Stopp für russisches Öl und Gas? Deutschland zögert bei Energiesanktionen
07.03.2022, 18:12 Uhr
Sollte der Westen russische Energielieferungen boykottieren? Angesichts der dramatischen Meldungen aus der Ukraine werden auch in Deutschland die Rufe nach einem Stopp der Öl-, Gas- und Kohle-Importe lauter. Während sich die Regierung sträubt, scheint man in den USA bereits einige Schritte weiter zu sein.
Gerade in Krisenzeiten haben politische Gewissheiten eine mitunter kurze Haltbarkeit. Und so war es womöglich nur eine Momentaufnahme, als Bundeskanzler Olaf Scholz am heutigen Montag sagte, Deutschland setze weiter auf Energieimporte aus Russland. Trotz des Krieges in der Ukraine, trotz der russischen Aggression. "Die Versorgung Europas mit Energie für die Wärmeerzeugung, für die Mobilität, die Stromversorgung und für die Industrie kann im Moment nicht anders gesichert werden", betonte der Kanzler, bewusst habe man die Lieferungen von Sanktionen ausgenommen. Diese seien von "essentieller Bedeutung für die Daseinsvorsorge und das tägliche Leben" der Bürgerinnen und Bürger.
Dass die Energieversorgung vor allem Deutschlands in hohem Maße von Russland abhängt, ist unbestreitbar: Laut Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) lag der Anteil russischer Erdgaslieferungen am deutschen Verbrauch zuletzt bei knapp über 50 Prozent, bei 34 Prozent wiederum lag Russlands Beitrag demnach bei den deutschen Erdöl-Importen. Für Steinkohle bezifferte das Statistische Bundesamt den Anteil zuletzt auf 57 Prozent.
Welchen eigenen Schaden ist Deutschland bereit in Kauf zu nehmen, um den Kriegsplänen des russischen Präsidenten Wladimir Putin Einhalt zu gebieten? Bei allen Abhängigkeiten - nicht nur der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert einen Stopp russischer Energielieferungen, auch hierzulande werden die Rufe nach einem Boykott von Russlands Öl, Gas und Kohle lauter. Die Debatte gewinnt an Dynamik.
Strack-Zimmermann: Es wäre konsequent
Einer der prominentesten Befürworter ist der CDU-Bundestagsabgeordnete Norbert Röttgen. "Wir müssen alles, was in unserer Macht steht, tun, um die Ukrainer in ihrem Kampf gegen Putin und für die Freiheit zu unterstützen", schrieb der Außenpolitiker in einem am Sonntag erschienenen Gastbeitrag im "Tagesspiegel". Sein Aufruf an die Bundesregierung: Die Gas- und Öl-Importe aus Russland müssten "jetzt" gestoppt werden. Ähnlich sieht es seine Parteikollegin und CDU-Vize Karin Prien.
CDU-Chef Friedrich Merz wiederum hatte am Vortag zwar deutlich gemacht, dass eine Verschärfung der Strafmaßnahmen, die einen Verzicht Deutschlands mit sich bringen würde, derzeit nicht erwogen werde. Doch er stellte in Aussicht: "Aber wir sind offen, wenn sich dieser Krieg fortsetzt, wenn auch die Grausamkeiten an der Zivilbevölkerung sich fortsetzen sollten, dass wir dann auch zu diesem Mittel greifen müssten."
Dabei sind es längst nicht nur Unionspolitiker, die den Druck auf Moskau über Energiesanktionen erhöhen wollen. FDP-Sicherheitsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann: "Ein Importstopp für Öl und Gas wird in Berlin natürlich diskutiert und wäre entsprechend konsequent, damit wir mit unseren Devisen nicht indirekt Putins Krieg mitfinanzieren." Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland kritisierte die Bundestagsabgeordnete, dass es überhaupt so weit gekommen sei, dass man sich über Jahrzehnte von russischer Energie abhängig gemacht habe.
Habeck und Lindner bremsen
Abzuwarten bleibt, wie Deutschland langfristig in Sachen Energieversorgung auf den Krieg in der Ukraine reagiert - inwieweit der Ausbau erneuerbarer Quellen zusätzlich gestärkt wird oder die Regierung die Versorgung auch auf anderem Wege, ohne Einfluss Russlands, sichert. Zum Beispiel über den Kauf von Flüssigerdgas (LNG), für das der Bund 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung stellen will. Wirtschaftsminister Robert Habeck kündigte an, eine nationale Gasreserve aufbauen zu wollen.
Von einer Sanktionierung der russischen Energieimporte hält Habeck, zumindest derzeit, jedoch nichts. "Ich würde mich sogar dagegen aussprechen, weil wir damit den sozialen Frieden in der Republik gefährden", sagte der Vizekanzler vergangene Woche. Die Abhängigkeit von russischer Energie könne nicht in wenigen Monaten beendet werden. Das Argument für ein Festhalten an den Importen liegt auf der Hand: Nicht nur die Energiesicherheit, auch die Preisstabilität müsse sichergestellt werden, sagte Habeck.
So sieht es auch Christian Lindner. "Verzichten wir auf Gas-, Öl- und Kohlelieferungen aus Russland, bedeutet das, dass die Preise in Westeuropa und in der Welt dramatisch steigen werden aufgrund der erwartbaren Knappheit", sagte der Finanzminister bei Bild TV. Außenministerin Annalena Baerbock zeigte sich am Sonntagabend im ZDF zwar betroffen von den Ereignissen in der Ukraine, verwies aber ebenfalls auf die deutschen Abhängigkeiten. Immerhin: Die Regierung schaue, "wie man schrittweise vorgehen kann, dass wir nach und nach auch hier den Stecker ziehen".
Debatte auch in den USA
Und so scheint Deutschland Anfang dieser Woche, nach zwölf Tagen Ukraine-Krieg, an Russlands Energielieferungen vorerst festhalten zu wollen. Abrupt auf alle Importe verzichten wird die Bundesregierung jedenfalls nicht. Wahrscheinlicher erscheint derweil das, was nicht nur Baerbock andeutete, sondern auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell in der vergangenen Woche nach einem Treffen des Auswärtigen Rates erklärte. Man werde die Einfuhren reduzieren, sagte Borrell. "Das ist unsere Absicht. Das werden wir tun."
Weitaus näher erscheint ein Verzicht auf russisches Öl und Gas indes in den USA. Auch dort diskutiert die Politik über eine schärfere Sanktionierung Moskaus. Während Präsident Joe Biden unlängst betonte, dass diesbezüglich "nichts ausgeschlossen" sei, haben republikanische und demokratische Senatoren am vergangenen Donnerstag einen parteiübergreifenden Gesetzentwurf vorgelegt, der Öl- und Gas-Importe aus Russland verbieten soll. Das berichtete unter anderem die "Washington Post". Laut US-Außenminister Antony Blinken besprechen die Vereinigten Staaten mögliche Schritte in diese Richtung mit ihren Verbündeten.
In Amerika, wo die Energiepreise wie in Deutschland zuletzt deutlich angestiegen sind, ist man sich der Tatsache bewusst, dass ein Boykott der russischen Importe die Bürgerinnen und Bürger aller Voraussicht nach finanziell belasten würde. Allerdings sind die USA weitaus weniger abhängig von Gas- und Öl-Lieferungen aus Russland. Bei NBC sagte der demokratische Senator Joe Manchin, die Menschen in seinem Bundesstaat West Virginia seien der Meinung, es sei töricht, wenn das Land weiterhin die Produkte kaufe und Putin Geld gebe, "damit er es gegen das ukrainische Volk einsetzen kann".
Quelle: ntv.de, mbe