"Ein bedauerlicher Fehler" Habeck hat jetzt eine Familienaffäre am Bein


Robert Habeck mit seinem Staatssekretär Patrick Graichen (r.) in der Bundespressekonferenz.
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Das Bundeswirtschaftsministerium muss in einer wichtigen Personalie "Fehler" einräumen. Im Zentrum steht Staatssekretär Graichen, dessen Verwandtschaftsverhältnisse Fragen aufwerfen. Auch Robert Habecks Bruder rückt unerwartet ins Scheinwerferlicht. Führt Habeck etwa ein "Familienministerium"?
Was die Opposition im Deutschen Bundestag da ausgegraben haben will, klingt höchst alarmierend: Im Bundeswirtschaftsministerium gebe es "mafiöse Tendenzen", sagt der CDU-Abgeordnete Tilman Kuban am Mittwoch im Bundestag. Stefan Brandner, dessen AfD die Aktuelle Stunde zu den Vorgängen im Haus von Robert Habeck verlangt hat, spricht von "grünen Clanstrukturen". CDU-Generalsekretär Mario Czaja ätzt: Während viele Unternehmen in Deutschland unter der momentan schwierigen wirtschaftlichen Lage litten, gehe es dem Familienunternehmen "Habeck Graichen GmbH & Co. KG" richtig gut. Und der Linke-Abgeordnete Klaus Ernst sagt: "Offensichtlich begreifen die Grünen und ihr Umfeld sich als große Familie, die es zu versorgen gilt und der man Einfluss verschaffen möchte."
Was ist da los in Habecks Ministerium? Im Zentrum stehen die Staatssekretäre Patrick Graichen und Michael Kellner, die nicht nur die Arbeitsstelle gemein haben, sondern auch verschwägert sind: Graichens Schwester Verena Graichen ist Kellners Ehefrau. Sie arbeitet zudem als Forscherin für das Öko-Institut, ist im Bundesvorstand der Umweltschutzorganisation BUND und Mitglied des Nationalen Wasserstoffrats der Bundesregierung. Ebenfalls für das Öko-Institut arbeitet der Bruder von Patrick und Verena Graichen: Jacob Graichen. Öko-Institut und BUND erstellen regelmäßig Gutachten und erbringen Beratungsleistungen für Ministerien und Behörden von Bund und Ländern.
Führungsposten für Graichens Freund
Auch das BMWK ist Auftraggeber, etwa für ein 2022 erstelltes "Hintergrundpapier zur Gebäudestrategie Klimaneutralität 2045". Die Studie umreißt detailliert den Weg zur Umstellung auf erneuerbare Energien bei der Gebäudeheizung. Das Konzept ähnelt in weiten Teilen der seit Wochen umstrittenen Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG). Ebenfalls beteiligt an dem Papier: die Deutsche Energie-Agentur (DENA), ein noch von Rot-Grün aufgesetzter Think-Tank, der die Energiewende vorantreiben soll. Die DENA-Geschäftsführung um Andreas Kuhlmann und Kristina Haverkamp sollte Ende Juni erneuert werden, dann endet Kuhlmanns Vertrag. Der unter anderem mit Vertretern von Bundesministerien besetzte DENA-Aufsichtsrat winkte am 5. April Kuhlmanns Nachfolger durch: Michael Schäfer - Trauzeuge und enger Freund von Patrick Graichen.
Und weil aller guten Dinge drei sind, hat Robert Habeck in der Woche, als die Verwandtschaftsverhältnisse in seiner Ministeriumsspitze und die DENA-Personalbesetzung zum großen Thema wurden, einen Preis überreicht bekommen, ausgerechnet von seinem Bruder Hinrich Habeck. Der Chef der Wirtschaftsförderung von Schleswig-Holstein drückte dem Bundesminister am Montag während einer Begegnung auf der Hannover-Messe den erstmalig verliehenen "Energieküste"-Award in die Hand. Vergeben wurde die kleine, pinke Trophäe durch einen gleichnamigen Zusammenschluss von Kommunen, Unternehmen und Wirtschaftsförderungsgesellschaften aus Habecks Heimat Schleswig-Holstein, wo er einst Minister war.
Rätseln über Graichens Verhalten
Dieser Dreiklang scheint tatsächlich zu belegen, dass es im Hause Habeck auffallend familiär und freundschaftlich zugeht. Das BMWK weist die Vorwürfe entschieden zurück, bis auf den Fall des neuen DENA-Geschäftsführers. Dass Graichen Teil der Findungskommission war, sei "ein Fehler, ein bedauerlicher Fehler", sagte eine Ministeriumssprecherin. Allerdings liege kein rechtlicher Verstoß vor. Graichen habe Habeck am Montag darüber informiert, dass es sich bei Schäfer um seinen Trauzeugen handele. Habeck habe am selben Tag eine Überprüfung von Schäfers Berufung erbeten. Der Posten soll nun neu ausgeschrieben werden.
