Bundestagsparteien hielten an einem Prozess gegen Demjanjuk fest.
Demjanjuk sollte ursprünglich am Mittwoch in Deutschland ankommen. Nun muss erst das Berufungsgericht in Cincinnati entscheiden, ob dem Verdächtigen eine weitere Anhörung eingeräumt wird und ob weitere Rechtsmittel zulässig sind. Wie lange dies dauern wird, war zunächst offen. Die Bundesregierung rechnet nicht mit längeren Verzögerungen. "Wir gehen nach wie vor von einem zügigen Verfahrensabschluss aus", sagte ein Sprecher des Bundesjustizministeriums.
Die Münchner Staatsanwaltschaft wirft Demjanjuk vor, zwischen März und September 1943 bei dem Mord an mindestens 29.000 Juden im deutschen Vernichtungslager Sobibor im heutigen Polen geholfen zu haben. Auf die Spur Demjanjuks war die Ludwigsburger Zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen im Februar 2008 durch einen Zeitungsartikel gekommen. Dort wurde berichtet, Demjanjuk solle die US-Staatsbürgerschaft wegen der NS-Vergangenheit aberkannt werden. Der Leiter der Ludwigsburger Behörde, Kurt Schrimm, hat für die neuerlichen Verzögerungen kein Verständnis: "Wir stehen einigermaßen fassungslos vor diesem hin und her bei der Abschiebung."
Demjanjuk streitet Vorwürfe ab
Demjanjuk selbst hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe stets abgestritten. Seinen Angaben nach wurde er 1942 als Rotarmist von der Wehrmacht gefangengenommen und musste bis 1944 in deutschen Gefangenenlagern dienen. Der aus der Ukraine stammende Mann war bereits 1988 in Israel zum Tode verurteilt worden. Er wurde für den sadistischen Wachmann "Iwan der Schreckliche" aus dem KZ Treblinka gehalten. Wegen letzter Zweifel an seiner Identität wurde er jedoch vom höchsten israelischen Gericht freigesprochen und kehrte 1993 nach Cleveland in den USA zurück.
"Demjanjuk ist der einzige akute Fall, den wir verfolgen", sagte Oberstaatsanwalt Schrimm zu Reuters. Es würden allerdings noch Ermittlungen in vier weiteren Fällen geführt. Angestoßen seien diese im Dezember durch die US-Behörde Office of Special Investigations (OSI), die nach Einwanderern fahnde, die ihre Nazi-Vergangenheit verschwiegen hätten. Diesen Menschen würde dann wie Demjanjuk die US-Staatsbürgerschaft aberkannt. Erst vor drei Wochen seien Ermittler aus Ludwigsburg in den USA gewesen und hätten Unterlagen eingesehen, um die Ermittlungen in den vier Fällen voranzutreiben.
Der frühere stellvertretende OSI-Chef, Jonathan Drimmer, geht von einer erdrückenden Beweislage gegen Demjanjuk aus. Wesentlich seien sieben erhalten gebliebene Dokumente aus der NS-Zeit, teilte er in einer schriftlichen Stellungnahme mit. Ein früherer Kamerad des Verdächtigen habe ausgesagt, Demjanjuk habe die Häftlinge zu den Gaskammern eskortiert. Auch wenn Demjanjuk ein alter, gebrechlicher Mann sei, sei eine Anklage gerechtfertigt, sagte Drimmer. Ein Prozess würde das Signal aussenden, dass alle Beteiligten an Massenmorden bis ans Ende ihrer Tage mit Strafverfolgung rechnen müssten.
"Wenn es irgendeine Chance gibt, die rechtsstaatlich verantwortbar ist, gehört dieser Mann vor Gericht", sagte der innenpolitische Sprecher der SPD, Dieter Wiefelspütz, übereinstimmend mit seinem Kollegen Jerzy Montag von den Grünen. Ein Sprecher der Unionsfraktion erklärte, dies sei auch wichtig für die Aufarbeitung der deutschen Geschichte. Auch FDP und Linkspartei forderten, der 89-Jährige müsse sich seiner Verantwortung stellen. Auf einen Prozess pocht auch das Simon-Wiesenthal-Zentrum. Demjanjuk habe keine Gnade gekannt, als er Männer, Frauen und Kinder in die Gaskammer drängte, sagte der Vorsitzende des Zentrums, Rabbi Marvin Hier.
Meinungsforscher gehen davon aus, dass nur wenige Deutsche Interesse an einem Prozess haben. Viele wollten einen Schlussstrich unter die Schulddebatte ziehen, sagte Emnid-Geschäftsführer Klaus-Peter Schöppner Reuters. Auch der Chef des Forsa-Institus, Manfred Güllner, geht davon aus, dass eine Mehrheit der Deutschen kein Interesse an der Strafverfolgung hat: "Man möchte nicht damit konfrontiert werden, man schiebt das weg."
Quelle: ntv.de