Politik

Drohnen und waghalsige Angriffe Die Ukraine beherrscht den Kampf um das Schwarze Meer

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Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj bei seinem Besuch auf der Schlangeninsel im Juli.

Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj bei seinem Besuch auf der Schlangeninsel im Juli.

(Foto: via REUTERS)

Seit Monaten gibt es an der Kriegsfront in der Ukraine kaum noch Bewegung. Deutlich besser läuft es für Kiews Truppen im Schwarzen Meer. Die Russen haben ihre Kriegsschiffe zurückgezogen und feuern "nur" noch aus der Ferne. Die Ukraine hat die Kontrolle zurückgewonnen.

Auf dem Festland wird es für die Ukraine immer schwieriger, gegen die Russen anzukommen. Es fehlen Munition und Kriegsgerät für große Geländegewinne. Die Zeit spielt für das ausdauernde Russland. Auf See ist die Situation eine andere: Im Schwarzen Meer hat die Ukraine die russischen Angreifer zurückgedrängt und die Kontrolle zurückgewonnen.

Der erste große Schlag ist die Versenkung des Flaggschiffs der russischen Schwarzmeerflotte Moskwa im April 2022. Zwei Monate später, Ende Juni, feiert die Ukraine den nächsten Erfolg, als die russischen Besatzer von der ukrainischen Schlangeninsel flüchten. Das ist ein winziger, aber strategisch wichtiger Flecken Erde im Westen des Schwarzen Meeres, 35 Kilometer vor der ukrainischen Küste.

Im September attackieren Kiews Truppen russische U-Boote im Hafen von Sewastopol auf der illegal annektierten Krim mit britischen Marschflugkörpern. Ende Oktober gelingt den Ukrainern der nächste Coup auf See, als sie mit hochmodernen ferngesteuerten Schiffsdrohnen den Militärstützpunkt der Russen angreifen. Die Ukraine greift außerdem die Kertsch-Brücke an, die die Krim mit Russland verbindet. Im Juli dieses Jahres wird die Brücke erneut mit Drohnen angegriffen.

Anfang August attackiert die Ukraine einen russischen Tanker. Die Drohne reißt ein acht Meter breites Loch in die Schiffswand des Tankers, der Benzin für Russlands Truppen auf die Krim bringen wollte.

Mitte September landen die Ukrainer einen weiteren Schlag gegen den Militärstützpunkt in Sewastopol. Wenige Tage später wird auch das Hauptquartier der Schwarzmeerflotte auf der Krim erneut bombardiert. "Das war aus taktisch-strategischer Sicht sehr beeindruckend, weil die Russen aus ihrem Krim-Hauptquartier heraus alle Operationen im Schwarzen Meer steuern. Sie kontrollieren von hier auch, was an der Südfront passiert", kommentiert Cedric Leighton, Ex-Oberst der US-Luftwaffe, bei CNN.

Großteil der Schwarzmeerflotte weg von der Krim

Die Russen haben den Großteil ihrer Schwarzmeerflotte inzwischen längst von der Krim abgezogen, berichtet unter anderem das "Wall Street Journal" und verweist auf Satellitenbilder, die zeigen, dass etliche U-Boote und Schiffe der russischen Kriegsflotte an andere Schwarzmeerhäfen verlegt wurden.

Zuletzt meldete das amerikanische Institute for tschlanghe Study of War (ISW), dass auch alle übrigen Kriegsschiffe und Raketenträger aus dem Haupthafen in Sewastopol weggebracht wurden. Der Grund seien die heftigen Winterstürme in der Region, heißt es unter Berufung auf die Ukraine.

Das ukrainische Magazin "Defense News" fand unter Berufung auf Kiews Partisanengruppe Atesh allerdings heraus, dass ein Teil der Krim-Kriegsflotte der Russen nur wenige Kilometer entfernt von Sewastopol in die sogenannte Quarantänebucht verlegt wurde.

