Politik

Ost- und Westdifferenzen Deutlich mehr Kindstötungen

In den neuen Ländern hat die Häufigkeit von Kindstötungen nach Angaben des Kriminologen Christian Pfeiffer in den vergangenen Jahren noch zugenommen. Die Zahl solcher Verbrechen sei gemessen an der Bevölkerungszahl in Ostdeutschland in den Jahren von 2004 bis 2006 gestiegen, während sie im Westen weiter gesunken sei, sagte der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen in Hannover. "Im Jahr 2006 hatten wir den größten Unterschied, den wir je gemessen haben", sagte Pfeiffer vor dem Hintergrund der Äußerungen von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) zu den Gründen für Kindstötungen.

Im Jahr 2006 seien im Osten - statistisch gesehen - von 100.000 Kindern im Alter von bis zu sechs Jahren 5,8 getötet worden, im Westen habe es laut polizeilicher Kriminalstatistik 1,3 Fälle gegeben. Im Jahr 2006 sei im Westen der niedrigste Wert erreicht worden, im Osten dagegen der höchste. "Die Hintergründe dafür müssen wir klären", sagte Pfeiffer, an dessen Institut zurzeit eine Studie zu allen rund 900 bis 1000 gerichtlich abgeschlossenen Kindstötungen in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren läuft.

Die Untersuchungen Pfeiffers waren der Aufhänger für das "Focus"- Interview mit Böhmer, der wegen seiner Erklärungsansätze für die vielen Kindstötungen im Osten heftig kritisiert wurde. Böhmer sagte, er erkläre sich diese Häufung "vor allem mit einer leichtfertigeren Einstellung zu werdendem Leben in den neuen Ländern", die auf die DDR-Abtreibungspolitik zurückgehe.

Pfeiffer widersprach den Kritikern Böhmers in ihrem Einwand, dass sich diese Politik nicht auf ganz junge Mütter auswirken könne, die die DDR nicht mehr erlebt hätten. "Mit dem Untergang der DDR hat sich in den Köpfen nicht alles verändert. Wie eigene Mütter darüber reden oder ob es in der eigenen Familie Abtreibungen gegeben hat, wirkt nach. Das prägt die Werteorientierung einer Familie", sagte Pfeiffer.

Böhmer habe zwar "unglücklich" formuliert, er stelle aber die berechtigte Frage, ob die Vielzahl der Kindstötungen nur auf die im Osten größere Armut zurückzuführen sei. Pfeiffer vertrat die Ansicht, dass die Notlage einer Mutter als Erklärung allein nicht ausreiche. Deshalb müsse nach weiteren Gründen gesucht werden. "Wir müssen uns fragen, ob im Osten diese anderen Faktoren auch eine Rolle spielen. Dabei darf man keine Denkverbote aufstellen", sagte der Kriminologe.

Böhmer bekam unterdessen Rückendeckung von Sachsens Kultusminister Steffen Flath (CDU) bekommen. Für ihn sei es "unverständlich, wie heftig hier selbst innerhalb der CDU Kritik an Herrn Böhmer geübt wird", sagte Flath der "Sächsischen Zeitung". "Man kann ihm vieles vorwerfen. Aber es kann doch keinen Zweifel geben, dass er die Mentalität der Ostdeutschen sehr genau kennt." Böhmer hatte jahrzehntelang als Frauenarzt und Geburtshelfer in der DDR gearbeitet. Am Donnerstag will er seine umstrittenen Äußerungen im Landtag erläutern.

Kultusminister Flath kritisierte, es sei in diesem Land kaum möglich, eine Diskussion auch über schwierige Dinge zu führen. Er forderte zudem mehr "Respekt vor dem ungeborenen Leben". So sei vielen Ostdeutschen möglicherweise gar nicht klar, dass Abtreibungen im Unterschied zur DDR-Zeit nicht mehr rechtmäßig seien, sagte Flath dem Blatt. "In der DDR war der Schwangerschaftsabbruch gesetzlich erlaubt. Dadurch wurde er von Anfang an als legitimes Mittel der Familienplanung angewendet." Dies sei eine Haltung, die sich auch im Westen immer mehr durchsetze.

Quelle: ntv.de

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