Neue Heizungen für Mietshäuser "Die Wärmewende wird alle Geld kosten, so ehrlich muss man sein"
29.06.2023, 16:24 Uhr Artikel anhören
In vielen deutschen Heizkellern stehen nach wie vor Zentralheizungen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Bis 2045 sollen alle Wohngebäude in Deutschland klimaneutral sein. Für Eigenheimbesitzer sind mit diesem Plan kostspielige Entscheidungen verbunden, aber die Hälfte der Deutschen wohnt zur Miete und hat keinen Einfluss auf die Wärmewende im Bestand. Techem-Chef Matthias Hartmann will Mieterinnen und Mieter trotzdem nicht aus der Verantwortung entlassen: "25 bis 30 Prozent des energetischen Verbrauchs wird durch die Konsumenten beeinflusst", erzählt der Chef des Energiedienstleisters im "Klima-Labor" von ntv. "Es gibt Menschen, bei denen das Bewusstsein dafür - sorry - einfach nicht da ist." Deswegen sei es wichtig, Verbräuche genau zu messen. Allein durch digitales Monitoring der Gasheizung könne man 10 bis 12 Prozent Energie einsparen, sagt Hartmann. Aber damit ist es nicht getan, an energetischen Sanierungen und neuen Heizungsanlagen führe kein Weg vorbei: "Die Vermietenden werden Geld in die Hand nehmen müssen und die Mietenden müssen sich darauf einstellen, dass es für sie ebenfalls teurer wird."
ntv.de: In vielen deutschen Mietshäusern finden sich nach wie vor Zentralheizungen, die mit Gas oder Öl betrieben werden. Die müssen eigentlich so schnell wie möglich umgestellt werden, aber darauf haben Mieterinnen und Mieter keinen Einfluss. Können die ihre Beine hochlegen und die Wärmewende entspannt abwarten?

"Die digitale Messung wird das Problem allein nicht lösen, das Dämmen auch nicht. Wir müssen integrativ denken", sagt Techem-Chef Matthias Hartmann im "Klima-Labor".
(Foto: Techem)
Matthias Hartmann: Wie oder womit geheizt wird, ist Sache und Verantwortung des Vermietenden. Mieterinnen und Mieter können aber trotzdem etwas tun, denn 25 bis 30 Prozent des energetischen Verbrauchs wird durch die Konsumenten beeinflusst. Es ist erstaunlich, wie viel man machen kann. Der vergangene Winter war ein Augenöffner.
Inwiefern?
Wann heize ich? Wie lüfte ich? Falsches Lüften führt zu einem deutlich höheren Energieverbrauch. Es gibt gerade in der Heizperiode Klassiker wie das Stoßlüften. Wenn ich meine Fenster angekippt lasse, verbrauche ich wesentlich mehr Energie. Deswegen ist es wichtig, dass wir Verbräuche messen und wissen, was wir tun.
Also scheitert die Wärmewende im Wohnbestand im Zweifel daran, dass wir falsch lüften?
Nein, aber am Ende des Tages müssen wir die ganze Kette betrachten. Viele Entscheidungen liegen bei den Energieversorgern und den Stadtwerken. Die müssen entscheiden, welche Energie sie ins Haus leiten. Dann muss der Vermieter sagen, mit welcher Heizungsanlage er seine Liegenschaft am besten warm bekommt. Schafft man das mit Erneuerbaren oder brauche ich Mischlösungen? Wie energetisch saniert ist das Haus? Wie habe ich gedämmt? Aber am Ende haben diejenigen, die dort wohnen, ihren Energieverbrauch selbst in der Hand. Das darf man nicht vergessen.
Das Ziel der Bundesregierung: Ab 2045 sollen alle Menschen in Deutschland in klimaneutralen Gebäuden leben. Der Gebäudebereich ist allerdings neben dem Verkehrssektor das Problemkind der deutschen Klimaziele. 2022 wurden zwar weniger Treibhausgase ausgestoßen als 2021. Allerdings hat der Sektor die Zielmarke, die vom Klimagesetz vorgegeben wird, um 4,3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente verfehlt. Und das, obwohl der Winter vergleichsweise mild war und viele Menschen wegen der von Russland verursachten Energiekrise freiwillig deutlich weniger geheizt haben als üblich.
Aber Stoßlüften ist doch deutsches Allgemeinwissen. Gibt es wirklich eine Wissenslücke?
Ja, das sehen wir in den einzelnen Häusern. Manche Menschen achten sehr intensiv darauf, aus Überzeugung oder aufgrund des Geldbeutels. Und es gibt Menschen, bei denen die Verbräuche ungleich höher sind. Dort ist dieses Bewusstsein - sorry - einfach nicht da. Im letzten Winter wurde keine Heizung ausgetauscht und trotzdem massiv Energie gespart. Das lag an den Verbrauchern.
Und daran, dass es überall Thema war und Kampagnen gab?
