"Ein historischer Moment" EU beginnt Beitrittsgespräche mit Ukraine und Moldau
25.06.2024, 20:23 Uhr Artikel anhören
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen würdigte die "unermüdliche Entschlossenheit" der beiden Länder.
(Foto: picture alliance/dpa/XinHua)
Mehr als zwei Jahre nach ihren Anträgen verhandelt die EU mit der Ukraine und Moldau über einen Beitritt. Die Euphorie ist groß. Doch Dauer und Ausgang der Gespräche sind offen. Deutschland verbindet damit auch die Hoffnung auf eine Reform der Staatengemeinschaft.
Die Europäische Union hat offiziell die Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau eröffnet. Vertreter der 27 EU-Mitgliedstaaten und Abgesandte aus den beiden Ländern trafen in Luxemburg zu je einer ersten Sitzung zusammen, bei der die EU unter anderem die Leitlinien für die Gespräche vorlegte. "Dies ist ein historischer Moment für uns alle und ein Meilenstein in unserer Beziehung", sagte die belgische Außenministerin Hadja Lahbib im Namen der EU zum Auftakt der Gespräche. Der Erweiterungsprozess sei eine geopolitische Investition in Frieden, Sicherheit, Stabilität und Wohlstand.
In der Ukraine wurde die Eröffnung der Verhandlungen groß gefeiert. "Heute ist der Tag, auf den wir alle lange und hart hingearbeitet haben - die gesamte Mannschaft der Ukraine", sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer vor seinem Amtssitz in Kiew aufgezeichneten Videobotschaft. Das Land habe nun die definitive Gewissheit, ein vollwertiges Mitglied der EU zu werden. Mit Selenskyj waren Regierungschef Denys Schmyhal und Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk auf dem Video zu sehen.
"Viele haben gesagt, das ist nicht mehr als ein Traum", sagte Selenskyj. Nach "Tausenden von Treffen und Telefonaten" habe Kiew jedoch die Bedingungen für die Aufnahme der Gespräche dank der Entschlossenheit des ukrainischen Volkes erfüllt.
Parlamentspräsident Stefantschuk zeigte sich überzeugt, dass die Ukraine den Beitrittsprozess in Rekordzeit absolvieren werde. "Wir haben alle notwendigen Gesetze verabschiedet und werden das auch weiter tun, damit die Ukraine nie wieder vom europäischen Haus gelöst wird", unterstrich er. Ministerpräsident Schmyhal sagte zum angestrebten EU-Beitritt: "Wir werden dieses Ziel - wie auch alle anderen unsere Ziele - definitiv erreichen." Dem Land sei klar, "dass auf dem Weg zum Beitritt noch viel Arbeit vor uns liegt".
"Keine Abkürzungen"
Trotz "sehr schwieriger Voraussetzungen" angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine hätten die Ukraine und Moldau bereits "enorme Reformanstrengungen unternommen", sagte die deutsche Europa-Staatssekretärin Anna Lührmann zum Start der Verhandlungen. "Beide Länder haben im Bereich der Rechtsstaatlichkeit, der Korruptionsbekämpfung und auch der Pressefreiheit enorme Fortschritte gemacht", erklärte sie in Luxemburg.
Die Ukraine und Moldau hatten den EU-Beitritt nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 beantragt. Bis die beiden Staaten im Osten Europas alle Bedingungen für einen Beitritt erfüllt haben, dürfte es allerdings Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern. Als Voraussetzung gilt im Fall der Ukraine etwa ein Frieden mit Russland. Andernfalls könnte Kiew nach Artikel 42, Absatz 7 des EU-Vertrags militärischen Beistand einfordern - und die EU wäre Kriegspartei. Eine Beitrittsgarantie gibt es nicht.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gratulierte beiden Ländern. Sie haben eine "unermüdliche Entschlossenheit" gezeigt, auf einen EU-Beitritt hinzuarbeiten, sagte sie in einer Videobotschaft bei X. Sie betonte aber, auch vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gebe es "keine Abkürzungen" auf dem Weg zu einer EU-Mitgliedschaft.
Einigkeit aller nötig
Erste inhaltliche Gespräche dürften nach Angaben von Diplomaten im Verlauf der nächsten zwölf Monate beginnen. Bis dahin muss die EU-Kommission noch in einem sogenannten Screening prüfen, inwieweit das nationale Recht der Beitrittskandidaten noch vom EU-Recht abweicht.
Die deutsche Staatssekretärin Lührmann erklärte, mit Blick auf einen Beitritt der Ukraine müsse auch die EU beginnen, sich "auf diese Erweiterung vorzubereiten". Die Reformen müssten sicherstellen, dass "weniger destruktive Blockaden möglich sind". In den vergangenen Monaten hatte insbesondere Ungarns russlandfreundlicher Regierungschef Viktor Orban Fortschritte in den Verhandlungen mit der Ukraine blockiert.
Weil Ungarn ab Juli zudem für sechs Monate den EU-Ratsvorsitz übernimmt, dürften die Beitrittsgespräche zunächst kaum vorangehen. Mit Blick auf die Ukraine sagte Ungarns Europaminister Janos Boka, das Land sei "noch weit davon entfernt, die Beitrittskriterien zu erfüllen". Für fast jeden Schritt im Verfahren ist Einstimmigkeit unter den 27 EU-Mitgliedern notwendig. Ungarn könnte deshalb noch häufig von seinem Veto Gebrauch machen.
Um die Beziehungen zur Ukraine geht es ab Donnerstag auch beim EU-Gipfel in Brüssel. Die Staats- und Regierungschefs beraten über sogenannte Sicherheitsgarantien für die Ukraine, die Kiew in ähnlicher Form bereits mit den USA vereinbart hat. Auch zwischen Deutschland und der Ukraine gibt es bereits bilaterale Vereinbarungen.
Quelle: ntv.de, jwu/AFP/dpa