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Schwächeln vor Türkei-Wahl Für Erdogan wird es das erste Mal gefährlich

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Musste Wahlkampftermine zuletzt wegen gesundheitlicher Probleme absagen: Recep Tayyip Erdogan.

Musste Wahlkampftermine zuletzt wegen gesundheitlicher Probleme absagen: Recep Tayyip Erdogan.

(Foto: picture alliance/dpa/Turkish Presidency/AP)

Kurz vor der Wahl in der Türkei gibt es bei Präsident Erdogan deutliche Baustellen: Die Inflationsrate des Landes explodiert, sein Krisenmanagement steht weiter in der Kritik und sein Herausforderer aus der Opposition führt die Umfragen an. Für den amtierenden Präsidenten wird die Luft zunehmend dünner.

Recep Tayyip Erdogan ist gesundheitlich angeschlagen. Wegen einer mutmaßlichen Magen-Darm-Infektion musste der türkische Präsident in den vergangenen Tagen seine Wahlkampftermine absagen - und das nur rund zwei Wochen vor der Parlaments- und Präsidentschaftswahl in der Türkei. Für Erdogan könnte es bei der Wahl eng werden.

Politisch ist Erdogan ohnehin schon länger angeschlagen. Die umstrittene Wirtschaftspolitik des 69-Jährigen hat einen Teil seiner Wählerschaft in die Armut getrieben, die Inflationsrate ist horrend hoch. Auch sein Krisenmanagement nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und Nordsyrien vom 6. Februar mit mehr als 50.000 Toten wird scharf kritisiert. Und die Opposition hat sich fest geschlossen hinter einem einzigen Kandidaten versammelt: Kemal Kilicdaroglu, Vorsitzender der von Mustafa Kemal Atatürk gegründeten sozialdemokratischen Partei CHP, will Erdogan ablösen und liegt Umfragen zufolge deutlich vorn.

Zum ersten Mal könnte es gefährlich werden für Erdogan, der das Land seit 20 Jahren - erst als islamisch-konservativer Ministerpräsident, seit 2014 als Präsident - mit zunehmend harter Hand regiert. Seit Republikgründer Atatürk hat niemand die Türkei so sehr geprägt wie er: Erdogan trieb gigantische Infrastrukturprojekte voran, änderte den strengen Laizismus ab und wandte sich außenpolitisch zunehmend vom Westen ab und dem Orient, Asien und Russland zu.

Erdogan hält eiserne Unterstützer

Gleichzeitig werfen nicht nur seine Gegner, sondern auch westliche Länder dem türkischen Staatschef vor, in einen Autoritarismus abgeglitten zu sein, der an die Sultane des Osmanischen Reichs erinnert und die Demokratie in der Türkei aushebelt. Hunderte Regierungskritiker sitzen teils schon seit Jahren in türkischen Gefängnissen. 2017 führte er durch eine Verfassungsänderung das Präsidialsystem ein und weitete damit seine Befugnisse noch aus.

Für seine Unterstützer hingegen bleibt Erdogan - trotz der aktuell verheerenden wirtschaftliche Lage - der Mann, welcher der Türkei das "Wirtschaftswunder" und einen Platz unter den reichsten Nationen der Welt beschert hat. Weder ein Gefängnisaufenthalt, Massendemonstrationen noch ein Putschversuch konnten den Siegeszug des "Reis" - des "Chefs", wie ihn seine Anhänger nennen - aufhalten. Im Gegenteil.

Dass er sich einen Palast mit 1000 Zimmern auf einem bewaldeten Hügel in Ankara bauen ließ, hält Erdgan nicht davon ab, sich als "Mann des Volkes" zu präsentieren. Erdogan ist frommer Muslim und verkörpert traditionelle Familienwerte, er ist verheiratet und hat vier Kinder. Der hochgewachsene Mann versteht es zudem, die Menschen durch emotionale Reden mitzureißen, in denen er nicht selten nationalistische Gedichte oder aus dem Koran zitiert.

Auch auf der außenpolitischen Bühne demonstriert Erdogan Einfluss und Stärke: Als Vermittler im Ukraine-Krieg, der sowohl zu Russland als auch zur Ukraine gute Beziehungen pflegt. Als das Land, das den NATO-Beitritt Schwedens blockiert. Als Kämpfer gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die als Terrororganisation eingestuft ist. Als Verfechter eines umstrittenen Flüchtlingsdeals mit der EU.

Erdogan startete als Hoffnungsträger für den Westen

Erdogan wurde im armen Istanbuler Hafenviertel Kasimpasa geboren und strebte zunächst eine Karriere als Fußballer an, bevor er in die Politik ging. 1994 wurde er Bürgermeister von Istanbul. Vier Jahre später musste er kurzzeitig ins Gefängnis, weil er bei einem Auftritt ein religiöses Gedicht rezitiert hatte. Die von ihm mitbegründete islamisch-konservative Partei AKP gewann 2002 die Wahl und im Jahr darauf wurde er Ministerpräsident. Das Amt hatte Erdogan inne, bis er 2014 Präsident wurde.

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Anfangs war er für den Westen als Reformer zugleich Hoffnungsträger. Spätestens seit er regierungsfeindliche Demonstrationen im Jahr 2013 brutal niederschlagen ließ, steht Erdogan jedoch nicht nur in seinem Land zunehmend in der Kritik. Drei Jahre später, in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli 2016, folgte die wohl größte Bewährungsprobe für ihn: ein Putschversuch. Aus dem Urlaub rief Erdogan "sein Volk" zur Hilfe - und erklärte am Morgen danach den Aufstand für gescheitert.

Der Präsident beschuldigte seinen ehemaligen Verbündeten, den in den USA lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen, hinter dem Putschversuch zu stehen und ließ zahlreiche "Gülenisten" und Oppositionelle festnehmen. Unerbittlich geht er seither gegen alle Gegner vor. Auch Medien, Justiz, Armee und Polizei wurden Kritikern zufolge umgebaut und ganz auf das System Erdogan ausgerichtet. Sollte er nun die Wahl für seine dritte und letzte Amtszeit verlieren, müsste nicht nur eine neue Koalitionsregierung nach Jahren der Alleinherrschaft gebildet, sondern auch im gesamten Staat sehr vieles neu geordnet werden.

Quelle: ntv.de, spl/AFP

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