Politik

Nach Assads Sieg in Aleppo "Der Krieg ist auf keinen Fall zu Ende"

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Die Truppen des syrischen Machthabers Assad erobern Aleppo, Rebellen und Zivilisten warten auf ihre Evakuierung aus der Stadt. Ein Ende der Kämpfe bedeutet der Sieg der syrischen Armee jedoch nicht, sagt Syrien-Expertin Bente Scheller im Gespräch mit n-tv.de.

n-tv.de: Aleppo ist nun vollständig unter Kontrolle des Assad-Regimes. Sind damit auch die Belagerung der Stadt und der Krieg in Syrien zu Ende?

Bente Scheller: Das Regime und Russland haben erklärt, die Kämpfe in Aleppo seien jetzt beendet. Aber in der Stadt sitzen immer noch Leute fest. Sie können nicht einfach irgendwo hingehen. Deswegen ist die Belagerung nicht zu Ende. Selbst wenn sie es wäre: Momentan lebt eine weitere Million Menschen an anderen Orten Syriens unter Belagerung. Und es gibt auch weitere Orte, an denen gekämpft wird. Deswegen ist der Krieg auf keinen Fall zu Ende.

Für wie glaubwürdig schätzen Sie demnach die Aussage des Assad-Regimes und Russlands ein, dass den Zivilisten und den Rebellen in Aleppo freies Geleit zugesichert wird?

Bente Scheller leitet seit 2012 das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut. Von 2002 bis 2004 arbeitete sie an der deutschen Botschaft Damaskus und promovierte danach zu syrischer Außenpolitik.

Bente Scheller leitet seit 2012 das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut. Von 2002 bis 2004 arbeitete sie an der deutschen Botschaft Damaskus und promovierte danach zu syrischer Außenpolitik.

(Foto: Böll-Stiftung/boell.de)

Was ist die Zusage wert, wenn sie nicht umgesetzt wird? Das ist im Moment der Fall. Es gab bereits die Ankündigung, Fluchtkorridore einzurichten. Aber diese Korridore hat es in einem ersten Schritt überhaupt nicht gegeben. In einem zweiten Schritt wurden Menschen erschossen, die sich auf den Weg durch die dann bestehenden Fluchtkorridore gemacht haben. Richtig freies Geleit gab es also vorher schon nicht. Gestern wurde ausgehandelt, Zivilisten und Rebellen mit Bussen aus Ost-Aleppo in von Rebellen gehaltene Gebiete zu bringen. Dieser Teil ist bislang nicht umgesetzt und auf morgen vertagt worden.

Die UN beklagen einen "kompletten Zusammenbruch jeder Menschlichkeit" in Aleppo. Wie viel Mitschuld hat der Westen?

Der Westen hat zwar gefordert, dass Assad abtreten soll. Aber er hat dahingehend nie wirklich Schritte unternommen. Und ihn auch nicht zur Rechenschaft gezogen für all die Dinge, die er und seine Verbündeten in den vergangenen Jahren verübt haben. Das Assad-Regime und seine Verbündeten sind für weit über 90 Prozent der Toten im Syrien-Konflikt verantwortlich. Ob wir auf die Zahl der getöteten Zivilisten gucken oder die Zahl der getöteten Journalisten oder Ärzte – das Regime ist jeweils mit über 90 Prozent dabei. In Betracht der stets steigenden Todeszahlen hätte es schon vor Jahren ein relativ klares Zeichen geben müssen. Der Westen hat die ganze Zeit auf Verhandlungen gesetzt, ohne einen Plan zu haben, was passiert, wenn diese nicht fruchten.

Hat Assad demnach keine Konsequenzen zu fürchten?

Durch wen denn? Wer zu Hoch-Zeiten von Assads Massakern nicht bereit war, dem etwas entgegen zu setzen, wird es jetzt auch nicht sein. Die UN und der Westen wissen, was geschieht und was geschehen müsste. Trotzdem stehen sie dem Regime und dessen Verbündeten hilflos gegenüber. Deshalb zögert der Westen weiter alles hinaus.

Die abziehenden Rebellen werden sich in Idlib konzentrieren. Droht dort ein zweites Aleppo?

Das ist schwierig zu sagen. Es gibt noch eine Zwischenstufe. Die Frage ist, was mit all denjenigen passiert, die im Umland von Damaskus weiterhin unter Belagerung leben. Im Schatten von Aleppo sind dort vom syrischen Regime, beschönigend ausgedrückt, Umsiedlungen durchgeführt worden. Von dort sind bereits viele Rebellen nach Idlib gebracht worden. Ich denke, dass das der Plan ist. Das Regime findet es ganz praktikabel, alle Rebellen an einem Ort zu haben. Es bezeichnet diese ja nach wie vor als Terroristen. Dementsprechend nehme ich an, dass das Regime dann gezielt gegen Idlib vorgehen wird, wenn es die anderen Dinge, die im Moment wichtiger sind – wie das Umland von Damaskus, weil es näher am Zentrum der Macht ist – abgehakt hat. Es ist keine günstige Fügung, dass die Rebellen alle nach Idlib gehen.

Warum?

Das Regime muss zwar nicht fürchten, dass von dort aus der Aufstand wiederaufflammt. Umgekehrt aber sitzen die Leute dort wie auf dem Präsentierteller. Und man kann schon die ganze Zeit sehen, dass es für diejenigen, die kämpfen, im Grunde genommen keine Alternative gibt. Es gibt keine sicheren Orte. Den Rebellen wird keine Sicherheit gewährt und bei allen bisher verhandelten Abkommen haben wir bis jetzt in recht schneller Folge gesehen, wie diese wieder durch das Regime unterlaufen wurden. Deswegen haben viele Rebellen nicht kapituliert.

Dennoch ist ein Waffenstillstand vereinbart worden. Wie nachhaltig ist solch eine Vereinbarung?

Im Prinzip gilt noch ein Waffenstillstand von Anfang des Jahres. Dieser ist nie wirklich aufgehoben worden, aber in der Praxis war er schon Wochen nach der Ausrufung gar nicht mehr erkennbar. Deshalb befürchte ich, dass dies mit der jetzigen Ankündigung ebenso passieren wird. Die Ankündigung ist da, was in den Nachrichten auch als positiv vermerkt wird. Aber es gibt allerhand Möglichkeiten, das auszuhöhlen. Die Zivilisten sind dem Assad-Regime also weiterhin schutzlos ausgeliefert.

Mit Bente Scheller sprach Christoph Rieke

Quelle: ntv.de

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