Sowohl der DENA-Aufsichtsrat als auch die DENA-Gesellschafterversammlung, in der das BMWK durch Staatssekretär Udo Philipp vertreten ist, hatten Schäfer durchgewunken. Er war einer von elf Kandidaten, die eine Personalagentur für den Job des DENA-Geschäftsführers ausfindig gemacht hatte. Eine Findungskommission, in der auch Graichen saß und mitentschied, hatte sich nach Darstellung des Ministeriums in mehreren Verfahrensrunden schließlich für Schäfer entschieden. Warum Graichen erst drei Wochen nach der Entscheidung für Schäfer seinen Vorgesetzten Habeck über das Näheverhältnis informierte, konnte die BMWK-Sprecherin nicht sagen. Der Fehler sei bedauerlich, "aber er ist heilbar".
BMWK: unproblematische Verwandtschaftsverhältnisse
Graichen als einer der wesentlichen Architekten von Habecks Energiewende-Plänen ist spätestens mit der Debatte um ein vermeintliches Heizungsverbot ins Visier der Opposition und der mitregierenden FDP geraten: Der frühere Referatsleiter des damaligen Bundesumweltministers Jürgen Trittin war bis zu seiner Ernennung zum Staatssekretär sieben Jahre lang Geschäftsführer von Agora Energiewende - nach seinem Selbstverständnis eine Denkfabrik, aus Sicht von Kritikern eine Lobby-Organisation für erneuerbare Energien.
Habecks Sprecherin sagte am Montag, Graichens Verwandtschaftsverhältnisse seien schon zu Beginn seiner Tätigkeit offengelegt worden. In Absprache mit den Rechts- und Compliance-Abteilungen des Ministeriums sei damals festgelegt worden, dass Graichen nichts mit der Vergabe von Aufträgen an das Öko-Institut und den BUND zu tun haben dürfe. Die Aufsicht hierüber obliege dem Parlamentarischen Staatssekretär Stefan Wenzel, einem Grünen-Abgeordneten. Nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" hat das Institut seit dem Regierungswechsel 2021 eher weniger Aufträge erhalten als in der Zeit des CDU-Bundeswirtschaftsministers Peter Altmaier.
Der Christdemokrat war es auch, der den Nationalen Wasserstoffrat gegründet hatte. Die Berufung von Verena Graichen fiel deshalb in die Amtszeit der Großen Koalition. Die eingangs genannte Studie zur klimaneutralen Gebäudestrategie nennt übrigens weder Verena noch Jacob Graichen als Autoren: Ihr Schwerpunktgebiet ist ein jeweils anderes, unter anderem der Emissionshandel, der in der laufenden Legislaturperiode aber durchaus von Belang ist.
Empörung nur heiße Luft?
Bliebe noch der "Energieküste"-Award: "Der Preis wurde verliehen von der Energieküste", sagt die BMWK-Sprecherin. "Damit hat der Bruder von Robert Habeck nichts zu tun." Der jüngere Bruder des Ministers habe diesen lediglich überreicht, als sich beide an einem Messestand begegneten. Ist die Empörung im Bundestag also nur heiße Luft? Kommt drauf an: Die Fälle zeigen ein für Außenstehende durchaus bemerkenswertes Netzwerk von Verflechtungen. Graichen, der frühere Grünen-Bundesgeschäftsführer Kellner und Habeck sind langjährige Weggefährten, in etwa gleich alt und in der Umweltbewegung sozialisiert.
Mit der Regierungsbeteiligung im Jahr 2021 haben sie für ihr gemeinsames Projekt Energiewende einander und Bekannte in Schlüsselpositionen gebracht. Läuft dies formalrechtlich korrekt, ist das durchaus üblich. Zumal die linke Tageszeitung "taz" schon im Dezember 2021 und die "Wirtschaftswoche" im September 2022 die Familienbande im Bundeswirtschaftsministerium beleuchteten, ohne dass die Opposition einen "Mafia"-Vorwurf vorbrachte.
Auch Minister anderer Parteien nahmen und nehmen üblicherweise langjährige Vertraute in für sie neue Ministerien mit, seien sie aus der Politik, aus Verbänden oder der freien Wirtschaft. Zumal der heikle DENA-Vorgang offenbar aus dem lange von der CDU beherrschten Wirtschaftsministerium an christdemokratische Politiker herangetragen worden ist. Politiker versuchen sich Hausmacht zu verschaffen, indem ihr Ministerium an entscheidenden Stellen eben nicht von Fahrensmännern der jeweiligen Vorgängerregierung besetzt ist. Eine Frage von Vertrauen und Loyalität.
Im Fall der Besetzung des Geschäftsführerpostens bei der DENA muss aber auch Habeck klar gewesen sein, dass die Personalie Schäfer mindestens eine Grauzone berührt, weshalb er umgehend die Reißleine zog. Dass der Grünen-Politiker Graichen wegen dieses Vorgangs fallen lässt, scheint momentan eher unwahrscheinlich. Doch Graichen ist seit dieser Woche angezählt, während er im Ringen um die Energiewende weiter eine exponierte Position einnehmen wird. Im Fußball droht auf eine Gelbe Karte immer Gelb-Rot zu folgen. Es kommt vor, dass Trainer wichtige Spieler schon mal vorzeitig vom Platz nehmen, um das große Ganze nicht zu gefährden.
Quelle: ntv.de