Politik

"Rettet die Kliniken" Gesundheitssystem in Not

Rund 130.000 Mitarbeiter deutscher Kliniken haben in einem beispiellosen Protestzug in Berlin zur "Rettung der Krankenhäuser" aufgerufen. Das geplante Reformpaket der Bundesregierung von drei Milliarden Euro nennen sie eine Mogelpackung, die bei weitem nicht ausreiche. Bei ihrem Protest vor dem Brandenburger Tor fordern sie die volle Finanzierung der Finanzlücke von 6,7 Milliarden Euro für die rund 2100 Kliniken.

Niemand der in Berlin Protestierenden will dabei wirklich behaupten, dass das deutsche Gesundheitssystem nicht gut ist. Aber was gut ist, ist auch meistens teuer. Und so klagen allenthalben die Beteiligten im Gesundheitssystem über steigende Kosten und zu wenig Geld. Dann setzen sich Gremien zusammen und diskutieren darüber, wo Geld gebraucht wird und wo man es hernehmen kann.

Bei letzterem bietet sich natürlich stets der Beitragszahler an. Und so hat sich die Regierung dazu entschieden, ab 2009 den Gesundheitsfonds einzuführen. Ab 1. Januar sind die Beitragssätze der gesetzlichen Krankenkassen gleich hoch, auf welchem Level steht noch nicht fest. Fest steht nur: Sie werden für viele gesetzlich Versicherte höher sein als bislang.

Wer das Geld bekommt

Wo das Geld herkommen soll, das ist also nicht die Schwierigkeit. Schwieriger ist, wer das Geld bekommt. Primär meckern in Deutschland die Ärzte (als Arbeitnehmer) und die Krankenhäuser (als Einrichtungen) über nicht gedeckte Etats, mangelndes Personal oder fehlende Wertschätzung.

Und weil bald Wahlen in Bayern sind und die Gesundheitsministerin es sich nicht mit den Ärzten verscherzen möchte, hat die Bundesregierung im September beschlossen: Die Ärzte bekommen 2,7 Milliarden Euro mehr Lohn – von den Krankenkassen, sprich den Beitragszahlern. Die Krankenhäuser bekommen 3,2 Milliarden Euro mehr für 2009 – von den Krankenkassen, sprich den Beitragszahlern.

Protest gegen die Bundesländer

Die Ärzte sind damit erstmal zufrieden. Die Krankenhäuser überhaupt nicht. Rudolf Henke, Vorstandsvorsitzender der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, spricht davon, dass "noch 3,9 Milliarden Euro im Etat für 2008 und 2009 fehlen". Und für dieses Geld gingen in Berlin heute die 130.000 Krankenhausangestellten auf die Straße. Das Geld fordern sie allerdings gar nicht vom Bund, den Kassen oder den Beitragszahlern.

Ihr Protest richtet sich gegen die Bundesländer. Die Länder sind in Deutschland nämlich für die Finanzierung von Investitionen in Krankenhäusern zuständig. Das Geld der Krankenkassen geht nur für den laufenden Betrieb drauf. Doch die Länder zahlen keinen Fixbetrag. Bei jeder einzelnen Investition können sie neu abwägen, ob sie das Geld dafür bereitstellen. Das verweigert den Krankenhäusern jede Planungssicherheit. Und oft werden nötige Investitionen so verhindert.

Zuletzt sollen Schätzungen zufolge 2,3 Milliarden Euro bei Investitionen gefehlt haben. Unter dem Druck dieser Zahl setzten sich die Ländervertreter im Bundesrat zusammen und einigten sich auf eine "mittelfristige Verstetigung der Investitionsfinanzierung". Diese Worthülse besteht aber auf rein freiwilliger Basis. Erst bis Ende 2009 soll eine einheitliche Pauschal-Regelung her. Bis dahin bleibt das Etat-Loch bei den Krankenhäusern. Es sei denn, ihr Gang auf die Straße bewirkt noch ein rasches Umdenken bei den Ländern.

Hohe Arzneimittelkosten

Nun wäre also geklärt, wer wem mehr Geld gibt – oder eben auch nicht. Aber wofür wird dieses Geld eigentlich eingesetzt? Es gibt dafür zwei Posten, die wichtig sind: Erstens steigen die Personalkosten. In den vergangenen Jahren wurde zwar versucht, viel Personal einzusparen, um somit die Kosten zu drosseln. Doch die Kosten steigen weiter – zumindest sagt man das.

Zum Zweiten sind da die Arzneimittelkosten. Weil mehr neue und teure Präparate verschrieben werden, rechnet Gesundheitsministerin Ulla Schmidt für 2009 mit 2 Milliarden Euro Mehrausgaben. Das wäre ein Wachstum von 6,6 Prozent. Das ist realistisch, da beispielsweise 2007 ein Wachstum von 6,7 Prozent erreicht wurde, im ersten Halbjahr 2008 5,7 Prozent. 2007 wurden 28 Milliarden Euro für Arzneimittel ausgegeben.

