Politik

"Will"-Talk zur Bamf-Affäre Einzelfall oder Systemversagen?

Deutschlands "heikelstes Thema" bei "Anne Will".

Deutschlands "heikelstes Thema" bei "Anne Will".

(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)

Drei Ebenen hat der Bamf-Skandal mittlerweile. Doch statt über sie zu sprechen, diskutiert Anne Will mit ihren Gästen Ankerzentren und Visahebel. Muss Bamf-Chefin Cordt zurücktreten, hat Innenstaatssekretär Mayer einen Fehler gemacht? Das wird nicht geklärt.

In der Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) haben mindestens 1200 Menschen einen positiven Asylbescheid erhalten, ohne dass ihr Antrag sauber geprüft worden ist. Schwerwiegende Vorwürfe stehen im Raum: Korruption, Amtsmissbrauch, Vertuschung. Die Affäre hat eine neue Debatte über das deutsche Asylsystem ausgelöst. Geht es hier um einzelne Fälle oder ein kaputtes System?

Bei "Anne Will" diskutieren Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius von der SPD, AfD-Chef Alexander Gauland, Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, Innen-Staatssekretär Stephan Mayer und die Journalistin Christine Adelhardt, die den Fall für den NDR recherchiert hat.

Will eröffnet die Runde mit einem Hinweis auf die Demonstrationen in Berlin für und gegen die AfD am Sonntag. In der Flüchtlingsfrage sei die Gesellschaft gespalten wie an keinem anderen Punkt. Dass ausgerechnet die zuständige Behörde für Deutschlands "heikelstes Thema" massiven Missbrauchsvorwürfen ausgesetzt ist, sei fatal.

Seehofers Lobeshymnen verhindern

Der CSU-Politiker Stephan Mayer hatte zwei Tage vor dem Antrittsbesuch seines Chefs Horst Seehofer beim Hauptsitz des Bamf in Nürnberg von dem Skandal erfahren. Dennoch informiert er den Bundesinnenminister nicht. Seine Erklärung ist ein Verteidigungsplädoyer: Mayer sagt, es seien anfangs nur Gerüchte gewesen. Er sei der Überzeugung, dass ein Minister erst informiert werden sollte, wenn etwas Belegbares zu finden sei.

Pistorius scheint diese Argumentation nicht sehr plausibel zu finden. Er selbst wäre sehr sauer gewesen, hätte man ihn als Innenminister bei solch einer sensiblen Angelegenheit ohne einen Hinweis gelassen. Zumindest hätte Mayer verhindern müssen, dass Seehofer im Bamf "Lobeshymnen" auf die Behörde gesungen hat.

Auch Adelhardt sieht noch Luft nach oben bei der Aufklärung der Affäre - beziehungsweise der Affären, denn sie sieht drei Skandale beim Bamf: Neben der unrechtmäßigen Gewährung von Asylanträgen in Bremen ist dies die schleppende, möglicherweise sogar verschleppte Aufklärung durch das Bamf und drittens auch der Umgang des Innenministeriums mit dem Skandal. Dazu gehört die Frage, warum die neue Leiterin der Bremer Außenstelle, Josefa Schmid, gegen ihren Willen schon nach wenigen Monaten dort abgezogen wurde. Diese Frage wird bei "Anne Will" leider weder gestellt noch beantwortet. Dabei war es Schmid, die Mayer überhaupt erst auf den Skandal aufmerksam gemacht hatte, und genau das scheint ein Grund für ihre Versetzung gewesen zu sein. An Bamf-Chefin Jutta Cordt kritisiert Adelhardt, diese agiere immer noch viel zu zurückhaltend.

Pistorius geht noch einen Schritt weiter und mutmaßt, Cordt sei aufgrund der zähflüssigen Informationsweitergabe in ihrer Position wahrscheinlich nicht zu halten. Göring-Eckardt jedoch findet, dass eine Entlassung der Bamf-Präsidentin der Sache nicht weiterhelfen würde - schließlich passierten die meisten Vorfälle vor ihrer Amtszeit. Anders als die AfD und die FDP lehnen die Grünen einen Untersuchungsausschuss ab. Das dauere zu lange, sagt Göring-Eckardt. "Ich will nicht zwei Jahre warten, bis das Vertrauen wieder hergestellt werden kann."

