Politisches Hickhack in Berlin Grün-Rot lehnt den "Görli"-Zaun ab, den Schwarz-Rot will


"Grotesk" nennt es die CDU-Fraktion, dass die SPD Friedrichshain-Kreuzberg "gegen die eigene Landespartei und vor allem gegen ihre eigene Senatorin schießt".
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Nach Berichten über eine "Massenvergewaltigung" beschloss der Berliner Senat aus CDU und SPD, den "Görli" nachts zu schließen. Daraus entwickelt sich ein politisches Tohuwabohu, bei dem Sozialdemokraten die Grünen unterstützen und ihre eigene Innensenatorin hängen lassen.
Vergangenen Juli ließ Ricarda Lang mit einem Eingeständnis der Angst aufhorchen. In der ARD wurde die Bundesvorsitzende der Grünen gefragt, ob sie nachts durch den Görlitzer Park in Berlin laufen würde. Ihre Antwort: "Im Moment nicht." Die Aussage war Wasser auf die Mühlen all jener, die dringenden Handlungsbedarf ausmachen, die "Ausländerkriminalität" im Allgemeinen und die Situation im "Görli", wie das Areal im Volksmund genannt wird, in den Griff zu bekommen.
Dass sich ARD-Reporter bei Lang nach ihrer Lust oder Unlust auf nächtliche Spaziergänge durch eine bestimmte Grünanlage erkundigten, hatte mit der Nachrichtenlage zu tun. Gerade hatten Berichte über eine "Massenvergewaltigung" einer Georgierin, bei der der Partner habe zuschauen müssen, die Bevölkerung aufgewühlt. In Berlin läuft aktuell der Prozess gegen drei abgelehnte Asylbewerber, die auf Freispruch hoffen können. Dringender Tatverdacht besteht nach Einschätzung des Landgerichts nicht mehr: Möglich scheint, dass der Sex freiwillig war und der Mann an der Seite der jungen Frau keine Einwände hatte. Die politische Debatte über den "Görli" aber geht weiter - und wird verbissener denn je geführt.
Obwohl er ein ähnliches Treffen auf Einladung seiner SPD-Vorgängerin Franziska Giffey nach den Krawallen der Silvesternacht 2022/23 noch als "Kuschelpädagogik" bezeichnet hatte, berief Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner Anfang September einen "Sicherheitsgipfel" ein. Nach der Runde erklärte der Christdemokrat, der Park sei "ein Symbol für falsch verstandene Toleranz. Damit ist jetzt Schluss." Gedeutet wurde das als "neue Härte". Die Koalition aus CDU und SPD vereinbarte später ein etwas mehr als 30 Millionen Euro teures Sicherheitspaket, um die Lage im und am "Görli" sowie anderen Hotspots der Kriminalität zu verbessern, wobei ein hoher Betrag in Hilfe für Drogenabhängige und Obdachlose fließen soll.
Zaun soll "Ruhe reinbringen"
Im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit steht indes der geplante Zaun rund um den Görlitzer Park, der die - zunächst versuchsweise - nächtliche Schließung ermöglichen soll. Wegners erklärtes Ziel lautet, das Gebiet den Kriminellen zu "entreißen" und der Einwohnerschaft "zurückzugeben". Niemand könne die Zustände ignorieren und "achselzuckend hinnehmen, wenn Frauen einen Bogen um diesen Park machen", sagte er im Februar im Parlament. Und weiter: "Wir müssen Ruhe reinbringen - und genau das hat der Zaun zum Ziel."
"Ruhe" wünscht sich vermutlich die gesamte Anwohnerschaft des Parks. Doch gegen Wegners Weg dahin gibt es erheblichen Widerstand. In Kreuzberg, wo der "Görli" liegt, kommt es zu kleineren Demonstrationen, in denen die Landesregierung gefragt wird: "Habt ihr noch alle Latten am Zaun?" An der Spitze der Bewegung stehen die Grünen, die Friedrichshain-Kreuzberg politisch dominieren und mit Clara Herrmann die Bezirksbürgermeisterin stellen. Die Rathauschefin weigerte sich, den Mitte Dezember vom Senat erteilten Auftrag umzusetzen, das Areal "mit einer stabilen Umfriedung auszustatten", was konkret bedeutet, die bestehende Mauer auszubessern, zu ergänzen und mit 19 abschließbaren Toren zu versehen.
