Politik

Thomas Jäger im Interview "Genau das wollen der Iran, die Hisbollah und die Hamas erreichen"

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Israelischer Soldat an der Grenze zum Libanon. Von dort fürchtet das Land einen Angriff der Hisbollah.

Israelischer Soldat an der Grenze zum Libanon. Von dort fürchtet das Land einen Angriff der Hisbollah.

(Foto: REUTERS)

Die Hamas nutze die Explosion am Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza für ihren hybriden Krieg gegen Israel, sagt der Politologe Thomas Jäger im Interview mit ntv.de. Eine große israelische Bodenoffensive im Gazastreifen hält er für unwahrscheinlich. Diese würde "der Hamas und auch Russland noch mehr Material für ihren Informationskrieg gegen Israel und gegen die USA geben".

ntv.de: Seit der Explosion an einem Krankenhaus in Gaza-Stadt läuft neben dem Krieg zwischen der Hamas und Israel auch einer um die Deutungshoheit - darüber, wer für den Vorfall verantwortlich ist. Welchen Einfluss hat das auf die diplomatischen Bemühungen, den Krieg zu beenden oder wenigstens einzudämmen?

Thomas Jäger: Die politischen Folgen der Explosion an der Al-Ahli-Klinik kann man gar nicht überschätzen. Wir konnten sehen, dass die Hamas sofort eine Medienkampagne losgetreten hat, die vielfach auch auf fruchtbaren Boden gefallen ist: In einer ganzen Reihe von muslimischen Ländern kam es zu Demonstrationen gegen Israel und gegen die USA. Aber auch in westlichen Staaten löste die Explosion massive Proteste aus. Letztlich haben die Version der Hamas auch Vertreter westlicher Regierungen in ihren ersten Reaktionen indirekt bestätigt.

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sagte wegen des angeblichen Angriffs Israels auf das Krankenhaus ein Treffen mit US-Präsident Joe Biden ab.

Nicht nur das: An dem Treffen in Amman hätten auch der jordanische König Abdullah II. und der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi teilnehmen sollen. Man weiß natürlich nicht, ob dieses Gespräch Impulse in Richtung eines Waffenstillstands hätte geben können, aber zumindest wäre öffentlich sichtbar gewesen, dass die USA auch das Gespräch mit arabischen Staaten suchen. Und über die humanitäre Lage wäre intensiver gesprochen worden. Stattdessen ist der Druck auf die Regierungen der muslimischen Staaten in der Region gestiegen, sich von Israel zu distanzieren. Genau das wollen der Iran und seine Stellvertreter, die Hisbollah und die Hamas, erreichen. Man kann die Absage des Treffens in Amman daher durchaus als Erfolg der Desinformationskampagne der Hamas sehen. Schon die offenbar aufgebauschten Opferzahlen sind Teil ihrer hybriden Kriegsführung.

Sie haben es angesprochen, auch westliche Regierungen scheinen in ersten Reaktionen davon ausgegangen zu sein, dass Israel für die Explosion am Al-Ahli-Krankenhaus verantwortlich ist. Ist denkbar, dass der diplomatische Druck auf Israel infolge dieser hybriden Kriegsführung so groß wird, dass Israel die Bodenoffensive absagt?

Ich kann mir kaum vorstellen, dass Israel sich einem solchen Druck beugen würde. Das Problem mit einer Bodenoffensive scheint mir eher ein anderes zu sein. 2002 hat der damalige US-Außenminister Colin Powell Präsident George W. Bush vor einem Angriff auf den Irak gewarnt. Er sagte sinngemäß: "You break it, you own it", also: Wenn es schiefgeht, werden Sie dafür verantwortlich sein. Und bei einer Bodenoffensive und bei Häuserkämpfen kann viel schiefgehen.

Und eine langfristige Besetzung des Gazastreifens?

Die wäre in keinem Fall im Sinne Israels, deshalb hat Israel den Gazastreifen ja 2005 verlassen. Aus meiner Sicht waren die ersten, martialischen Ankündigungen von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nicht zu Ende gedacht. Zu sagen: Wir gehen mit großen Truppenverbänden rein, aber wir wollen das Gebiet nicht langfristig besetzen - das funktioniert so nicht. Insofern halte ich es für wahrscheinlicher, dass Israel zwar an dem Ziel festhält, die Hamas militärisch zu schwächen und ihr Führungspersonal zu eliminieren. Es wird sicher auch weiterhin begrenzte Bodenoperationen im Gazastreifen geben. Aber die große Bodenoffensive scheint mir vom Tisch zu sein. Dazu dürften übrigens auch Gespräche der Israelis mit den Vereinigten Staaten beigetragen haben. Auch für die USA wären die politischen Kosten einer großen israelischen Bodenoffensive einfach zu groß.

Inwiefern?

Eine Bodenoffensive würde der Hamas und auch Russland noch mehr Material für ihren Informationskrieg gegen Israel und gegen die USA geben. Denn auch für Russland ist der Krieg zwischen Israel und der Hamas ein Geschenk: Russland kann sich wieder einmal als Anwalt der ärmeren Staaten und der Schwellenländer inszenieren. Für Moskau, aber auch für Peking geht es ja erklärtermaßen darum, den Westen zu schwächen und die globale Ordnung umzuwerfen.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat es zynisch genannt, dass Putin jetzt ständig davor warnt, dass es zivile Opfer geben könnte. Sie haben daraufhin gefragt, welche Schlüsse er daraus zieht. Welche sollte er denn ziehen?

Mit seiner Einschätzung hat Scholz absolut recht: Putin selbst ist es ja, der zivile Opfer in der Ukraine nicht nur hinnimmt, sondern bewusst angreifen lässt. Scholz muss sich daher fragen lassen, was die Bundesregierung dagegen tut, dass den russischen Angriffen in der Ukraine so viele Menschen zum Opfer fallen. Scholz' Zögerlichkeit ist jedenfalls nicht die richtige Antwort auf Putins Zynismus.

Stichwort Taurus-Raketen?

Richtig. Hier ist eine Entscheidung überfällig.

Mit Thomas Jäger sprachen Daniel Schüler und Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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