Ermordung von 29.000 Juden Fahnder wollen NS-Verbrecher
10.11.2008, 16:41 UhrDer mutmaßliche Nazi-Kriegsverbrecher Iwan John Demjanjuk muss möglicherweise mit einer Anklage in Deutschland rechnen. Die Fahndungsstelle für Nazi-Verbrechen in Ludwigsburg gab ein Vorermittlungsverfahren gegen den 88-jährigen Mann an die Staatsanwaltschaft München ab. "Aufgrund der Tatvorwürfe sind wir zuversichtlich, dass gegen ihn ein Prozess in Deutschland geführt werden kann", sagte der Leiter der Fahndungsstelle, Kurt Schrimm.
Demjanjuk soll sich als Wachmann im Konzentrationslager Sobibor (Polen) 1943 der Beihilfe zur grausamen Ermordung von mindestens 29.000 Juden schuldig gemacht haben. Unter den Toten waren rund 1900 deutsche Juden. Das ist für eine mögliche Anklageerhebung in Deutschland wichtig, weil Demjanjuk in den USA lebt.
Der Leiter der Staatsanwaltschaft München, Christian Schmidt-Sommerfeld, bestätigte, das Verfahren sei von Ludwigsburg nach München geschickt worden, bisher aber noch nicht eingegangen. Die Staatsanwaltschaft werde dann prüfen, ob sie zuständig sei und ob dringender Tatverdacht bestehe und ein Haftbefehl beantragt werden könne. Erst dann könne es um eine mögliche Auslieferung gehen. Inhaltlich wollte Schmidt-Sommerfeld sich nicht äußern. "Ich kenne die Akten nicht. Ich weiß nur, dass es eine sehr umfangreiche Angelegenheit ist."
Die weltweit größte NS-Fahndungsstelle in Ludwigsburg feiert am 1. Dezember bei einem Festakt ihr 50-jähriges Bestehen. Ehrengäste sind Bundespräsident Horst Köhler und die Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch.
USA wollen ihn loswerden
Der Leiter der Fahndung, Schrimm, hofft, dass die Bundesregierung die Auslieferung beantragt. Demjanjuk wurde in der Ukraine geboren und besaß die US-Staatsbürgerschaft. Diese wurde ihm in diesem Jahr aberkannt. "Die USA haben starkes Interesse daran, Demjanjuk loszuwerden", sagte Schrimm. "Die Ukraine und auch andere Staaten wollen ihn nicht aufnehmen. Dies ist eine große Chance, Demjanjuk zu überführen und ihn für seine Gräueltaten zur Verantwortung zu ziehen."
Der nun staatenlose Demjanjuk, der in Ohio lebt, war nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in einem Flüchtlingslager bei München untergetaucht und 1952 in die USA ausgewandert. Als Demjanjuks Mitwirkung am Holocaust Ende der 70er Jahre bekannt wurde, lieferten ihn die USA 1986 an Israel aus. Dort wurde er wegen seiner angeblichen Tätigkeit als besonders grausamer Wachmann "Iwan der Schreckliche" im Vernichtungslager Treblinka angeklagt. 1988 wurde Demjanjuk zum Tode verurteilt.
Israel spricht Demjanjuk frei
Der Oberste Gerichtshof Israels sprach Demjanjuk aber 1993 von dem Vorwurf frei, da seine Identität nicht sicher geklärt werden konnte. "Bereits damals lag eine Vielzahl von Hinweisen vor, die vielmehr seinen Einsatz als Wachmann im Vernichtungslager Sobibor belegten", sagte Schrimm.
Nach dem Prozess in Israel kehrte Demjanjuk in die USA zurück. Wegen seiner Tätigkeit als Wachmann im Lager Sobibor wurde ihm gerichtlich die amerikanische Staatsbürgerschaft entzogen. Das Urteil ist seit Mai 2008 rechtskräftig.
Dokumentation der Grausamkeiten
Nach Auffassung der Fahndungsstelle kann Demjanjuk in Deutschland vor Gericht gestellt werden. "Aufgrund unserer Recherchen unter anderem in Archiven in Israel ist es erstmalig möglich, die Opfer mit ihren vollständigen Namen und Geburtsdaten zu benennen", sagte Schrimm. Das älteste Opfer, das am 23. April 1943 in den Gaskammern den Tod fand, sei ein 99-jähriger jüdischer Holländer gewesen. In allen Deportationszügen seien stets auch Säuglinge und Kleinkinder gewesen, die unmittelbar nach ihrer Ankunft im Vernichtungslager vergast wurden.
Um die Tätigkeit von Demjanjuk während des Zweiten Weltkrieges zu ermitteln und nachzuzeichnen, waren aufwendige Recherchen in Archiven in Israel, in den USA und an verschiedenen Orten in Deutschland notwendig. Das Ergebnis wurde in einer mehrere hundert Seiten umfassenden Dokumentation zusammengefasst.
Quelle: ntv.de