Politik

"Autoritäre Einschüchterung"HateAid-Chefinnen bekommen von Bund und EU Rückendeckung

24.12.2025, 12:48 Uhr
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HateAid
Ballon (l.) und von Hodenberg dürfen nicht mehr in die USA einreisen. (Foto: Montage: picture alliance/dts-Agentur; IMAGO/photothek/Janine Schmitz)

HateAid unterstützt Betroffene von Hass im Internet. Für die USA sind die Geschäftsführerinnen "radikale Aktivisten", die sich für Zensur im Netz starkmachen würden. Sie dürfen deshalb nicht mehr in das Land reisen. Die europäische Politik lässt die beiden nicht allein.

Auf das Einreiseverbot der USA gegen die HateAid-Geschäftsführerinnen Anna-Lena von Hodenberg und Josephine Ballon hat die deutsche Politik fassungslos reagiert. Das Justizministerium sicherte sofort Unterstützung zu, und die Grünen forderten die Einbestellung des US-Botschafters. Im Ausland sah man im Vorgehen der US-Regierung eine "Hexenjagd".

Bundesjustizministerin Stefanie Hubig nannte die Vorwürfe der US-Regierung "inakzeptabel". Sie erklärte in einem Statement: "HateAid unterstützt Betroffene von rechtswidriger digitaler Hassrede. Die Organisation leistet einen wichtigen Beitrag dazu, dass Persönlichkeitsrechte auch im digitalen Raum geschützt werden", teilte die SPD-Politikerin mit. "Wer das als Zensur bezeichnet, stellt unser rechtsstaatliches System falsch dar. HateAid unterstützt Betroffene - aber die Organisation selbst verbietet keine Meinungsäußerungen."

Bundesaußenminister Johann Wadephul kritisierte die von der US-Regierung verhängten Einreiseverbote gegen die Chefinnen der gegen Internet-Hetze eintretenden deutschen Beratungsstelle als "nicht akzeptabel". Der Digital Services Act (DSA) der Europäischen Union, mit dem Online-Plattformen in der EU reguliert werden, stelle sicher, "dass alles, was offline illegal ist, auch online illegal ist", schrieb der CDU-Politiker auf X.

"Nach welchen Regeln wir in Deutschland und in Europa im digitalen Raum leben wollen, wird nicht in Washington entschieden. Die Maßnahmen der Trump-Administration zeigen, dass das zivilgesellschaftliche Engagement mächtigen Plattformen unbequem ist", schloss sich Hubig an. "Die Geschäftsführerinnen von HateAid, Josephine Ballon und Anna-Lena von Hodenberg, haben unsere Unterstützung und Solidarität."

Der DSA wurde von der Europäischen Union für die EU demokratisch beschlossen, er wirkt nicht extraterritorial, stellte Wadephul klar. "Andere Auffassungen wollen wir mit den USA grundsätzlich im transatlantischen Dialog klären, um unsere Partnerschaft zu stärken", fügte der Außenminister hinzu.

Die EU-Kommission verurteilte die US-Sanktionen "entschieden". Die Kommission erklärte zudem, sie habe die US-Behörden "um Klarstellungen gebeten". Brüssel kündigte an, "falls erforderlich" werde die Kommission "schnell und entschieden reagieren, um unsere Regulierungsautonomie gegen ungerechtfertigte Maßnahmen zu verteidigen".

Botschafter-Einbestellung gefordert

Grünen-Politiker Omid Nouripour forderte Konsequenzen. "Die Bundesregierung sollte umgehend den Geschäftsträger der US-Botschaft einbestellen. Hier geht es um den Schutz deutscher Staatsbürger", sagte Nouripour, der auch Vizepräsident des Bundestags ist. Die förmliche Einbestellung eines Botschafters gilt als scharfes diplomatisches Mittel, mit dem die Regierung des Gastlandes eine deutliche Verstimmung signalisiert.

Die Grünen-Vorsitzende Franziska Brantner schloss sich Nouripours Forderung an. "Die Einreiseverbote sind ein autoritärer Einschüchterungsversuch und ein direkter Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit in Europa." Wer den Einsatz gegen Hass, Bedrohung und digitale Gewalt als "radikalen Aktivismus" diffamiere, stelle Meinungsfreiheit bewusst auf den Kopf.

Auch die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Sonja Eichwede nannte das Verhalten der USA inakzeptabel. "Unter dem Deckmantel einer vermeintlichen Meinungsfreiheit versuchen die USA gegen Menschen und Organisationen vorzugehen, die sich für soziale Plattformen ohne Hass und Hetze einsetzen." Die rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Carmen Wegge, kritisierte die Argumentation der USA als schlichtweg falsch: "Strafbares Verhalten wie Volksverhetzungen und Beleidigungen sind nicht von der Meinungsfreiheit geschützt."

Die US-Regierung hatte die Einreiseverbote gegen Josephine Ballon und Anna-Lena von Hodenberg, ebenso wie gegen drei andere Europäer mit angeblicher Zensur von US-Online-Plattformen begründet. Auch der frühere französische EU-Kommissar Thierry Breton ist betroffen. Er ist einer der Architekten des Digital Services Acts.

Breton verglich die US-Sanktionen mit der "Hexenjagd" auf vermeintliche Kommunisten zu Zeiten der berüchtigten McCarthy-Ära in den USA, in der viele Menschen zu Unrecht ins Visier der Staatsgewalt gerieten. Auf X schrieb Breton: "An unsere amerikanischen Freunde: Die Zensur findet nicht dort statt, wo ihr sie wähnt."

HateAid "nicht überrascht"

In einer Stellungnahme zeigten sich die Geschäftsführerinnen Ballon und von Hodenberg derweil "nicht überrascht": "Es ist ein Akt der Repression einer Regierung, die zunehmend Rechtsstaatlichkeit missachtet und versucht, ihre Kritiker mit aller Härte zum Schweigen zu bringen." Die US-Regierung versuche mit allen Mitteln zu verhindern, dass sich US-Konzerne in Europa an geltendes Recht halten müssen, und stelle damit "die europäische Souveränität infrage". Mit diesem Vorgehen sei eine neue Eskalationsstufe erreicht. Die beiden HateAid-Geschäftsführerinnen forderten von der Bundesregierung und der EU-Kommission ein "klares Signal", dass dieser "Akt der Repression" nicht hinnehmbar sei.

HateAid bietet psychologische und rechtliche Unterstützung für Menschen an, die im Internet diskriminiert, beleidigt, bedroht oder angegriffen werden. Im Oktober wurde von Hodenberg für ihre Arbeit mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Damals hieß es, sie habe 2018 mit der Gründung von HateAid Pionierarbeit geleistet und die erste bundesweite Beratungsstelle geschaffen, an die sich Menschen bei Fällen von Gewalt im Netz wenden können.

Das von der US-Regierung am Dienstagabend (Ortszeit) verkündete Einreiseverbot richtet sich nach offizieller Darstellung gegen "radikale Aktivisten" und Nichtregierungsorganisationen, die Zensurmaßnahmen durch Drittstaaten vorangetrieben hätten. "Viel zu lange haben Ideologen in Europa organisierte Bemühungen angeführt, um amerikanische Plattformen dazu zu zwingen, amerikanische Standpunkte zu bestrafen, die ihnen nicht passen", schrieb US-Außenminister Marco Rubio auf X. Er drohte: Wenn es keine Kurskorrektur gebe, werde die Liste der Sanktionierten noch länger.

Quelle: ntv.de, mpa/dpa/AFP

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