
In mehreren Bundesländern haben Freibäder trotz der Corona-Pandemie bereits wieder geöffnet.
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Die Infektionszahlen fallen, die Lust auf sommerliche Leichtigkeit steigt. Nach Thüringens Vorstoß entscheiden viele Länder, Schutzmaßnahmen zu lockern. Es wird unübersichtlich in Deutschland, aber das wird zum Sommer 2020 dazugehören.
Statt Reisende auf deutschen Autobahnen mit Sprüchen wie "Immer eine gute Idee" (Niedersachsen), "Willkommen im Land der Frühaufsteher" (Sachsen-Anhalt) oder "MV tut gut" zu begrüßen, wäre es in Zukunft vielleicht besser, Einreisende über die im Bundesland geltenden Corona-Maßnahmen zu informieren. "MV geht ins Freibad" wäre doch ein guter Hinweis an der Landesgrenze, die Schwimmbäder - ebenso wie Kinos, Yoga- und Fitnesscenter - sind in Mecklenburg-Vorpommern seit Montag nämlich wieder offen. Das ahnt der Tourist aus Berlin womöglich gar nicht, der es aus der Hauptstadt gewohnt ist, fast nichts zu dürfen außer bis Sonnenuntergang essen zu gehen.
Die Zeiten der Gemeinsamkeit im Kampf gegen Sars-CoV-2 - sie sind, zumindest was die Maßnahmen angeht, nun offenbar vorbei. Zwar einigten sich Bund und Länder am Abend darauf, die Kontaktbeschränkungen bis zum 29. Juni zu verlängern, ab dem 6. Juni könnten die Länder den Aufenthalt im öffentlichen Raum mit bis zu zehn Personen oder den Angehörigen zweier Hausstände gestatten. Den Gestaltungsspielraum, den diese Einigung in anderen Bereichen lässt, nutzen die Landesregierungen jedoch aus. Thüringens Landeschef Bodo Ramelow unterstrich gar seine abweichende Meinung von der Einigung in einer umfassenden Protokollerklärung.
"Die Verantwortung liegt jetzt bei den Ministerpräsidenten und Landkreisen", sagte Baden-Württembergs Landeschef Winfried Kretschmann heute Mittag. Das war zwar im Prinzip schon immer so laut Seuchenschutzgesetz, aber bislang stimmten sich die Regierungschefs der 16 Bundesländer in Schaltkonferenzen recht eng mit Kanzlerin Angela Merkel und untereinander ab. Gelegentliche Lockerungs-Ausreißer wie die "Fünf Personen unter freiem Himmel, die nicht aus einem Haushalt stammen müssen" in Sachsen-Anhalt oder die "Veranstaltungen unter 100 Personen" von NRW markierten die Ausnahme, nicht die Regel.
Maskenpflicht soll weiter bestehen
Diese Regel löst sich dieser Tage mehr und mehr auf - sehr zum Ärger des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, der vor allem dem vorpreschenden Kollegen Ramelow vorwirft, mit der geplanten Abschaffung landesweiter Regeln einen "Fehler" begangen zu haben. Ramelow hatte am Wochenende angekündigt, die vom Land verhängten Corona-Beschränkungen aufzuheben, war aber Anfang der Woche insofern zurückgerudert, als Maskenpflicht in Bus, Bahn und Einzelhandel weiter bestehen solle, ebenso die Pflicht, den Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten.
Nicht mitgehen möchte der Linken-Politiker aber offensichtlich bei Merkels Vorschlag, private Kontakte weiter zu beschränken auf die nun beschlossenen Treffen mit maximal zehn Personen. Die Überschreitung dieser Schwelle der Privatsphäre durch eine staatliche Verordnung sei nicht zu rechtfertigen, so sieht es Ramelow. Aus rechtlicher Perspektive sei diese Position vertretbar, sagt der Verfassungsrechtler Joachim Wieland im Gespräch mit ntv.de. "Bei dieser Entscheidung geht es um unbestimmte Rechtsbegriffe: Wie schwer ist der Eingriff? Wie zumutbar für den Betroffenen? Gibt es mildere Alternativen? Da kann man natürlich sagen, gerade im eigenen Heim, wo Menschen zu Hause sind, braucht der Staat bessere Argumente für einen Eingriff, als wenn er in öffentlichen Verkehrsmitteln etwas regelt."
