Angehörige fordern Aufklärung Faeser gedenkt der Opfer von Hanau
19.02.2023, 18:01 Uhr
Auch in Berlin erinnerten Hunderte an die neun Opfer des Terroranschlags von Hanau.
(Foto: picture alliance/dpa)
Vor drei Jahren werden bei einem rassistischen Anschlag in Hanau neun Menschen ermordet. Bundesinnenministerin Faeser und weitere Politiker erinnern an die Opfer und rufen zum Kampf gegen Rechtsextremismus auf. Die Familien und Freunde der Opfer fühlen sich jedoch bis heute im Stich gelassen.
Im Gedenken an die neun Opfer des rassistischen Anschlags von Hanau haben Politiker und Vertreter der Angehörigen der Opfer zum Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus aufgerufen. Hier gebe es noch viel Handlungsbedarf, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser am Rande einer Gedenkveranstaltung im hessischen Hanau. Es sei wichtig, aus dieser Tat Konsequenzen zu ziehen "und auch nicht Ruhe zu geben". Angehörige der Anschlagsopfer erneuerten ihre Kritik an einer fehlenden Aufklärung der Tat vor drei Jahren.
Der Täter habe versucht, die Opfer zu Fremden zu machen, "aber das waren sie nicht", sagte die Ministerin, die in Hessen auch SPD-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl im Oktober ist. Vom Rechtsextremismus gehe die größte Bedrohung für die demokratische Grundordnung aus. Zur Kritik der Angehörigen sagte Faeser, sie wisse, wie schwer dies sei, aber es gebe "nicht immer Antworten, die man sich erwartet". Der Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags sei der Ort für die Aufklärung.
In Hanau hatte ein 43-jähriger Deutscher am 19. Februar 2020 neun Menschen aus rassistischen Motiven erschossen. Danach tötete er seine Mutter und sich selbst. Ende Dezember 2021 stellte die Bundesanwaltschaft ihre Ermittlungen zu dem Anschlag ein. Es gebe keine Anhaltspunkte für Mittäter, Anstifter, Gehilfen oder Mitwisser des Attentäters, hieß es.
"Was geblieben ist, ist eine nicht heilende Wunde", sagte Ajla Kurtovic, deren Bruder zu den Opfern gehört. Man habe sie und die anderen Betroffenen mit ihren Fragen zurückgelassen - "und tut es bis heute". Die Angehörigen brauchten klare Antworten, keine Relativierungen. Sie werde weiter für Aufklärung und Konsequenzen kämpfen.
Roth: Hanau ist kein Einzelfall
Kulturstaatsministerin Claudia Roth sprach von einem "Schock für uns alle", der bis heute nachwirke. Das Leid der Opfer und ihrer trauernden Hinterbliebenen müsse mehr Beachtung in unserem Erinnern finden, forderte sie. Hanau sei kein Einzelfall, sondern Teil einer Kette rassistisch motivierter Gewaltexzesse im wiedervereinten Deutschland. Überall, wo Rassismus sich zeige, wo Menschen diskriminiert würden, sei auch das gesamte demokratische Zusammenleben gefährdet. "Deshalb sind wir alle gefragt", sagte die Staatsministerin. Es gehe darum, Haltung und Gesicht im Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus zu zeigen.
Auch der Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky wandte sich in seiner Rede gegen Hass, Rassismus und Hetze. "All das richtet sich gegen Menschen, die unter uns leben, die zu uns gehören, zu unserer Stadt und unserer Nachbarschaft." Die Demokratie müsse "endlich ihr wehrhaftes Antlitz zeigen" - und zwar konkret und erfahrbar. Die Grundrechte seien wertvoll, teils aber auch fragil und müssten geschützt werden. "Deshalb sagen wir allen Rassisten, allen Antidemokraten, ja allen, die mit ihren Parolen unser Land vergiften wollen: Wir sind mehr! Und wir sind stärker als euer Hass!"
Unter den mehreren hundert Gästen und Teilnehmern der Veranstaltung war auch Hessens Ministerpräsident Boris Rhein, der zusammen mit Faeser zuvor auf dem Hauptfriedhof Blumengestecke für die Ermordeten niedergelegt hatte. "Es gibt kein Vergessen. Was heute vor drei Jahren in Hanau passiert ist, ist bis heute unfassbar", erklärte er. Der Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus sei Auftrag des Staates. Bei den Betroffenen müsse Vertrauen in den Staat wieder hergestellt werden. "Ich entschuldige mich dafür, dass der Staat nicht in der Lage war, die Opfer zu schützen", sagte Rhein. Wichtig seien die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses und die daraus abzuleitenden Maßnahmen. "Wir müssen alles in unserer Macht Stehende dafür tun, damit sich so eine furchtbare Tat nicht wiederholt."
Ataman kritisiert Verharmlosung von Diskriminierung
Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, kritisierte derweil den Umgang mit Betroffenen von Rassismus in Deutschland. Angehörige von Opfern in Hanau und viele andere erlebten gerade, dass Diskriminierung verharmlost "und als belangloses Interesse von Minderheiten abgetan wird", sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe vom Samstag. "Gleichzeitig beobachten wir, dass nach Ereignissen in der Silvesternacht ein Generalverdacht gegen Menschen mit Migrationshintergrund ausgesprochen wurde."
Unter den am 19. Februar 2020 getöteten Menschen mit Migrationshintergrund waren auch drei Roma. Der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antiziganismus und für das Leben der Sinti und Roma in Deutschland, Mehmet Daimagüler, erklärte, die "Verächtlichmachung der Minderheit, insbesondere ihre Kriminalisierung", habe mit den Morden nicht aufgehört. Der Rassismus gegen Sinti und Roma beschränke sich nicht auf Nazis, sondern finde sich "überall in Deutschland, auch in den Behörden".
"Wenn wir wirklich den rassistischen Hass der Rechtsextremen in Deutschland bekämpfen, dürfen wir den Rassismus in der Mitte der Gesellschaft nicht vergessen", forderte Daimagüler. Dazu gehöre etwa auch das Racial Profiling durch staatliche Strukturen.
Diskussion um Mahnmal
Bei der Gedenkveranstaltung flammte auch die Diskussion über das geplante Mahnmal für die Opfer in Hanau erneut auf. Hinterbliebene warfen der Stadt vor, sich gegen einen Standort am Marktplatz in der Hanauer Stadtmitte zu stellen. Für das Mahnmal war ein Entwurf ausgewählt, der Ort jedoch noch nicht festgelegt worden.
Kaminsky machte deutlich, dass der Marktplatz dafür nicht ausgewählt werde. Hier habe die Stadtgesellschaft mit übergroßer Mehrheit ein "Störgefühl". Für besser geeignet hält er einen Platz an dem geplanten Zentrum für Demokratie und Vielfalt, für das Faeser am Rande der Gedenkveranstaltung einen Zuwendungsbescheid in Höhe von 3,4 Millionen Euro übergab.
Quelle: ntv.de, mbu/dpa/AFP