Politik

Streit um Gas und Rüstung Zwischen Berlin und Paris herrscht Eiszeit

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Sind sich momentan nicht grün: Macron (li.) und Scholz.

(Foto: picture alliance/dpa/Pool EPA/AP)

Zerbricht die deutsch-französische Freundschaft an der Frage der europäischen Energiepolitik? Der französische Präsident Macron zumindest mahnt beim EU-Gipfel, die deutschen Nachbarn sollen sich nicht "isolieren". Nicht nur bei der Energie ist das Verhältnis von Häme und Neid geprägt.

Es wäre ein hübscher Rahmen gewesen, das Schloss von Fontainebleau mit seinem wunderbaren Park in Herbstfarben: Doch eine Woche vor dem in der Nähe von Paris geplanten Treffen der deutschen und französischen Regierungsmitglieder - und am Vortag des EU-Gipfels - wurde es abgesagt. Dabei gaben beide Seiten überraschend offen zu, dass die Verschiebung des deutsch-französischen Ministerrats auch mit inhaltlichen Differenzen zu tun hat.

"Mein Wunsch ist es immer, die europäische Einheit zu bewahren, und auch die Freundschaft und das Bündnis zwischen Deutschland und Frankreich", betonte Macron in Brüssel. Er traf sich vor Beginn des EU-Gipfels eine halbe Stunde mit Bundeskanzler Olaf Scholz. Danach verkündete er, es sei "nicht gut für Europa", wenn Deutschland "sich isoliert".

Bundeskanzler Olaf Scholz verteidigte die deutsche Haltung erneut gegen Kritik. "Es ist ganz klar, dass Deutschland sehr solidarisch gehandelt hat", sagte der Kanzler. Die Bundesregierung entlaste die Bürgerinnen und Bürger, sagte er unter Anspielung auf den deutschen "Abwehrschirm" von bis zu 200 Milliarden Euro. Das sei "genau das gleiche, was Frankreich macht, Italien macht, was Spanien macht und viele andere Länder", betonte Scholz.

Zugleich erteilte er einem europäischen Gaspreisdeckel erneut eine Absage. Die EU müsse sich auf Konzepte einigen, die auch funktionieren, sagte Scholz. "Niemand möchte Beschlüsse fassen, wo es hinterher theoretisch gut ist, aber kein Gas gibt", betonte der Kanzler. Offen zeigte sich Scholz dagegen für gemeinsame Gaseinkäufe der Mitgliedstaaten. Der Kanzler nannte es wichtig, dass die EU ihre Strategien koordiniere, wie die Gasspeicher im kommenden Jahr gefüllt werden. "Das ist wichtig, damit die Preise nicht steigen", betonte er.

Pipeline-Bau sorgt für zusätzlichen Streit

Die kurzfristige Absage des Ministertreffens in Fontainebleau am Mittwoch war ein Eingeständnis, dass das deutsch-französische Verhältnis einen Tiefpunkt erreicht hat. "Dass in diesen kritischen Zeiten ausgerechnet Deutschland und Frankreich nicht zusammenfinden, ist besorgniserregend für die ganze EU", meint Marc Berthold, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Paris. "Das ist genau das Szenario, das Wladimir Putin sich wünscht", kommentierte die französische Zeitung "Les Echos". Russland komme es entgegen, wenn die Europäer untereinander zerstritten seien.

Die Liste der deutsch-französischen Streitthemen ist lang - und sie birgt genug Zündstoff, um sich auf die gesamte EU auszuwirken. So wirft Frankreich Deutschland in der Energiekrise vor, mit seiner Wirtschaftskraft auf EU-Ebene für Wettbewerbsverzerrungen zu sorgen. Beim EU-Gipfel am heutigen Donnerstag und morgigen Freitag in Brüssel geht es daher auch um gemeinsame Gaseinkäufe.

Auch wenn beide Seiten zugesagt haben, sich im kommenden Winter gegenseitig mit Strom und Gas auszuhelfen, herrscht eine gewisse Häme mit Blick auf die jeweils andere Energiepolitik. Aus deutscher Sicht zahlt Frankreich gerade den Preis dafür, dass es allzu sehr auf Atomkraft gesetzt hat, und nun zahlreiche Reaktoren gleichzeitig still stehen. Frankreich wirft Deutschland hingegen vor, zu lange auf billiges, russisches Gas gesetzt zu haben und nun Kohlekraftwerke laufen lassen zu müssen, wodurch zu viel Kohlendioxid (CO2) ausgestoßen wird.

Unstimmigkeit herrscht auch beim Bau einer Pipeline aus Spanien nach Frankreich. Dadurch könnte zunächst Gas und später auch Wasserstoff nach Frankreich fließen - und von dort weiter nach Deutschland. Das Projekt war 2019 wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit und Umweltbedenken gestoppt worden.

Konkurrenz der Rüstungsindustrien

Frankreich hat wenig Interesse daran, dass Deutschland Gas oder Wasserstoff aus Spanien beziehen könnte, da es beides auch selber liefern könnte. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bekräftigt jedoch das deutsche Interesse am Bau der Leitung und nennt sie ein "Zukunftsprojekt".

Auch bei der Verteidigung gibt es strittige Punkte. Lange hatte Frankreich Deutschland vorgeworfen, zu wenig Geld auszugeben. Seit Deutschland seinen Verteidigungshaushalt massiv erhöht hat, sieht Frankreich mit Schrecken zu, wie Deutschland US-Kampfjets kauft und militärische Ringtausche mit osteuropäischen Ländern organisiert. Dabei geht es vordergründig um die Unterstützung für die Ukraine, aber letztlich auch um Absatzmärkte für die eigene Rüstungsindustrie.

Die gemeinsame Entwicklung des Kampfflugzeugsystems FCAS hat sich wegen industrieller Rivalitäten bereits verzögert. Das französische Unternehmen Dassault will sich nicht in die Karten sehen lassen, die in Deutschland ansässige Rüstungssparte von Airbus will sich nicht mit der Rolle als Zulieferer zufriedengeben. Frankreich will sich zudem keine Exportregeln vorschreiben lassen.

"Es ist viel, viel Porzellan zerschlagen worden"

Der jüngste Affront war aus französischer Sicht der Vorschlag von Scholz, eine europäische Luftverteidigung aufzubauen. Daran wollen sich nun 15 Staaten beteiligen, nicht aber Frankreich, das eine Lösung mit Italien entwickelt.

"Es ist viel, viel Porzellan zerschlagen worden", meint der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber. Deutschland werde als Blockadeland wahrgenommen. "Es hat immer Zeiten gegeben, in denen das Verhältnis angespannt war, aber jetzt ist es schlimmer", meint Jacques-Pierre Gougeon vom Thinktank IRIS. "Wir müssen über das Symbolische hinauskommen", sagt er mit Blick auf den deutsch-französischen Ministerrat. Wichtiger sei es, dass die Ministerien beider Länder nun Kompromisse erarbeiten.

Quelle: ntv.de, lve/AFP

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