Bei Wettanbieter hoch gehandelt Boris Johnson sammelt seine Truppen
21.10.2022, 08:49 Uhr
Steht er bald wieder hier? Boris Johnson an seinem letzten Tag im Amt am 6. September.
(Foto: REUTERS)
In Großbritannien erreicht die innenpolitische Krise einen weiteren Tiefpunkt. Nun will offenbar ausgerechnet Boris Johnson es richten. Medienberichten zufolge erwägt er eine Rückkehr als Premier und schart schon seine Unterstützer um sich. Offenbar glaubt er, die Tories umkrempeln zu können.
Der ehemalige britische Premierminister Boris Johnson erwägt Medienberichten zufolge eine Rückkehr in die Downing Street. Wie die Zeitungen "Times" und "Telegraph" übereinstimmend schreiben, spielt Johnson nach dem Rücktritt seiner Nachfolgerin Liz Truss bereits Gedanken durch, um ihr wiederum nachzufolgen. Wegen großen innenpolitischen Drucks hatte die Tory-Politikerin Truss am Donnerstag ihren Rücktritt angekündigt und damit die innenpolitische Krise im Vereinigten Königreich weiter verschärft.
Für Johnson, der erst Anfang Juli nach diversen Affären seinen Rücktritt verkündet hatte, könnte dies nun die Chance für ein Comeback sein. Der 58-Jährige hatte bei seinem eigenen Rücktritt deutlich gemacht, dass er nicht aus freien Stücken zurückzieht.
Wie die "Times" berichtet, bat der ehemalige Premierminister bereits Verbündete, Spender und das Team, das ihm zum Sieg bei den Parlamentswahlen 2019 verholfen hat, seine Kampagne für eine Rückkehr in die Downing Street zu führen. Am Donnerstagabend hatte Johnson demnach bereits 20 Unterstützer. Jacob Rees-Mogg, der Wirtschaftsminister, soll ihm bei der Durchführung seiner Kampagne helfen. Sky News zitierte ein Kabinettsmitglied mit den Worten, dass Johnson in der Lage sei, die für eine Kandidatur nötigen Stimmen von 100 Tory-Abgeordneten zu erreichen.
Johnson, der in Kürze von seinem Urlaub in der Karibik zurück erwartet wird, will laut dem Bericht abwarten, ob er genügend Nominierungen erhält, bevor er seine Kandidatur offiziell erklärt.
Der "Times" zufolge sagte Johnson Freunden, dass er glaube, die Tories umkrempeln zu können und angesichts seines Sieges bei den Parlamentswahlen 2019 der einzige Kandidat mit einem Mandat für die Führung sei. Johnson ist offenbar der Ansicht, dass er eine Abstimmung der Parteimitglieder gewinnen kann.
Liebling der Parteibasis
Tatsächlich ist er bei der Parteibasis äußerst beliebt. Eine Umfrage vor einigen Tagen zeigte unter den Parteimitgliedern eine Mehrheit für Johnson. Ex-Kulturministerin Nadine Dorries, eine Vertraute Johnsons, nannte den früheren Premier einen Siegertypen. Beim Wettanbieter Ladbrokes wird eine Johnson-Rückkehr hoch gehandelt. Andererseits warnen auch Tory-Abgeordnete vor dem Ex-Premier, in der Wählerschaft wird er äußerst kritisch gesehen. Viele hielten ihn für einen Lügner.
Johnsons Rückkehr auf die politische Bühne könnte die notorisch zerstrittene konservative Partei noch weiter spalten. Wie die "Times" berichtet, sind mindestens drei Abgeordnete bereit, die Partei zu verlassen, um nicht mehr unter ihm zu dienen.
Die Zeitung zitiert allerdings auch eine Quelle, nach der sich Johnson zwar auf eine Kandidatur für die Parteiführung vorbereite, es seinem Instinkt nach allerdings zu früh für ein Comeback sei. Auch einige Verbündete rieten ihm dringend, seinen Hut nicht in den Ring zu werfen. "Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für Boris", sagte demnach einer. "Im Juni nächsten Jahres werden sie verzweifelt sein".
Entscheidung in einer Woche
Als Kandidaten für eine Nachfolge von Truss gelten ebenfalls der frühere Finanzminister Rishi Sunak und Penny Mordaunt, die Truss im vorherigen Konkurrenzkampf um den Top-Job noch unterlegen waren. Eine Möglichkeit wäre auch, dass sie eine Art Dreierbündnis mit dem amtierenden Schatzkanzler Jeremy Hunt führen, der im Sommer ebenfalls kandidiert hatte, aber nun eine Bewerbung für die Downing Street ausgeschlossen haben soll. In diesem Szenario würde Sunak neuer Premierminister und Mordaunt ins Außenministerium wechseln. Hunt bliebe Finanzminister.
Eine solche Lösung wäre allerdings ein rotes Tuch für den rechtskonservativen Teil der Konservativen Partei. Dieser Flügel hat zuletzt immer stärker an Gewicht gewonnen und Truss letztlich auch in die Downing Street gehievt. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass diese Seite einen eigenen Kandidaten aufstellt. Als mögliche Bewerberin gilt Suella Braverman, die am Mittwoch von Truss als Innenministerin aus dem Amt gedrängt wurde. Die Hardlinerin hatte sich in den vergangenen Tagen entsetzt gezeigt, dass Truss ihren Wirtschaftskurs nach Kritik über den Haufen warf und zudem mit rechtspopulistischen Aussagen zur Migrationspolitik für Aufsehen gesorgt.
Spätestens am Freitag nächster Woche soll ein neuer Regierungschef gewählt sein. Um ins Rennen zu gehen, brauchen Kandidaten den Rückhalt von mindestens 100 Abgeordneten. Bis Montagnachmittag können Nominierungen eingehen. Schaffen mehr als zwei Kandidaten diese Hürde, sollen zwischen ihnen Abstimmungen in der Fraktion stattfinden. Gibt es zwei Finalisten, kann sich die Parteibasis zwischen diesen im Laufe der Woche in einem Online-Votum entscheiden.
Die Oppositionsparteien fordern indes Neuwahlen. Eigentlich steht die nächste reguläre Parlamentswahl für 2024 im Kalender, spätester Termin ist der Januar 2025. Aber angesichts der wochenlangen Turbulenzen und der Tatsache, dass weniger als 0,3 Prozent aller Wahlberechtigten erneut über das wichtigste politische Amt entscheiden sollen, ist der politische Druck nun immens. Doch die Konservativen haben gute Gründe, eine Neuwahl um jeden Preis zu vermeiden: Aktuelle Umfragen sagen einen klaren Sieg der Oppositionspartei Labour voraus.
Quelle: ntv.de, ghö/dpa