Das Thema "Energieeffizienz" ist ja nicht neu. Aber wir haben uns die letzten 20 Jahre blind auf Versorgungsstrukturen verlassen, die nicht mehr zeitgemäß waren. Dann kam das böse Erwachen und das Thema ist wieder ins Bewusstsein gerückt. Ich kann den Gaskessel rausschmeißen und eine Wärmepumpe kaufen, aber damit ist es nicht getan. Und falls ich mir den Austausch noch nicht leisten kann, kann ich allein durch digitales Monitoring der bestehenden Gasheizung 10 bis 15 Prozent Energie einsparen. Das läppert sich und kostet nicht viel Geld.
Wie gut ist denn die Datenlage in diesem Bereich?
Wir können es nicht für jeden Menschen sagen, aber als digitaler Energiedienstleister machen wir den Wärmedienst für mehr als sechs Millionen Wohnungen in Deutschland und mehr als 12,5 Millionen auf der Welt. Wir erfassen den Verbrauch von Wärme und Warmwasser und rechnen ihn ab. Es soll ja jeder nur das bezahlen, was wirklich verbraucht wurde. Und eine fünfköpfige Familie hat allein durch ihre Anwesenheit einen höheren Energieverbrauch als ein Single, der tagsüber nicht zu Hause ist. Von daher haben wir einen anonymisierten Blick über einen Gutteil der deutschen Wohnungslandschaft von Nord nach Süd und von West nach Ost. Das Ergebnis veröffentlichen wir auch jedes Jahr in unserer Verbrauchskennwerte-Studie. Da kann man sich die regionalen und lokalen Unterschiede anschauen.
Wer sind die deutschen Meister im Energiesparen?
Das hängt von einzelnen Personen ab, aber auch von Temperaturunterschieden: Wie sind Sommer und Winter lokal verlaufen? Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode mit der Wohnungswirtschaft und weiteren Partnern aus Industrie und Wissenschaft rund 100 Mehrfamilienhäuser in Deutschland mit 1200 Haushalten vom Keller bis in die Wohnung mit Funk-Messinfrastruktur ausgestattet und untersucht, ob bessere Gebäudetechnik und deren optimierter Einsatz nennenswerte Effizienzpotenziale heben und dabei helfen, den CO2-Ausstoß der Gebäude signifikant zu senken. Dort fällt die Spreizung beim Heizverhalten auf, aber auch, dass wir viel zu wenig auf die Vermieter achten. In 30 Prozent der Häuser befand sich die Heizungsanlage noch in der Werkseinstellung. In 40 Prozent lief die Heizung im Sommer wie im Winter durch. Und wir haben gesehen, dass 80 Prozent der Gaskessel überdimensioniert waren, frei nach dem Motto: Lieber einen größeren nehmen, falls es doch mal kalt wird. Das kann man mit einfachen Maßnahmen regeln.
Aber weder die Mieter noch sie als Energiedienstleister können den Austausch des Kessels veranlassen.
Nein, aber wir können darauf hinweisen und das tun wir sehr aktiv. Wir betreiben tatsächlich auch 3000 Heizungsanlagen in Deutschland, bei denen wir einen Fahrplan für die Dekarbonisierung aufstellen: Wie mache ich aus einem Mehrfamilienhaus aus den 50er Jahren mit Gaskessel zielgerichtet eine energetische Immobilie, die kein CO2 mehr ausstößt? Was muss ich investieren und wann? Wie informiere ich die Mietenden darüber und auch über ihre Verbräuche? Wir weisen das inzwischen monatlich aus.
Und wie messen Sie das? Wird das nach wie vor an der Heizung abgelesen?
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Früher hat man das analog gemacht. Da hingen "Verdunsterröhrchen" an der Heizung und haben den Verbrauch des Heizkörpers gemessen. Heute sind knapp 82 Prozent unserer Wohnungen mit Funktechnologie ausgestattet. Wir haben 55 Millionen Geräte installiert, die Verbrauch und Leistung des Heizkörpers messen und per Funk ins System spielen. Da muss niemand zum Ablesen vorbeikommen, das ist für alle Beteiligten ein besseres Modell.
Öffentlich findet die Wärmewende bisher ja vor allem bei den Eigenheimbesitzern statt. Wie ist das aus Ihrer Perspektive gelaufen?
Aus Sicht der Energieeffizienz ist die beste Heizform die Wärmepumpe. Das ist nicht neu, das braucht man nicht zu debattieren. Das ist eine etablierte Technologie, die funktioniert. Skandinavische Länder erreichen Wärmepumpenquoten von bis zu 60 Prozent. Bei denen soll es im Winter sogar kälter sein als bei uns und die kriegen trotzdem alle Häuser warm. Wir waren in der Historie aber sehr aufs Gas fokussiert und haben wesentliche Trends verschlafen. Deshalb finde ich den Fokus der Regierung auf das Thema richtig. Aber wahrscheinlich hat man zu schnell zu viel gewollt und die Gegenreaktion ausgelöst. Jetzt wird auf beiden Seiten ideologisiert, das tut dem Thema nicht gut, denn der Gebäudesektor verursacht in Deutschland etwa 30 bis 40 Prozent der Emissionen. Es ist eine Riesenaufgabe, das zu dekarbonisieren. Ich fürchte, dass es durch den Streit Verzögerungen geben wird, die wir uns eigentlich nicht leisten können.
