Politik

CDU stützt Merkel-Macron-Plan Deutschland will nicht Dominator sein

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Merkel beim EU-Gipfel in Brüssel im vergangenen Herbst.

(Foto: picture alliance/dpa)

Bundeskanzlerin Merkel rückt in ihrem mit Präsident Macron gefassten Plan zur Wiederbelebung der EU von Prinzipien ab. Das findet in der CDU dennoch Zustimmung. Die neue Großzügigkeit gegenüber dem Corona-gebeutelten Süden ist auch der Furcht vor dem Bild vom hässlichen Deutschen geschuldet.

Außergewöhnliche Krisen bringen es mit sich, dass selbst eherne Prinzipien infrage gestellt werden. Bei der CDU ist ein solches Prinzip, dass Haushaltslöcher anderer EU-Länder nicht mit deutschem Steuergeld gestopft werden dürfen. In diesen Tagen aber machen sich Unionspolitiker genau dafür stark, und zwar auch jene, die sonst zu den ersten Verteidigern dieses Grundsatzes gehören, wie etwa der Parteivorsitzkandidat Friedrich Merz. Der sieht zwar rechtliche Probleme und warnt vor einer Transferunion, lehnt das von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron entwickelte Wiederaufbauprogramm für die EU aber nicht grundsätzlich ab.

Bis zu 500 Milliarden Euro soll die EU an Schulden aufnehmen und an ihre Mitgliedstaaten weiterleiten, die es sonst nicht aus eigener Kraft zurück auf die Füße schaffen. Den Kredit für diese nicht rückzahlbaren Zuschüsse würden alle Mitgliedstaaten gemeinsam abstottern, und zwar jeder in der Größenordnung seines Anteils am EU-Haushalt. Deutschland könnte demnach 27 Prozent des Kreditvolumens zahlen, 135 Milliarden Euro. Außen vor ist noch die Frage, wer für die Zinsen aufkommen soll und nach welchen Kriterien das Geld verteilt wird. Möglich, dass Deutschland sogar noch mehr zahlt, ohne dass ein Euro nach Deutschland fließt.

Ein kleiner Sieg für Macron

Das ist ein deutlicher Schwenk für eine Bundesregierung, deren Chefin in Brüssel bis vor Kurzem noch vehement gegen Corona-Bonds gekämpft hat, weil eine Vergemeinschaftung von Schulden mit ihr nicht zu machen sei. Die französische Tageszeitung "Libération" schreibt gar von einer "spektakulären Bekehrung": Merkel sei der Konfession Macrons beigetreten, der schon seit seinem Amtsantritt 2017 für einen autonomen EU-Haushalt wirbt, damit Brüssel eine Angleichung der Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse in Europa forcieren kann. Merkel, so ließe sich kurzfassen, will in der Not nicht noch einmal als Gesicht eines hässlichen Deutschlands herhalten müssen.

Großbritanniens Abschied, Frankreichs Abstieg: Schon vor der Corona-Krise war die Bundesrepublik der wirtschaftlich dominante Akteur in der EU. Nun kommt das Land auch noch besser als jeder andere Flächenstaat durch die Krise, hat mit die geringsten Opferzahlen pro Einwohner zu beklagen, ohne dass die Wirtschaft genauso drastisch hatte heruntergefahren werden müssen wie in Italien, Frankreich oder Spanien. Zugleich haben Bund und Länder die ökonomische Potenz, ihre Unternehmen in viel größerem Umfang am Leben zu halten - sei es durch Kreditprogramme, unbefristetes Kurzarbeitergeld oder direkte Zuschüsse und Staatsbeteiligungen.

Warnung vor dem "asymmetrischen Schock"

Von den mehr als 2000 Milliarden Euro, die alle EU-Länder zusammen an direkten Beihilfen für Unternehmen leisten, entfällt fast die Hälfte (47 Prozent) auf Deutschland. EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager warnte am Montag im Gespräch mit dem Wirtschafts- und Finanzausschuss des EU-Parlaments deshalb vor einem "asymmetrischen Schock auf Kosten der Mitgliedsländer, die ihre Unternehmen nicht so gut schützen können". Die Ausschussvorsitzende Irene Tinagli, eine italienische Sozialdemokratin, kritisierte: "Die Feuerkraft der ökonomischen Hilfen ist nicht immer in Übereinstimmung mit dem Anteil der Länder an der europäischen Wirtschaft."

Entsprechend zurückhaltend ist Brüssel auch beim Durchwinken weiterer Hilfen, etwa beim deutschen Einstieg in die Lufthansa für neun Milliarden Euro. Die Wettbewerbskommission pocht darauf, dass der deutsche Luftfahrtriese im Gegenzug europäischen Konkurrenten Vorteile einräumt. Im Ausschuss räumte Vestager freimütig ein: "Einer der Gründe, warum wir etwas strenger sind bei direkten Kapitalspritzen, ist, dass wir das Risiko von langfristigen Wettbewerbsverzerrungen so gering wie möglich halten möchten."

Conte reagiert euphorisch

Die wohlhabenden oder weniger stark von Corona betroffenen Länder verbessern ihre relative wirtschaftliche Stärke innerhalb der Union. Auf Deutschland trifft beides zu, was auch Berlin Sorge bereiten muss. Die Kritik an Deutschlands auf Export angelegtes Wirtschaftsmodell, wodurch das Land mehr als jedes andere vom Binnenmarkt profitiert, begleitet Merkel schon durch ihre ganze Amtszeit. Sie kennt die Sprengkraft, wenn Populisten in gebeutelten Mitgliedsländern das Lied vom egoistischen und rechthaberischen Deutschland singen, das seine Rolle innerhalb der EU nur zum eigenen Vorteil gestaltet.