Dennoch lässt sich festhalten, dass Kiews Streitkräfte das Schwarze Meer wieder dominieren und die Ukraine auf dem Weg ist, zumindest die Seeschlacht zu gewinnen. Und das ohne eine funktionierende klassische Marine. Kiew setzt stattdessen auf "waghalsige Kommando-Angriffe und eine Kombination aus Drohnen und Langstrecken-Marschflugkörpern aus dem Westen", analysiert die amerikanische Denkfabrik Atlantic Council.

Wirtschaftsfaktor Schwarzes Meer

Das Schwarze Meer hat für die Ukraine aus mehreren Gründen eine strategisch hohe Bedeutung. Kiew verfolgt zwei Ziele: Einerseits geht es darum, die Seeblockade der Häfen im Südwesten des Landes zu beenden. Andererseits will die Ukraine Nachschublieferungen für Putins Truppen auf dem Seeweg unterbinden.

Wirtschaftlich ist das Schwarze Meer ebenfalls wichtig. Dort verläuft die wichtigste Handelsroute für Kiew, vorrangig für die vielen Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine. Der Eisenbahntransport Richtung Westen ist deshalb keine gute Alternative, weil ukrainische Bahnstrecken eine andere Spurweite haben als zum Beispiel in Polen oder Rumänien.

Gut ein Jahr lang hat das Getreideabkommen zwischen der Ukraine, Russland, der Türkei und den Vereinten Nationen gehalten, dann stieg der Kreml im Juni dieses Jahres aus. Seitdem sind auch zivile Schiffe im Schwarzen Meer nicht mehr sicher. Moskau kündigte nach dem Austritt aus dem Abkommen an, alle Schiffe mit dem Ziel Ukraine als solche einzustufen, "die potenziell militärische Ladung transportieren".

Neuer Getreidekorridor

Aber seit September gibt es einen neuen Getreidekorridor, auch ohne Beteiligung Russlands. Die Route verläuft entlang der ukrainischen Südwestküste, dann an der rumänischen Küste vorbei und durch türkische Hoheitsgewässer zum Bosporus. Die Ukraine hat das Schwarze Meer wieder etwas sicherer gemacht, weil sie "eine wichtige Phase der Schlacht um das Schwarze Meer" gewonnen hat, so Militäranalyst Cedric Leighton bei CNN.

In der Zeit des Abkommens hatten innerhalb eines Jahres mehr als 1000 Schiffe das Getreide von drei ukrainischen Häfen aus durch das Schwarze Meer transportiert. Fast 33 Millionen Tonnen Getreide und andere Nahrungsmittel verließen auf diesem Weg die Ukraine. Der größte Teil ging an Entwicklungsländer.

Seit dem Start des neuen Korridors wurden in knapp drei Monaten mittlerweile immerhin etwas mehr als 130 Schiffe von der Ukraine aus durchs Schwarze Meer geschickt - mit mehr als 5 Millionen Tonnen Ladung an Bord.

Das alles war nur möglich, weil es die Ukraine auf See geschafft hat, die Kontrolle zurückzugewinnen. Zumindest für den Moment sieht es im Schwarzen Meer aus ukrainischer Sicht gut aus. Besiegt sind die russischen Seestreitkräfte aber bislang nicht, analysiert das "Institute for the Study of War". Zumal die Russen immer noch auf ihre Langstreckenraketen setzen, die überall im Schwarzen Meer zuschlagen können. Wie im November, als ein ziviles Schiff aus Liberia beim Einlaufen in den Hafen von Odessa von einer russischen Rakete getroffen und eine Person getötet wurde.

Die Schwarzmeerflotte wurde zwar "geschwächt", es sei aber noch zu früh, von einem ukrainischen Sieg im Schwarzen Meer zu sprechen, analysiert das ISW. Immerhin ist die Situation auf See aber deutlich besser als an Land.

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Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?

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Quelle: ntv.de

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