Wenn die Menschen mit ihrem Verhalten bis zu 20 Prozent ihres Verbrauchs und damit viel Geld einsparen können, sind Sie bestimmt an Bord. Die Vermieter auch?
Ein Vermieter wird am Ende des Tages wirtschaftlich rational entscheiden. Energetische Sanierungen sind kostenintensiv. Kann ich mir das leisten und wann bekomme ich das, was ich investiere, zurück? Denn dafür vermietet er ja. Aber parallele Notwendigkeiten zum Sanieren, immer höhere Auflagen beim Lärmschutz, Verordnungen noch und nöcher haben das Bauen so teuer gemacht, dass wir die Quittung bekommen. Wir sind also in einer kritischen Situation, in der alles zusammenkommt. Die Zinsen steigen, die Inflation tut ihr Übriges. Es ist vor allem für kleinere Vermieter eine Herausforderung, ihren Bestand zu sichern. Denn wir sehen auch: Eine schlecht energetisch sanierte Liegenschaft verliert zurzeit an Wert und wird weiter an Wert verlieren.
Und nicht zu sanieren, ist auch keine Lösung? Die Wärmewende im Bestand ist sonst nicht zu schaffen?
Die digitale Messung wird das Problem allein nicht lösen, das Dämmen auch nicht. Wir müssen integrativ denken. Die Politik macht aber Fortschritte. Es war richtig, die kommunale Wärmeplanung mitzudenken, damit ein Vermieter weiß, ob seine Liegenschaft dekarbonisierte Fernwärme nutzen kann. Deswegen müssen Energieversorger überlegen, wie sie vom Gas wegkommen. Und zwar schnell, wir hinken 20 Jahre hinterher.
Und dafür braucht es gesetzlichen Druck?
Dafür braucht es Druck. Die Politik muss Rahmenbedingungen für regenerative Energieträger in der Fläche schaffen. Dann müssen die Vermieter überlegen, ob sie dekarbonisierte Fernwärme beziehen wollen oder ein dezentrales Energiekonzept besser geeignet ist. Packe ich Photovoltaik aufs Dach? Nehme ich eine Wärmepumpe? Und wenn die Liegenschaft zu alt und schlecht gedämmt ist, baue ich noch einen kleinen Gasspitzenlastkessel dazu?
Schaffen wir das denn bis 2045, wie von der Bundesregierung geplant?
Wir sind ja Ingenieursweltmeister und haben gesagt, dass uns das 2050er-Ziel der EU nicht gut genug ist. Dabei hinken wir anderen Ländern weit hinterher und könnten die Zeit gut gebrauchen. Aber jetzt ist das Ziel gesteckt und die Uhr tickt. Das wird ein knappes Rennen. Die politischen Diskussionen helfen nicht, um in die Pötte zu kommen.
Wie schnell erwarten Sie Fortschritte?
Die Vermietenden brauchen Klarheit von der Politik. Die darf und muss man auch einfordern, denn Investitionen in Immobilien sind langfristig. Die Politik muss auch unterstützen, wo man es leisten kann, aber diesen Forderungen wird ja Rechnung getragen. Die Förderprogramme sind da. Aber wir dürfen uns keine Illusionen machen: Die Vermietenden werden Geld in die Hand nehmen müssen und die Mietenden müssen sich darauf einstellen, dass es für sie ebenfalls teurer wird, wenn sie sich nicht entsprechend verhalten. Eine Energiewende zum Nulltarif gibt es nicht.
Aber ist nicht absehbar, dass die Vermieter die Kosten auf Mieterinnen und Mieter umlegen werden - egal, ob die sich darauf einstellen oder nicht.
Sie werden keine Partei aus dem Spiel ignorieren können, so ehrlich muss man sein. Eine energetische Sanierung des Landes wird jeden von uns Geld kosten. Auch den Staat, was am Ende des Tages ja wieder das Geld der Mietenden und der Vermieter ist. Eine verquere Situation, aber wenn wir nichts machen, kostet es noch viel mehr. Das ist das Dilemma.
Mit Matthias Hartmann sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet.
Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Funktioniert Klimaschutz auch ohne Job-Abbau und wütende Bevölkerung? Das "Klima-Labor" ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen der unterschiedlichsten Akteure auf Herz und Nieren prüfen.
Ist Deutschland ein Strombettler? Rechnen wir uns die Energiewende schön? Vernichten erneuerbare Energien Arbeitsplätze oder schaffen sie welche? Warum wählen Städte wie Gartz die AfD - und gleichzeitig einen jungen Windkraft-Bürgermeister?
Das Klima-Labor von ntv: Jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert, Spaß macht und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify, RSS-Feed
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Quelle: ntv.de