Es geht auch günstiger

Jetzt fragt sich der Beitragszahler vielleicht: Wenn wir die Personalkosten durch Personalabbau reduzieren, müssen wir dann die Arzneimittelkosten dadurch senken, dass wir weniger verschreiben? Die Antwort von Ulrich Schwabe lautet: "Nein". Schwabe ist Professor am Pharmakologischen Institut der Universität Heidelberg und veröffentlicht jährlich den Arzneiverordnungs-Report.

Er hat berechnet, dass "jährlich 3 bis 5,6 Milliarden Euro" eingespart werden könnten - "ohne Qualitätseinbußen". Dazu erstellt Schwabe jedes Jahr eine Liste von preisgünstigen Präparaten, die die gleiche Wirkung wie ein bedeutend teureres Medikament haben. Nach dieser Liste richten sich aber nur wenige Ärzte in Deutschland.

Prognosen für den Beitragssatz

Also wird hier kein Geld gespart, sondern nach frischem Zaster geschrien. Womit die Frage aufkommt, wie hoch der Beitrag denn nun in Zukunft sein muss, um all die Wünsche der Beteiligten zu befriedigen. Wie erwähnt, ist der Beitragssatz noch nicht festgelegt. Der Zeitplan dafür ist aber klar – Ende September handelt ein "Schätzerkreis" die Prozentzahl aus. Am 1. November muss er rechtsgültig stehen.

Das Vorgeplänkel hat längst begonnen. Alle Beteiligten bringen sich in Position. Doch die Prognosen tendieren auch immer mehr in eine Richtung. Es kommt nur noch auf die Art der Formulierung an. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des Spitzenverbandes gesetzlicher Krankenkassen sieht "eine deutliche 15 vor dem Komma". Ulla Schmidt prognostiziert einen Satz "deutlich unter 16 Prozent".

Konkret werden da andere: 15,5 Prozent sagt Johannes Vöcking, Vorstandschef der Barmer, vorher. Und sein AOK-Kollege Hans Jürgen Ahrens plant eher mit 15,8 Prozent. Derzeit liegt der Durchschnittsbeitrag der 70 Millionen Versicherten noch bei 14,92 Prozent.

Teurer ist nicht immer besser

Alles wird also teurer. Doch wie der Volksmund lehrt, ist gut eben teuer. Und besser eben teurer. Was aber, wenn man feststellt, dass gar nicht alles besser wird? In Deutschland kommen jedes Jahr rund 400.000 Patienten zu Schaden, weil Ärzte und Pflegekräfte schlampen. Diese Zahl sei konstant und keine Geldfrage, hat Spiegel-Redakteur Udo Ludwig in seinem kürzlich erschienenen Buch "Tatort Krankenhaus – Wie Patienten zu Opfern werden" ermittelt. Er berichtet darin von zahlreichen Einzelschicksalen, die ein Spiegelbild der Misere unseres Gesundheitssystems darstellen.

Ludwig sagt gegenüber n-tv.de zu den immer neuen Geldforderungen: "Die Krankenhäuser sollten sich selbst überprüfen, statt immer nach der Politik zu rufen. Das ist zu eindimensional." Der Patient müsse mitgenommen werden, er müsse wieder ins Zentrum der Behandlung rücken. Das sei nicht alleine mit Geld zu machen. Er sieht drei Gründe für die Qualitätsdefizite in den Hospitalen: "Ein Grund ist die Hierarchie in den Häusern. Da werden keine Fehler zugegeben und so fortwährend neue produziert – auf Kosten der Patienten."

Zudem würden oft Medikamente eingesetzt, deren Wirkung entweder unbekannt ist oder unbeachtet bleibt. "Da wird oft schnell schnell gemacht und nicht sorgfältig geprüft, was der Patient wirklich verträgt." Als Gründe dafür nennt Ludwig Inkompetenz, Überheblichkeit, Profitgier oder Arbeitsdruck.

Letzteres ist für Ludwig der dritte Grund: "Natürlich ist die hohe Arbeitsbelastung auch ein Fehler-Faktor", sagt Ludwig. "Überall werden Kosten abgebaut. Im Pflegebereich wurde viel eingespart, da kann die anfallende Arbeit gar nicht mehr bewältigt werden."

21.000 neue Pflegekräfte

Muss hier also investiert werden? Die Bundesregierung sieht das so und hat ein Drei-Jahres-Programm aufgelegt. 21.000 neue Stellen für Pflegekräfte sollen geschaffen werden, finanziert mit 700 Millionen Euro aus dem Topf der Krankenkassen. Die Regierung wähnt sich damit auf einem guten Weg. "Wir wollen die Krankenhäuser aus ihren Schwierigkeiten herausholen", sagt Schmidt. Und die Finanzierungsreform werde die Lage der Kliniken deutlich verbessern.

Die Verhandlungen mit den Ländern wolle sie trotzdem weiter vorantreiben. "Ich bin mir sicher, dass wir hier einen ganz wichtigen Schritt weiter gekommen sind", glaubt Schmidt. Bis alle Schritte vollzogen sind, schreiten die Angestellten weiter durch die Straßen.

Quelle: ntv.de

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