
"Die Staatsform der Mutigen - das ist die Demokratie!", sagt Steinmeier.
(Foto: REUTERS)
Vor einem knappen Jahr hat Frank-Walter Steinmeier den heutigen US-Präsidenten einen "Hassprediger" genannt. In seiner Antrittsrede als Bundespräsident ist er diplomatischer, aber nicht weniger deutlich.
Große Macht hat der deutsche Bundespräsident bekanntlich nicht. Zu seinen wichtigsten Aufgaben gehört, Deutschland nach innen und außen zu repräsentieren. Aus der Tagespolitik soll er sich raushalten.
Umso bemerkenswerter ist, was Frank-Walter Steinmeier gleich zu Beginn seiner Antrittsrede im Reichstag sagt. Die Amtsgeschäfte hat er bereits am Sonntag übernommen, gerade eben ist er vor den Abgeordneten des Bundestags und den Vertretern des Bundesrats als Bundespräsident vereidigt worden. Er dankt seinem Amtsvorgänger Joachim Gauck, der kurz zuvor ebenfalls eine Rede gehalten hat. Danach dauert es nur fünf Sätze, bis er über die Türkei spricht.
Steinmeier war zwei Mal für jeweils rund vier Jahre Außenminister, er ist Diplomat durch und durch. So beginnt er auch. "Wir versuchen, uns unser Urteil nicht zu einfach zu machen", sagt er. Wer die Türkei vor 30 Jahren bereist habe, sei in ein rückständiges Land gekommen. Heute sei die Türkei ein anderes Land. Sie habe eine Phase von wirtschaftlichem Aufbau und der Annäherung an Europa erlebt. "All das haben wir Deutsche gewürdigt und unterstützt", betont Steinmeier. "Dem Weg, den die Türkei in zwei Jahrzehnten nahm, fühlten wir uns besonders verbunden - auch wegen der vielen Menschen türkischer Abstammung, die in Deutschland leben, arbeiten, hier zuhause sind."
Nicht nur die Aufbauleistung der Türkei würdigt Steinmeier, sondern auch ihre komplizierte Gegenwart. "Wir wissen um die Lage der Türkei in Nachbarschaft der großen Krisenregionen Irak und Syrien. Wir verurteilen den versuchten Militärputsch im vergangenen Sommer." Erst nach dieser langen Vorrede kommt, worauf er hinaus will: "Unser Blick ist von Sorge geprägt, dass all das, was über Jahre und Jahrzehnte aufgebaut worden ist, dass all das zerfällt." Der Bundespräsident spricht den türkischen Staatschef direkt an: "Präsident Erdogan, gefährden Sie nicht das, was Sie mit anderen aufgebaut haben!" Steinmeier fordert ein Ende der "unsäglichen Nazi-Vergleiche" und verlangt Respekt für Rechtsstaat und für die Freiheit von Medien und Journalisten. Er fügt hinzu: "Geben Sie Deniz Yücel frei!"
Deutlicher kann Steinmeier kaum werden
Erdogan hat sich immer beschwert, wenn solche Forderungen kamen. Er argumentiert, Deutschland fordere immer Rechtsstaatlichkeit, verlange dann aber, dass er sich in die Angelegenheiten der Justiz einmische. Steinmeier weiß das natürlich. Implizit sagt er mit seiner Forderung: Die Türkei ist kein Rechtsstaat. Im Vergleich zu dem, wie in Talkshows geredet wird, klingen seine Sätze harmlos. Doch Steinmeier ist nicht nur ehemaliger Diplomat, sondern jetzt auch Bundespräsident. Solange die Bundesregierung nicht die Beziehungen zur Türkei kappen will, kann er kaum deutlicher werden.