Gauland will in einem Untersuchungsausschuss nicht nur klären lassen, was in Bremen passiert ist, er will die gesamte Flüchtlingspolitik der Bundesregierung unter die Lupe nehmen. "Wir müssen von einem Systemversagen sprechen." Pistorius will hingegen nicht "mit der großen Keule draufschlagen." Festzustellen sei aber, dass das Bamf in den letzten Jahren personell und belastungsmäßig auf dem letzten Loch gepfiffen habe und es in einigen Zweigstellen zu erhebliche Unzulänglichkeiten, Defiziten und auch Korruption gekommen sei.

Ankerzentren sollen’s richten

Das überraschenderweise größte Thema des Abends ist allerdings nicht der Bamf-Skandal, sondern Seehofers sogenannte Ankerzentren. Das sind für diesen Herbst geplante neue Aufnahmestellen in denen Flüchtlinge unterkommen, bis sie in Kommunen verteilt oder wieder in ihr Herkunftsland abgeschoben werden.

Göring-Eckardt stößt die Diskussion an. Sie sei sei genervt davon, dass die Ankerzentren als Lösung für die Probleme im Bamf inszeniert würden. "Wenn das die billige Antwort ist, funktioniert das Ganze nicht. Was im Bamf passiert, muss dort geändert werden."

CSU-Politiker Meyer findet Göring-Eckardts Argumentation "unredlich" schließlich seien die Ankerzentren bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben worden - also bevor der Bremer Skandal bekannt wurde. Pistorius kritisiert das Konzept trotzdem, beziehungsweise das Fehlen eines solchen: Noch immer habe der Bundesinnenminister nicht deutlich gemacht, wo der Unterschied zwischen den Ankenzentren und den bereits bestehenden Ankunftszentren liege. Er sieht das "Auswechseln von Türschildern" als Maßnahme im bayerischen Landtagswahlkampf.

Auch Gauland ist der Ansicht, der Wahlkampf in Bayern sorge für ein "Geschmäckle" bei dem Thema. Ein Problem mit der Idee, Flüchtlinge bis zum Abschluss ihrer Asylverfahren in Großunterkünften unterzubringen, hat er jedoch nicht. Schließlich sei das ein Vorschlag der AfD gewesen. Adelhardt hingegen befürchtet, die Diskussion drehe sich zu sehr um Schnelligkeit. "In 2015 und 2016 sind die McKinseys dieser Welt durchs Bamf gelaufen und haben geschaut, wie man es noch effizienter und noch schneller machen kann." Dabei sei die Qualität vergessen worden. Auch das habe zur aktuellen Krise geführt.

Zum Ende der Diskussion wird es noch einmal hitzig. Gauland sieht gescheiterte Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern als eines der größte Probleme. Er schlägt vor, die Zusammenarbeit mit Staaten, die abgelehnte Flüchtlinge aus ihren Ländern nicht wieder aufnehmen wollen, stark einzuschränken. Sein Beispiel: Entwicklungshilfe. Daraufhin prustet Pistorius geradezu. Das sei nicht nur falsch, sondern auch taktisch unklug, da die Fluchtursachen dadurch nur verschärft würden. Für ihn ist "der Visa-Hebel" ein Alternativvorschlag, also eine Einschränkung bei der Visa-Vergabe für jene Bürger der betroffenen Länder, die Zugang zu einer Einreiseerlaubnis haben, was in der Regel die Eliten solcher Länder betrifft. Wenn Staaten "ihre Leute nicht zurücknehmen, dann bekommen andere Staatsbürger eben nicht mehr so leicht ein Visum, um nach Europa einzureisen", sagt Pistorius.

Danach bemüht sich Moderatorin Anne Will um einen konstruktiven Abschluss der Sendung. Sie fragt Adelhardt, die einzige nicht-Politikerin der Runde "Als Bürgerin dieses Landes, was erhoffen Sie sich, damit das Vertrauen in das System wieder wächst?" Ihre Antwort: eine vollumfängliche Aufklärung der Bamf-Affäre. Das sei, doch das, was am einfachsten herzustellen sei, wenn man es wolle. "Wenn man es will", wiederholt die Moderatorin und verabschiedet sich.

Quelle: ntv.de

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