Politisch sieht der Wissenschaftler hingegen ein Risiko für den Landesvater. "Sollten die Zahlen wieder in die Höhe schnellen, dann wird er zu härteren Mitteln greifen müssen. Wer jetzt in diesen Freigabe-Wettbewerb einsteigt, der sollte sich auch überlegen: Wie kommt er hinterher wieder raus?"
Zeit, den Staat weiter zurückzunehmen
Zumal die Konkurrenz nicht schläft: Das Duo Kretschmer/Köpping aus Sachsen spielt mit dem Gedanken, Familienfeiern mit bis zu 50 Leuten zu erlauben. Ministerpräsident Michael Kretschmer sieht bei neun Landkreisen ohne Neuinfektionen die Zeit gekommen, den "Staat weiter zurückzunehmen". Gesundheitsministerin Petra Köpping möchte es leichter machen, Menschen in Alten- und Pflegeheimen zu besuchen. Entschieden wird in der kommenden Woche.
Und auch Markus Söder hat die Stimmungslage in Deutschland erkannt. Zwar warnt er vor einem Paradigmenwechsel, öffnet aber ab Mitte Juni Theater, Kinos und Konzertsäle. Bis zu 50 Personen sollen sich in geschlossenen Räumen aufhalten dürfen, draußen dürfen es 100 Gäste sein.
Verfassungsrechtler Wieland begrüßt durchdachte Lockerungen. Eine vollständige Beendigung der Schutzmaßnahmen wäre aus seiner Sicht jedoch kaum zu rechtfertigen. "Die Abwägung zwischen Freiheitsgewinn und Gesundheitsrisiko ist bei unserem jetzigen Kenntnisstand nur sehr schwer zu treffen. Das kann den Politikern auch ein Gericht nicht abnehmen." Das Gericht könne nur sichern, dass die Politik nicht mit zu lascher Haltung gegen die Pflicht zum Gesundheitsschutz verstößt und nicht mit zu strikten Maßnahmen unzulässig in die Freiheit eingreift.
Ohne Impfstoff und Medizin ist Maskenpflicht zumutbar
Der Verfassungsklage der brandenburgischen AfD-Fraktion, mit der die Partei die Maskenpflicht und die Einschränkung der Versammlungsfreiheit kippen will, räumt Wieland kaum Chancen ein. Die AfD argumentiert, im Flächenland Brandenburg liege die Mortalität unter einem Prozent, nur 128 Brandenburger seien derzeit an Covid-19 erkrankt - "gerade mal 0,005 Prozent", hat die Fraktion berechnet. "Die Maskenpflicht ist ein Eingriff in die freie Entfaltung der Persönlichkeit", pflichtet Wieland bei, "aber es gibt viele solcher Eingriffe, die vor Gericht Bestand haben, wenn sie zumutbar sind und einen vernünftigen Zweck verfolgen." In der gegenwärtigen Situation ohne Impfstoff und ohne Heilmittel gegen Covid-19 sei es nach seiner Einschätzung durchaus zumutbar, wenn man auch zum Schutz anderer Menschen in bestimmten Situationen eine Maske tragen müsse.
Die Brandenburger Landesregierung kündigte unterdessen ebenfalls Lockerungen bei den Corona-Verboten an. Bis zu zehn Menschen können künftig draußen in einer Gruppe unterwegs sein. Private Feiern sind ab Donnerstag mit bis zu 50 Personen möglich. Die Regeln für Schutzmasken und Abstand gelten weiterhin.
Und auch der grüne Landeschef Kretschmann gönnt den Menschen vorsichtige Lockerungen. Ab dem 1. Juni erlaubt die Landesregierung öffentliche Veranstaltungen mit Bestuhlung für weniger als 100 Menschen. Einen Tag später sollen Bolzplätze, Jugendhäuser und Bars wieder öffnen. Eine interessante Meldung auch, weil man gedacht hätte, dass es so etwas wie "Bars" in Baden-Württemberg gar nicht gibt.
Quelle: ntv.de