Politik

EU-Austritt mit oder ohne May? Großbritannien sucht nach Auswegen

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Entnervt reiben sich Londoner am Morgen danach die Augen: Bei Testabstimmungen im britischen Unterhaus können sich die Parlamentarier auf keine der acht Brexit-Alternativen einigen. Kurz vor dem Stichtag zum EU-Austritt wirft Premier May eine "letzte Karte" ins Spiel.

Nach einem chaotischen Tag im Unterhaus warten Beobachter in London nun mit Spannung darauf, ob und wenn ja, wann die britische Premierministerin Theresa May ihr Brexit-Abkommen erneut zur Abstimmung stellen will. May hatte am Vortag angekündigt, im Falle einer Zustimmung ihr Amt vorzeitig abzugeben. Sie hoffte damit, ausreichend viele Gegner in ihrer eigenen Partei zur Unterstützung ihres Deals zu bewegen.

Düstere Vorahnungen in der Morgensonne über der Themse: Binnen Tagen muss sich die britische Politik auf eine tragfähige Brexit-Lösung einigen.

Düstere Vorahnungen in der Morgensonne über der Themse: Binnen Tagen muss sich die britische Politik auf eine tragfähige Brexit-Lösung einigen.

(Foto: REUTERS)

Britische Medien sprachen von der "letzten Karte", die May gespielt habe, vom "Endspiel" in ihrem Amt oder gar von einem "Totengeläut". Doch die Rechnung scheint nicht aufzugehen: Ihre Verbündeten von der nordirischen DUP gaben der Regierungschefin erneut einen Korb. Sie kündigten an, gegen das von May mit den EU-Partnern ausgehandelte Abkommen zu stimmen.

May werden damit kaum Chancen eingeräumt, wenn sie den Deal voraussichtlich an diesem Freitag - dem ursprünglichen Brexit-Stichtag - dem Parlament erneut zur Abstimmung vorlegen sollte. Doch auch für Alternativen scheint es im Parlament keine Mehrheit zu geben.

Acht Vorschläge durchgefallen

Bei Testabstimmungen über acht Brexit-Optionen lehnten die Abgeordneten am späten Mittwochabend mehrere Varianten einer engeren Anbindung an die EU ebenso ab wie ein zweites Referendum oder einen Austritt ohne Abkommen. Am besten schnitt noch die erneute Volksabstimmung mit 268 Ja-Stimmen ab. Für eine Zollunion mit der EU sprachen sich 264 Parlamentarier aus. Den Brexit-Deal der Premierministerin hatten zuletzt gerade einmal 242 Abgeordnete unterstützt.

Für die Abstimmungen hatten Abgeordnete der Regierung zeitweise die Kontrolle über die Tagesordnung im Unterhaus aus der Hand genommen. Mit diesen "Indicative Votes" wollte das Parlament ausloten, für welche Optionen es eine Mehrheit gibt - doch die zerstrittenen Abgeordneten erreichten dabei kein klares Ergebnis. Für den kommenden Montag stehen weitere Testabstimmungen an.

Bercow lehnt drittes May-Votum ab

Parlamentspräsident John Bercow könnte May erneut einen Strich durch die Rechnung machen: Er stellte eine weitere Abstimmung über Mays EU-Austrittsabkommen infrage. Bercow erinnerte die Premierministerin daran, dass nur substanzielle Änderungen an dem Deal eine weitere Abstimmung rechtfertigen können.

Bercow hatte vergangene Woche für Aufsehen gesorgt, als er eine erneute Abstimmung über das Abkommen unter Berufung auf eine 415 Jahre alte Regel ausschloss. Kritiker werfen ihm Parteilichkeit zugunsten der EU-freundlichen Abgeordneten vor. Brexit-Minister Stephen Barclay sagte, das Abstimmungsergebnis zu den Alternativvorschlägen im Parlament habe gezeigt, dass der mit der EU ausgehandelte Deal immer noch "die beste Option" sei.

Doch was bleibt, sollte Mays Austrittsdeal auch im dritten Durchgang scheitern? Eine erneute Verlängerung der Austrittsfrist wäre wohl nur mit einer Neuwahl oder einem zweiten Referendum zu rechtfertigen. Und Mays potenzielle Nachfolger scharren bereits mit den Hufen.

Mögliche Nachfolger für May

Neben Vizepremier David Lidington und Umweltminister Michael Gove gehören dazu nach britischen Medienberichten auch der exzentrische Ex-Außenminister Boris Johnson, der frühere Brexit-Minister Dominic Raab, Außenminister Jeremy Hunt, der ehrgeizige Innenminister Sajid Javid, Gesundheitsminister Matt Hancock und Arbeitsministerin Amber Rudd. Selbst dem umstrittenen früheren Brexit-Minister David Davis werden Chancen eingeräumt.

Ursprünglich sollte Großbritannien schon an diesem Freitag die EU verlassen. Brüssel bot London kürzlich eine Verschiebung des Brexits bis zum 22. Mai an. Bedingung dafür ist aber, dass das Unterhaus dem Austrittsvertrag noch in dieser Woche zustimmt. Andernfalls gilt die Verlängerung nur bis zum 12. April.

In dem Fall erwarten die EU-Partner in Brüssel aus London allerdings eine rechtzeitig eingehende verbindliche Erklärung, wie genau es im Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU weitergehen soll. Sollte Großbritannien ohne Abkommen aus der Staatengemeinschaft ausscheiden, wird mit dramatischen Folgen für die Wirtschaft und viele andere Lebensbereiche gerechnet. Diese Option fand zwar in den jüngsten Testabstimmungen am Mittwochabend nur geringe Zustimmung, doch sie bleibt die automatische Folge, sollte sich das Parlament nicht doch noch kurzfristig auf eine andere Lösung einigen können.

Ob der gefürchtete harte Brexit damit noch vermieden werden kann, ist damit noch immer vollkommen unklar. Vor knapp drei Jahren hatten die Briten in einer Volksabstimmung mit knapper Mehrheit für den EU-Austritt gestimmt. Während der zweijährigen Frist bis zum geplanten EU-Austritt scheiterte die britische Politik an der Aufgabe, der eigenen Bevölkerung und der Weltöffentlichkeit eine tragfähige Lösung der Brexit-Frage vorzulegen.

Quelle: ntv.de, mmo/dpa

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