Besonderheit des US-Strafrechts Die Grand Jury
19.05.2011, 07:27 UhrIn amerikanischen Strafverfahren entscheidet eine "Grand Jury", ob die Beweise für eine Anklage ausreichen. Das Gremium ist eine Besonderheit des US-Strafrechts, die auf die englische Magna Charta zurückgeht. Kritiker sagen, eine Grand Jury sei nur dazu da, die Klageschrift abzunicken.
Die Entscheidung der Grand Jury ist der nächste Schritt im Strafverfahren gegen den zurückgetretenen IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn. Das aus bis zu 23 Geschworenen bestehende Gremium ist eine Besonderheit des US-Strafrechts: Die Laienrichter prüfen hinter verschlossenen Türen, ob die von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Beweise für eine Anklage ausreichen. Wenn Strauss-Kahn am Freitag vor der Jury Gericht erscheint, wird ihm das Ergebnis der Beratungen offiziell mitgeteilt. In der Regel winken die Geschworenen die Anklage der Staatsanwaltschaft durch.
Bereits in der englischen Magna Charta von 1215 wurde die Grand Jury als Schutzmechanismus gegen Willkürjustiz festgeschrieben, später wurde diese Form der Laienbeteiligung in Kanada, Australien und anderen Ländern des angelsächsischen Rechtsraumes angewendet. Heute sind Grand Jurys nur noch in den USA im Einsatz: Der fünfte Zusatzartikel der US-Verfassung verlangt eine Grand-Jury-Entscheidung bei schweren Verbrechen nach Bundesrecht, außerdem kennt etwa die Hälfte der Bundesstaaten diese Vorstufe zum Strafprozess.
Die Geschworenen werden entweder von den Behörden aus der Bevölkerung ausgewählt oder nach dem Zufallsprinzip bestimmt. Die Staatsanwaltschaft präsentiert der Grand Jury unter Ausschluss der Öffentlichkeit ihren Fall, auch Zeugen können gehört werden. Im Fall Strauss-Kahn sagte das mutmaßliche Opfer, ein 32-jähriges Zimmermädchen, am Mittwoch aus. Die Anwälte der Verteidigung sind bei den Sitzungen dagegen nicht zugelassen, auch ein Richter ist nicht zugegen. Kritiker bezeichnen die Grand Jury daher als überflüssiges Organ, dessen einzige Aufgabe es sei, die Klageschrift der Staatsanwaltschaft abzunicken.
Sollten die Geschworenen zu dem Schluss kommen, dass die Beweise nicht ausreichen, müsste Strauss-Kahn umgehend freigelassen werden. Als wahrscheinlicher gilt aber, dass die Geschworenen formal Anklage erheben - wobei sich die Anklagepunkte im Vergleich zu den am Montag vor der Haftrichterin präsentierten Vorwürfen allerdings ändern könnten. Strauss-Kahn waren sechs Punkte zur Last gelegt worden, darunter versuchte Vergewaltigung, erzwungener Oralsex und Freiheitsberaubung. Dem früheren IWF-Chef droht dabei eine maximale Haftstrafe von mehr als 74 Jahren.
Das New Yorker Gericht dürfte noch am Freitag eine neue Anhörung ansetzen, üblicherweise zwischen zehn Tagen und zwei Wochen später. Bei diesem Termin wird die Anklage offiziell verlesen und Strauss-Kahn müsste formal auf schuldig oder nicht schuldig plädieren. Seine Anwälte haben bereits angekündigt, "energisch" gegen die Vorwürfe vorzugehen. Ein sogenanntes Plea Bargain, ein im Gegenzug für ein Schuldeingeständnis zwischen Anklage und Verteidigung ausgehandeltes milderes Strafmaß, scheint unwahrscheinlich.
Beide Seiten würden mit der Vorbereitung auf den Prozess beginnen, der nach Einschätzung von Experten binnen drei Monaten und einem Jahr vor dem New York Supreme Court beginnen könnte. Strauss-Kahn bliebe vorerst im Gefängnis. Die Haftrichterin hatte eine Freilassung gegen eine Kaution von einer Million Dollar am Montag wegen Fluchtgefahr abgelehnt. Über ein neues Gesuch soll am Donnerstag entschieden werden. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft sagte aber bereits, es sei unwahrscheinlich, dass das Gericht dem zustimmen werde: "Nichts hat sich geändert."
Quelle: ntv.de, Gregor Waschinski, AFP