Gruppe um Boris Palmer Grüne "Realos" fordern andere Migrationspolitik
18.02.2023, 18:57 Uhr
Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer und mehrere Dutzend Grünen-Politiker haben das Memorandum unterzeichnet.
(Foto: picture alliance / Pressebildagentur ULMER)
Für die grüne Basis mag es revolutionär klingen: Eine "Realo"-Gruppe um den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer mahnt mehr Ehrlichkeit im Umgang mit dem Thema Migration an. Vor dem Hintergrund der Silvesterrandale in Berlin birgt das Memorandum einigen Zündstoff.
Eine Gruppe von Realpolitikern bei den Grünen fordert einen neuen Kurs in der Migrationspolitik. Es sei auch in Deutschland ein Rechtsruck zu befürchten, falls Bürger weiter ihr Sicherheitsgefühl einbüßten, heißt es in einem Manifest der Gruppe "Vert Realos". "Vert" heißt im Französischen "Grün". Zu der Gruppe gehört auch der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer.
"Es gibt kein klares Integrationskonzept", heißt es in einem Memorandum der Gruppe, das auf den 11. Februar datiert ist. "Die Migrantinnen und Migranten wissen nicht, was von ihnen erwartet wird und machen sich mit falschen Hoffnungen auf den weiten Weg." Es werde kaum zwischen Kriegs-, Asyl- und Wirtschaftsmigranten unterschieden. Das Papier wolle einen Beitrag zur Debatte innerhalb der eigenen Partei und in der Gesellschaft leisten, schreiben die Autoren, "damit die Migrationspolitik in Deutschland an die tatsächlichen Erfordernisse angepasst wird. Sie soll durch Menschlichkeit und Empathie geprägt sein, aber ohne Blauäugigkeit und das Verschweigen von Problemen". Einer schleichenden Erosion rechtsstaatlicher Werte "unter dem Banner einer falschen Toleranz gilt es entschieden entgegenzutreten", heißt es in dem Papier weiter.
So lautet eine Forderung, Asylempfänger müssten sich einordnen in die "geschichtlich gewachsene gesellschaftliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland". Die Gewährung von Asyl setze auch voraus, dass Asylbewerber beim Aufnahmeverfahren mitwirken und nicht straffällig werden. "Ansonsten verfällt das Asylrecht und damit das Aufenthaltsrecht, was auch eine (möglichst zügige) Abschiebung nach sich ziehen muss." Vonnöten seien ein Einwanderungsgesetz für Wirtschaftsmigranten, aber auch "verpflichtende Aufenthaltszonen" für Geflüchtete sowohl an den Grenzen als auch außerhalb der Europäischen Union. Asylbewerber ohne Papiere müssten zurückgewiesen werden oder "bis zur Klärung ihrer Identität in einer staatlichen Aufnahmeeinrichtung verbleiben".
Lindner fordert Lehren nach FDP-Aus in Berlin
Die Forderung nach dem Kurswechsel kommt kurz nach der Wiederholungswahl in Berlin, bei der die Grünen hauchdünn hinter der SPD auf dem dritten Platz landeten - aber weit hinter dem Wahlsieger CDU. Ein großes Thema der Abstimmung und im Wahlkampf waren Randale in der Silvesternacht. Die Grünen hatten sich über Äußerungen von CDU-Politikern in der Integrationsdebatte nach den Krawallen empört.
Nachdem die FDP aus dem Abgeordnetenhaus geflogen war, forderte FDP-Chef Christian Lindner, Lehren für die Politik der Ampel-Koalition auf Bundesebene zu ziehen. Als einen Punkt nannte er die Integrationspolitik. Lindner sagte, die Menschen ließen sich die "Beobachtungen von nicht gelingender Integration im Alltag" nicht von politisch korrekten Argumenten ausreden. Es gebe eine ganz klare Erwartung, irreguläre Migration nach Deutschland zu unterbinden. Vor diesem Hintergrund steht auch das Memorandum der Grünen-Realos. Für die Parteispitze könnte die Debatte darüber ungemütlich werden.
Landrats-Auftritt bei Lanz
Einer der Unterzeichner ist Jens Marco Scherf, Grünen-Landrat im unterfränkischen Miltenberg. Sein Auftritt vor kurzem in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz hatte für Aufsehen gesorgt. Scherf sagte, Migration in seinem Landkreis sei in großen Teilen gelungen - wenn sie auch in Zukunft gelingen solle, müsse man aber den Mut haben, "Missstände ganz offen anzusprechen", ohne dass man diffamiert werde.
Am Donnerstag hatten Bund, Länder und Kommunen bei einem Treffen in Berlin eine bessere Abstimmung zur Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen vereinbart. Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, zeigte sich allerdings mit den Ergebnissen in der Summe unzufrieden.
Quelle: ntv.de, mau/dpa