Differenzen bei der "Ausgestaltung" Einigung auf längere Laufzeiten
15.10.2009, 11:07 Uhr
Block A rechts und Block B links des hessischen Atomkraftwerks Biblis.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Umwelt- und Wirtschaftsexperten von Union und Liberalen haben sich grundsätzlich über längere Laufzeiten für sichere Atomkraftwerke verständigt. Details bleiben offen.
Der großen Koalitionsrunde werde vorgeschlagen, diesen Grundsatz im Koalitionsvertrag festzuschreiben, sagte die FDP-Energieexpertin Gudrun Kopp. Konkrete Angaben wie Jahreszahlen oder Ausgleichszahlungen der Atomkonzerne sollen im Vertrag aber nicht genannt werden.
Kopp sagte, die Energie- und Umweltfachleute von Union und FDP hätten sich über den grundsätzlichen Passus für längere Laufzeiten geeinigt. "Da besteht Einvernehmen. In der Ausgestaltung der Bedingungen gibt es aber noch Differenzen." Sie forderte, die genauen Bedingungen "schnellstmöglich" zu formulieren. Unabhängig von der Atomfrage will die schwarz-gelbe Koalition spätestens innerhalb eines Jahres ein umfassendes Energiekonzept für Deutschland vorlegen.
Die baden-württembergische Umweltministerin Tanja Gönner (CDU), die der Umwelt-Arbeitsgruppe angehört, sagte der "taz", die Verlängerung der Laufzeiten der noch 17 deutschen Atommeiler solle "entlang von Sicherheitskriterien erfolgen". Es gehe darum, "zunächst ein Gesamtenergiekonzept aufzustellen. Erst dann wissen wir wie lange wir die Atomenergie als Brückentechnologie brauchen." Für dieses in der Umwelt-Arbeitsgruppe lange umstrittene Konzept hatte sie bereits im Interview mit n-tv.de geworben. Gönner ist als neue Bundesumweltministerin im Gespräch.
In der n-tv Sendung "Busch@n-tv" sagte Gönner, es gebe "Bedingungen dafür, dass die Atomkraftwerke weiterlaufen dürfen. Es gibt keinen Ausstieg aus dem Ausstieg. Es gibt einen Umstieg im Ausstieg. Und: Es gibt keinen Ausstieg zum Nulltarif." Sie bestritt, Politik für die Energiekonzerne zu machen. "Das Modell, das wir in Baden-Württemberg entwickelt haben, macht den Atomstromversorgern nicht nur Freude. Wenn ein Großteil der Erträge, die durch die Laufzeitverlängerung kommen, abgegeben werden müssen, macht das deutlich, dass es nicht um die Interessen der Energieversorger geht."
Soldar- und Windfans nervös
Umweltschützer und Energieexperten warnten die neue Koalition vor einer "völligen Freigabe" von Laufzeiten für Atomkraftwerke. "Damit nimmt Bundeskanzlerin Angela Merkel zusätzliche Gefahren für die Bevölkerung in Kauf und gefährdet den Ausbau der erneuerbaren Energien", erklärte der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in einer ersten Bewertung der Pläne von Schwarz-Gelb. Laufzeitverlängerungen für die deutschen Atommeiler würden die Erneuerbaren Energien behindern.
Sollten die erneuerbaren Energien durch die neue Koalition benachteiligt werden, gefährde dies auch eine große Zahl künftiger Arbeitsplätze, sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. Derzeit arbeiteten in Deutschland 280.000 Menschen in diesem Bereich.
"Energiepolitisch unnötig"
Der Sprecher der Anti-Atomkraft-Organisation "ausgestrahlt", Jochen Stay, bezeichnete es als "gewagt", von einer Einigung in der Atompolitik zu sprechen. "Noch ist nicht klar, für welche Atomkraftwerke die Laufzeitverlängerung gelten soll, nach welchen konkreten Bedingungen das entschieden wird und um welche Zeiträume es sich handelt", erklärte Stay. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast bezeichnete längere Akw-Laufzeiten als "umweltpolitisch unverantwortlich" und "energiepolitisch unnötig".
Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW kritisierte die Verlängerung der Laufzeiten. "Das sicherheitstechnische Konzept der Konvoianlagen ist rund 30 Jahre alt. Wasserstoffexplosionen können zum Super-GAU führen", sagte IPPNW-Atomexperte Henrik Paulitz.
"Keine Brückentechnologie"
Die These von Union und FDP, die Atomkraft sei als "Brückentechnologie" unverzichtbar, wies der Wissenschaftler Uwe Leprich vom Saarbrücker Institut für Zukunftsenergiesysteme (IZES) zurück. Auch beim geplanten Ausstieg aus der Atomenergie gebe es keinerlei Versorgungsprobleme. Das zeigten alle Zahlen, die von der Bundesregierung veröffentlicht wurden. Leprich forderte verstärkte Investitionsanreize zum Bau klimaschonender Kraft-Wärme-gekoppelter Energieanlagen und zur besseren Integration erneuerbarer Energien in die Stromnetze. Diese müssten zur Auflösung der monopolartigen Strukturen unabhängig von den Energieerzeugern bewirtschaftet werden.
Bei geeigneten politischen Rahmenbedingungen lässt sich nach Ansicht Leprichs der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion von derzeit 15 Prozent auf mindestens 40 Prozent im Jahr 2020 steigern. Diese Entwicklung werde zwangläufig von der zentralistischen Struktur der Großkraftwerke wegführen.
Quelle: ntv.de, hvo/dpa/AFP/rts