Zum eigentlichen Thema dieser Rede passt die Türkei sehr gut: "Wie fest sind die Fundamente der Demokratie?", fragt Steinmeier. "Hat der Westen noch eine Zukunft? Wohin treibt Europa?" Konkrete Antworten auf diese Fragen hat er natürlich nicht, stattdessen eine Geschichte. Vor ein paar Jahren habe er mit dem mittlerweile verstorbenen israelischen Präsidenten Schimon Peres die Hebräische Universität in Jerusalem besucht. Dort habe eine Studentin Peres gefragt, was die Zukunft bringen werde. "Und statt einer langen Antwort hat Schimon Peres ihr eine Geschichte erzählt. 'Die Zukunft', sagt Peres, 'ist wie ein Kampf zweier Wölfe. Der eine ist das Böse, ist Gewalt, Furcht und Unterdrückung. Und der andere ist das Gute, ist Frieden, Hoffnung und Gerechtigkeit.'" Die Studentin habe gefragt, wer den Kampf gewinne. "Peres lächelte und sagte: 'Der, den du fütterst.' Du hast es in der Hand! Wir haben es in der Hand! Das war seine Botschaft an die jungen Leute", so Steinmeier.
Eine ähnliche Botschaft will Steinmeier zum Leitmotiv seiner Präsidentschaft machen. Bereits am Tag seiner Wahl hatte er in einer kurzen Rede zu Mut aufgerufen. Das wiederholt er heute. "Mut ist das Lebenselixier der Demokratie - so wie die Angst der Antrieb von Diktatur und Autokratien ist", sagt er unter dem Applaus des Publikums. "Die Staatsform der Mutigen - das ist die Demokratie!"
"Nein, ich bin nicht neutral"
Denn das eigentliche Thema dieser Rede ist der Zustand der Demokratien weltweit, der Zustand des "normativen Projekts des Westens", wie Gauck vor Steinmeiers Vereidigung gesagt hatte. Mit keinem Wort erwähnt der neue Bundespräsident den amerikanischen Präsidenten. Doch es ist klar, dass es in dieser Rede vor allem um Donald Trump geht - nicht als Person, sondern als Phänomen. "Populisten erhitzen die öffentliche Debatte durch ein Feuerwerk von Feindbildern, laden ein zum Kampf gegen das sogenannte Establishment und verheißen eine blühende Zukunft nach dessen Niedergang", sagt Steinmeier, der Trump im August 2016 als "Hassprediger" bezeichnet hatte. Das war bei einer Wahlkampfveranstaltung in Mecklenburg-Vorpommern - für einen Moment hatte er seine Rolle als Diplomat verlassen.
Jetzt bleibt er staatstragend, ist aber nicht weniger deutlich. "Die einfachen Antworten sind in der Regel keine Antworten" sagt er. "Die neue Faszination des Autoritären, auch die in Teilen Europas, ist am Ende nach meiner Überzeugung nichts anderes als die Flucht in die Vergangenheit aus Angst vor der Zukunft."
Vor einigen Monaten sei er von einem "prominenten Mitglied dieses Hauses" gefragt worden, ob er nach so vielen Jahren in der Politik als Bundespräsident eigentlich neutral sein könne. "Die ehrliche Antwort ist: Nein, ich bin nicht neutral. Überparteilich ja, wie es das Amt verlangt. Aber ich glaube, neutral darf ich es gar nicht da sein, wo es um das ganz Grundsätzliche geht." Er wolle Partei ergreifen: für die Demokratie und für Europa.
Auch die AfD spricht Steinmeier natürlich nicht an. Aber ausdrücklich wendet er sich gegen jene, "die von sich behaupten, im Namen des 'eigentlichen Volkes' oder der schweigenden Mehrheit zu sprechen". In der Demokratie trete das Volk nur im Plural auf. "Nie wieder darf eine politische Kraft so tun, als habe sie allein den Willen des Volkes gepachtet und alle anderen seien Lügner, Eindringlinge und Verräter." In seinem Rückblick hatte Gauck über "das beglückende Demokratie-Wunder, das unser Land bis heute prägt", gesprochen. Steinmeier will die Demokratie erhalten. Noch vor wenigen Jahren hätte man eine solche Ankündigung seltsam gefunden.
Quelle: ntv.de