Flüchtlingskinder in Deutschland Deutschland ist nicht das Paradies
09.09.2014, 17:35 Uhr
Willkommen in der Fremde: Flüchtlingskinder in Deutschland haben es nicht leicht.
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Die Situation von Flüchtlingskindern in Deutschland ist verbesserungswürdig. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie im Auftrag des Kinderhilfswerks Unicef. So fehlt es jungen Flüchtlingen an Chancen in der Bildung - und vieles ist unnötig kompliziert.
"Es ist sehr eng hier", sagt der 10-Jährige Ehmal. Er sitzt auf dem einfachen Bett in seinem Zimmer in einer Flüchtlingsunterkunft. Gemeinsam mit ihm leben in diesem Raum auch seine Schwester und die Eltern. Ehmal fühlt sich nicht wohl. Aber immer noch besser als in seiner Heimat Afghanistan. Dort wurde die Familie erpresst: Wenn sie kein Schutzgeld zahle, werde der Sohn entführt, so die Drohung. Ehmals Eltern entschlossen sich damals zur Flucht nach Deutschland.
Überall auf der Welt gibt es Krisenherde. In Syrien, im Irak, in der Ukraine und in Afrika sind Menschen auf der Flucht. Viele von ihnen kommen nach Deutschland. Hier erwartet sie Versorgung und Sicherheit - aber nicht selten auch ein Leben voller Komplikationen. Wie so oft sind die schwächsten Mitglieder von Flüchtlingsfamilien am stärksten betroffen: die Kinder.
Zur Situation der etwa 65.000 Flüchtlingskinder in Deutschland hat das Kinderhilfswerk Unicef eine Studie in Auftrag gegeben. Thomas Berthold, Autor der Studie, kommt zu dem Ergebnis, dass die Lage der Flüchtlingskinder in Deutschland besser sein kann und sollte. Zu dieser Erkenntnis führten ihn Gespräche mit Menschen, die mit Flüchtlingen arbeiten, aber auch mit den Betroffenen selbst. "Mir war sehr wichtig, dass auch die Kinder selbst in der Studie zu Wort kommen", sagt Berthold. Nur so könne ihre Lebenswelt erfasst werden und ihre Erfahrungen in die Erkenntnisse der Studie einfließen.
Erfahrungen, wie auch Ehmal sie gemacht hat. Er ist inzwischen 14 jahre alt, und sein Leben hat sich gebessert: Die Familie hat eine Wohnung, der Sohn geht zur Schule. Lesen und Schreiben konnte er nicht, als er zum ersten Mal in einem Klassenzimmer stand. Mitschüler und Lehrer haben ihm geholfen, aber eine spezielle Förderung gab es nicht. Das meiste musste er sich selbst beibringen.
Regionale Unterschiede

Außen vor: Die Integration ist ein langer Weg, auf dem ein Kind Hilfe braucht.
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Die Situation der Flüchtlinge ist laut der Studie von Kommune zu Kommune unterschiedlich. Während mancherorts zufriedenstellende Bedingungen gegeben sind, gestaltet sich in einigen Gegenden der Alltag unnötig schwierig. Basis der Betrachtungen ist die UN-Kinderrechtskonvention. Dort heißt es im dritten Artikel: "Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, (...) ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist." Thomas Berthold kommt zu dem Ergebnis, dass das jedoch in Deutschland nicht immer zutrifft.
So fehlen gerade für Kinder oft Beratungsangebote. Sie sind in den Prozess ihres eigenen Asylantrags oft nicht oder nicht genug eingebunden. Auch einen qualifizierten Dolmetscher zu finden ist offenbar oft eine Frage des Glücks. Außerdem sind die Flüchtlingsunterkünfte in der Regel nicht für Kinder geeignet, da hier zu wenig Privatsphäre und Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung gegeben seien.
Besondere Probleme finden sich, so die Studie, in den Bereichen Bildung und medizinische Versorgung. Gerade für ältere Flüchtlingskinder ist es demnach oft schwer, einen Platz an einer deutschen Regelschule zu bekommen. Gleiches gilt für Kita-Plätze. Hier ist nach Meinung von Berthold die Chancengleichheit nicht gegeben.
Hindernisse auf dem Weg zum Arzt
Ebenfalls in die Kritik gerät die medizinische Versorgung von Flüchtlingen. Jeder Arztbesuch ist vom Sozialamt abzusegnen. Dies geschehe zwar in aller Regel, heißt es, jedoch sei der Gang zum Amt ein unnötiges Hindernis, so dass oft medizinische Behandlung nicht wahrgenommen werde.
Ehmal hat es geschafft: Inzwischen spricht er gut Deutsch und hat soziale Kontakte. Wenn es etwas zu regeln gibt, übersetzt er für seinen Vater. Und es gibt viel zu regeln: Der Asylantrag der Familie wurde abgelehnt. Die Zukunft in Deutschland ist völlig ungewiss.
Die Studie betont, dass Kinder oft der Integrationsmotor einer Familie sind. Sie knüpfen leichter Kontakte und lernen die Sprache schneller als Erwachsene. Somit helfen sie ihren Eltern, sich in Deutschland einzuleben. Wenn die Kinder nicht die entsprechende Förderung erhalten, geht dem Bericht zufolge ein großes soziales Potenzial verloren und die Integration der ganzen Familie wird erschwert.
Gelobt wird in der Studie vor allem die Arbeit von ehrenamtlichen Helfern in Deutschland. Diese tragen in großem Umfang dazu bei, Flüchtlinge zu integrieren und ihren Kindern ein angemessenes Aufwachsen zu ermöglichen.
Ruf nach Gesetzliche Konsequenzen
Anne Lütkes von Unicef Deutschland fordert als Ergebnis der Studie einen einfacheren Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung sowie kindgerechter Beratung und Unterkunft für alle Flüchtlinge unter 18 Jahren. Bisher gelten in Deutschland nur Flüchtlinge bis 16 Jahren als Kinder.
Christopf Strässer, Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung, fordert darüber hinaus, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen. Bisher werden jungen Menschen dort keine Sonderrechte gewährt. Strässer sagt dazu: "Kinder haben andere Bedürfnisse als Erwachsene. Darum sollen sie auch vom Grundgesetz her andere Rechte bekommen."
Für Ehmal ist die Zukunft weiterhin offen: Er hat Freunde in Deutschland, besucht die Schule, und doch hat er keine Aufenthaltserlaubnis. Die Familie hat gegen den abgelehnten Asylantrag geklagt. Die Furcht, in die Heimat abgeschoben zu werden, ist groß. Denn hier in Deutschland haben sie, nach erheblichen Schwierigkeiten, ein neues Leben begonnen.
Quelle: ntv.de