Gerade an der Spitze von Europas Sorgenkind Nummer eins, Italien, machen Politiker gerne von diesem Argumentationsmuster Gebrauch. Der Merkel-Macron-Plan aber scheint geeignet, den römischen Frust über das Scheitern der Corona-Bonds in Wohlgefallen aufzulösen. Regierungschef Giuseppe Conte sprach nach Vorstellung der Idee von einem "mutigen und wichtigen Schritt". Als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den 500-Milliarden-Plan am Mittwoch um zusätzliche 250 Milliarden Euro an Kreditbeihilfen aufblies, wurde Conte gar euphorisch: Der Plan aus Brüssel sei ein "exzellentes Signal".

Berlin kann es nicht wie Wien machen

Dem verschuldeten Italien steht das Wasser bis zum Hals. Contes Regierung sucht nach flüssigen Mitteln, um die omnipräsenten Haushaltslöcher zu stopfen. Deshalb lehnte das Land bisher auch EU-Rettungsmittel ab, die an konkrete Auflagen gebunden waren. Weil der 500-Milliarden-Euro-Fonds aber von den Länderparlamenten abgesegnet werden muss, um Realität zu werden, wird dieser voraussichtlich auch noch mit etwaigen Zweckbindungen und Kontrollmechanismen versehen werden. Ansonsten ist an Zustimmung in den Geberländern nicht zu denken, erst recht nicht bei den selbsternannten "sparsamen Vier", Dänemark, Niederlande, Österreich und Schweden.

Diesem von Kanzler Sebastian Kurz geschmiedetem Bündnis kann und will sich Berlin keinesfalls anschließen. Zum einen, weil diesen relativ kleinen Ländern ihr Eigensinn von den übrigen Mitgliedstaaten eher verziehen wird als der mit Erwartungen überfrachteten Großmacht Deutschland. Zum anderen, weil Deutschland am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt und die Bundesregierung dann binnen eines halben Jahres flugs den europäischen Karren aus dem Schlamm zerren will, bevor Berlin im Vorgeplänkel des Wahljahrs 2021 abtaucht.

Mit Leitmotiv auf Europatournee

Am Mittwochabend erklärte Merkel auf einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung die Grundzüge ihrer letzten großen Europatournee, bevor sie von der politischen Bühne abtritt. Ihr "Leitmotiv", sagte die Kanzlerin, seien "europäischer Zusammenhalt und europäische Solidarität". Auf der Agenda der deutschen Ratspräsidentschaft stehen neben dem Ausweg aus der Corona-Krise die Festlegung einer ambitionierten und kohärenten EU-Klimapolitik, eine Einigung beim Dauerstreitthema Migration, dazu die Beziehungen zu China und Russland. Zwingend notwendig also, dass Deutschland nicht als großer, aber isolierter Gewinner der Corona-Krise daherkommt, sondern sich durch praktizierte Solidarität Verbündete schafft.

Dass der Merkel-Macron-Plan nicht nur den ökonomischen Zweck verfolgt, den Wirtschaftsraum Europa am Leben zu erhalten, sondern auch ein politisches Signal setzen will, mag den Zuspruch innerhalb der Union befördert haben. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer lobte das Konzept im Gespräch mit ntv.de als "wegweisend". Unionsfraktions-Vize Andreas Jung und der haushaltspolitische Sprecher Eckhardt Rehberg warben in einem offenen Brief an die übrigen Unionsabgeordneten für den Merkel-Macron-Plan. Aus Sicht der SPD handelt es sich dabei ohnehin nur um das, was mindestens getan werden muss.

Widerstände vorhanden

Durch ist das Vorhaben damit aber noch nicht, auch in Deutschland gibt es Kritik. Der CDU-Wirtschaftspolitiker Klaus-Dieter Willsch befürchtet dem "Tagesspiegel" zufolge, dass der Grundstein für eine dauerhafte Verschuldungsmöglichkeit Brüssels gelegt wird. Die CDU-Mittelstandsvereinigung sprach sich gegen direkte Zahlungen in nationale Haushalte aus. Der CSU-Europaabgeordnete Klaus Ferber warnt vor einer Vorstufe zur Schuldenunion und fordert eine seriöse Gegenfinanzierung. Auch FDP und AfD lehnen das Vorhaben ab.

Reiner Holznagel vom Bund der Steuerzahler verwies zudem im Gespräch mit dem Portal T-Online darauf, dass die im April von der EU vereinbarten Nothilfen über 540 Milliarden Euro noch gar nicht abgerufen worden seien. Hierfür nimmt die EU zwar auch Kredite am Markt auf, die Verwendung ist allerdings eng zweckgebunden: für Kurzarbeitergeld-Programme, für Darlehensgarantien für Unternehmen und für staatliche Gesundheitskosten in den Krisenländern. Dass Deutschland über den Umweg Brüssel direkt dafür aufkommen könnte, wenn Italien zum Beispiel seine Stromversorgung grün umgestaltet, ist dann noch einmal eine ganz andere Qualität.

Quelle: ntv.de

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