Ukrainetalk bei "Maischberger" "Es hängt an uns, dass der Krieg erfolgreich wird"
30.05.2024, 05:35 Uhr Artikel anhören
Völkerrechtlich wären Angriffe auf russisches Gebiet legitim, zumindest da sind sich Röttgen und Mohamed Ali einig.
(Foto: WDR/Oliver Ziebe)
Soll die Ukraine mit westlichen Waffen militärische Ziele in Russland angreifen dürfen? Er habe seine Position in der Frage geändert, sagt der CDU-Außenpolitiker Röttgen bei "Maischberger". Amira Mohamed Ali vom BSW fürchtet hingegen, dass Putins Armee dadurch nur noch stärker würde.
Als der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen zum letzten Mal in der ARD-Talkshow "Maischberger" auf Amira Mohamed Ali traf, gehörte diese noch zu den Linken. Mittlerweile ist sie eine der Vorsitzenden des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Ihre Meinung zum Ukrainekrieg hat sich nicht geändert. Sie fordert sofortige diplomatische Bemühungen, um den Krieg in der Ukraine zu beenden. Auch Röttgen möchte, dass der Krieg ein schnelles Ende findet. An Verhandlungen glaubt er allerdings nicht. Daran sei Russlands Präsident Putin nicht interessiert, sagt er mehrere Male am Mittwochabend bei "Maischberger".
Nun fordern der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, die westlichen Staaten müssten der Ukraine den Beschuss von militärischen Zielen auf russischem Boden erlauben. Die Frage ist: Würde eine solche Aktion den russischen Präsidenten zum Einlenken zwingen oder zur Ausweitung des Krieges veranlassen? Die Antwort könnte er im russischen Fernsehen gegeben haben. Dort sagte er: "Vertreter der NATO-Staaten, insbesondere in Europa, insbesondere in kleinen Ländern, müssen sich darüber im Klaren sein, womit sie spielen. In der Regel handelt es sich ja um einen kleinen Staat mit kleinem Territorium und sehr hoher Bevölkerungsdichte. Und den Faktor sollten Sie im Kopf behalten, bevor Sie über einen Angriff auf das russische Territorium sprechen." Damit könnte Putin mit einem Angriff auf die baltischen Staaten drohen. Das könnte auch einen Truppenaufmarsch erklären, der laut dem Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko im Norden Russlands zu beobachten sei.
Nicht von Putins Propaganda einschüchtern lassen
Frieden werde man nur erreichen, wenn man den Krieg besiege, sagt Röttgen, der bei "Maischberger" mit Amira Mohamed Ali über dieses Thema diskutiert. Der CDU-Politiker sagt: "Den Krieg werden wir nur besiegen, wenn Putin scheitert. Dazu braucht man Waffen, Munition und Hilfe." Gerade was Munition angeht, unterstütze der Westen die Ukraine nicht ausreichend.
Alle Politiker, auch er, hätten in der letzten Zeit ihre Positionen geändert, sagt Röttgen. "Völkerrechtlich wäre es ohne jeden Zweifel gerechtfertigt, legal und legitim, wenn die Ukraine in der Verteidigung militärische Ziele auch auf russischem Boden angreift. Überhaupt kein Zweifel." Die bisherige Position der NATO sei gewesen, dass diese Angriffe nicht mit westlichen Waffen geführt werden dürften. Daraus habe Russland eine Kriegstaktik gemacht und Raketenabschussrampen unmittelbar an der Grenze zur Ukraine postiert. Von dort aus würden nun ukrainische Städte beschossen. "Sie machen das zivile Leben unmöglich. Vor allem in Charkiw wird systematisch die zivile Lebensstruktur zerstört, die Energieversorgung. Wenn das so weitergeht, wird im Winter in dieser zweitgrößten Stadt der Ukraine niemand mehr leben können. Das sind Kriegsverbrechen."
Es gebe ein oberstes Ziel, sagt Röttgen weiter: "Das oberste Ziel ist Frieden. Der Weg zum Frieden ist, dass der Krieg scheitert. Und darum muss die Position angepasst werden." Auch Bundeskanzler Olaf Scholz habe der Ukraine erlaubt, sich mit allen Waffen, die sie hat, im Rahmen des Völkerrechts zu verteidigen. Das Völkerrecht erlaube einem angegriffenen Staat den Beschuss militärischer Ziele des Angreifers, und die Ukraine besitze keine Waffen außer denen, die der Westen geliefert habe.
"Wir müssen immer abwägen"
In einem Punkt gibt Mohamed Ali ihrem CDU-Kontrahenten recht: "Völkerrechtlich darf die Ukraine das. Die Frage ist nur, mit welchen Waffen sie das tut." Würde die Ukraine russisches Gebiet mit westlichen Waffen beschießen, bestünde die Gefahr, dass dadurch der Krieg eskaliert, sagt Mohamed Ali. "Ich denke, man muss sich bei jeder einzelnen Maßnahme in diesem Krieg die Frage stellen, was das Ziel ist. Herr Röttgen hat es gerade dargestellt, als wäre es so, dass diese Maßnahme das Kriegsgeschehen relevant verändern würde, und Russland würde sozusagen in die Unterhand kommen und den Krieg dann verlieren. Das ist aber erkennbar nicht der Fall."
Zudem gibt die Politikerin zu bedenken, dass Russland in den letzten Monaten Probleme bei der Rekrutierung neuer Soldaten gehabt habe. Einen Beschuss russischer Militärbasen würde Putin für seine inländische Propaganda nutzen und so viel mehr Soldaten dazu bewegen können, in den Krieg zu ziehen.
Es sei falsch, sich von Putins Propaganda einschüchtern zu lassen, entgegnet Röttgen. "Putin betreibt Propaganda und Einschüchterung als Teil des Krieges." Dazu gehöre auch die Drohung, Atomwaffen gegen den Westen einzusetzen. "Ich kann natürlich nicht für die Zukunft meine Hand ins Feuer legen. Wir müssen immer abwägen: Wo sind die Gefahren, wo sind die Risiken? Aber jetzt von Putin zu sagen, weil jetzt auch die Angreiferpositionen attackiert werden, deswegen gehe ich jetzt mit der NATO in den Krieg, nachdem ich an der Ukraine gescheitert bin, macht militärisch und politisch keinen Sinn." Putins Drohungen nachzugeben, würde zum Ausbluten der Ukraine führen. "Es hängt an uns, dass der Krieg erfolgreich wird", betont Röttgen. "Womit Putin droht, das kann passieren, wenn er in der Ukraine erfolgreich ist. Wenn er in der Ukraine scheitert, wird es nicht passieren."
"Das Risiko ist natürlich gigantisch groß", antwortet Mohamed Ali. Zwar glaubt auch sie, dass ein Krieg mit der NATO aus Russlands Sicht militärisch nicht klug sei. Aber sie weist auch darauf hin, dass es trotz der Waffenlieferungen in den letzten zwei Jahren nicht gelungen sei, Putin in die Enge zu treiben. "Es hat nicht funktioniert. Im Gegenteil: Die Ukraine ist heute in einer schlechteren Position als vor zwei Jahren." Die Lösung, die Mohamed Ali anbietet: "Man muss jetzt alles daran setzen zu versuchen, als Erstes einen Waffenstillstand zu erreichen. Und zur Not muss man die Bereitschaft zu Verhandlungen herbeiverhandeln."
Quelle: ntv.de