Land macht "gesamtstädtisches Interesse" geltend
Als Gründe für ihre Positionierung nannte die Kommunalpolitikerin im Januar in einem Brief an den Senat sowohl juristische Bedenken als auch ihre Erwartung, dass Zaun und nächtliche Schließung die "Situation im gesamten Kiez" nicht verbesserten, sondern verschlechterten. Der Bezirk könne und werde den Senat nicht unterstützen, da ein "Sicherheitsgipfel" als "Ad-Hoc-Gremium, das weder in der Verfassung von Berlin noch im sonstigen Landesrecht vorgesehen ist", nichts Verpflichtendes beschließen könne. Das Grünanlagengesetz, das die Bezirke umsetzen müssen, gebe jedenfalls keine juristisch saubere Begründung für die Schließung her.

Umweltsenatorin Manja Schreiner soll den Zaunbau nun veranlassen, den der Regierende Bürgermeister, Kai Wegner, will.
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Die Lage wird politisch dadurch noch komplizierter, dass für die Berliner Parks und die rechtlichen Regeln zu deren Schutz Umweltsenatorin Manja Schreiner verantwortlich ist. Das Haus der CDU-Politikerin bekräftigte nach Herrmanns Schreiben die Haltung der schwarz-roten Koalition, gemeinsam mit Friedrichshain-Kreuzberg eine Lösung zu finden. Da es Dissens darüber gebe, ob Zaun und nächtliches Betretungsverbot "positive Wirkungen entfalten" könnten, sei ein einjähriger Testlauf geplant. Die juristischen Bedenken teile das Ressort nicht.
Da Friedrichshain-Kreuzberg nicht nachgab, entzog Schreiner dem Bezirk die Zuständigkeit. Um den Bau des Zauns durchziehen zu können, erklärte die Christdemokratin die Umfriedung zum "gesamtstädtischen Interesse", weshalb der Senat sein "Eingriffsrecht" nutzen dürfe und dies auch tue. Sprich: Sie lässt die Einhegung des Parks in Eigenregie durchführen.
Bezirks-SPD stellt sich gegen eigene Senatorin
Die Antwort der Bürgermeisterin ließ nicht lange auf sich warten. Herrmann schickte mit ihrer Parteikollegin, Umwelt-Stadträtin Annika Gerold, Schreiner ein weiteres Schreiben, in dem sie neben den rechtlichen Gründen anführte, "keinerlei Mittel" für die Umfriedung des Areals im Haushalt eingestellt zu haben. Unklar sei zudem, "an welchen Tagen, in welchen Monaten und zu welchen Uhrzeiten eine Schließung erfolgen soll", damit der Zaun konkret geplant, gefertigt und später die Absperrung technisch sowie personell durchgesetzt werden könne.
Vor gut zwei Wochen wurde das politische Hickhack um einen weiteren Dreh reicher. Das Kommunalparlament von Friedrichshain-Kreuzberg gab Herrmann Rückendeckung mit den Stimmen von Grünen, Linken und SPD. Der Beschluss legt dem Bezirk eine Klage gegen den Senat nahe. Die örtliche SPD distanziert sich damit von der sozialdemokratischen Innensenatorin Iris Spranger, die den Zaun befürwortet.
Peggy Hochstätter, SPD-Abgeordnete in Friedrichshain-Kreuzberg, bezeichnet das Vorhaben als "populistisch" und "reine Symbolpolitik, die von Unkenntnis der konkreten Lage im und am 'Görli' zeugt" und nichts verbessern werde. Das Dealen passiere kaum nachts im Park, sondern meist tagsüber in der Umgebung. Die Drogenszene werde nur vertrieben. "Wem ist damit geholfen? Wir müssen für die sozialen Probleme soziale Lösungen finden. Da hilft ein Zaun überhaupt nicht."
Die CDU-Fraktion sieht das anders. Ihre Vorsitzenden Jan Alter und Ulrike von Rekowsky nennen es "grotesk", dass die SPD Friedrichshain-Kreuzberg "gegen die eigene Landespartei und vor allem gegen ihre eigene Senatorin schießt". Die Klage sei unzulässig und werde nichts bringen. "Der Zaun wird kommen."
Quelle: ntv.de