Politik

Tarifabschluss mit Haken Höhere Gebühren drohen

Nach dem Tarifabschluss im öffentlichen Dienst drohen nun höhere Gebühren und Stellenabbau. Die Kommunalverbände mehrerer Länder hielten zudem einen vorläufigen Verzicht auf bestimmte Investitionen für möglich. "Die Städte sind erleichtert, dass mit dem Kompromiss für die Bürgerinnen und Bürger Streiks abgewendet werden konnten. Aber die finanziellen Auswirkungen liegen über dem, was wir erwartet haben", warnte der Vorsitzende des Bayerischen Städtetages, Regensburgs Oberbürgermeister Hans Schaidinger (CSU). Mit der Einigung war am Montag praktisch in letzter Minute ein bundesweiter Streik im öffentlichen Dienst abgewendet worden.

Der Vizevorsitzende des Verbandes Kommunaler Arbeitgeber, Harald Seiter, rechnet als Folge mit einem Personalabbau in kommunalen Krankenhäusern. "Den Krankenhäusern bleibt nach diesem Abschluss nichts anderes übrig, als Personal zu entlassen", sagte er den "Stuttgarter Nachrichten". Dies müsse aber keine Kündigungen bedeuten, weil es vor allem im Pflegebereich ohnehin eine hohe Fluktuation gebe.

Abschluss kostet 9,5 Milliarden


Der Deutsche Städte- und Gemeindebund warnte vor einer Welle von Gebühren- und Beitragsanhebungen. Vielen Kommunen werde nichts anderes übrig bleiben, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Allein die Stadt Stuttgart bezifferte ihre Mehrbelastung für dieses und das kommende Jahr auf zusammen 15 Millionen Euro.

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Stephan Articus, sagte in Berlin, zwar sei es grundsätzlich richtig, "dass auch die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst an der allgemeinen Einkommensentwicklung Anteil haben. Die Tarifeinigung wird aber für die Kommunen teuer."

"Besonders schmerzhaft ist der Kompromiss für Städte mit hohen Defiziten, etwa in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit", fügte Articus hinzu. In vielen Städten werde dadurch der Druck zum Stellenabbau erhöht. Ein Teil der Kommunen werde "keine andere Wahl" haben, "als die Gebühren und Preise für ihre Dienstleistungen zu erhöhen". Articus nannte dabei als Beispiel den öffentlichen Personennahverkehr oder die Müllabfuhr.

Kosten von 9,5 Milliarden

Der Abschluss koste die Kommunen rund 9,5 Milliarden Euro, sagte der Präsident der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), Thomas Böhle. Es sei ein schmerzlicher Kompromiss. In unteren Tarifgruppen komme es zu überproportionalen Verteuerungen. Das betreffe insbesondere Krankenhäuser und den Nahverkehr.

Der Hauptgeschäftsführer des Kommunalen Arbeitgeberverbands in Baden-Württemberg, Hermann Gebert, klagte: "Der Abschluss ist eigentlich nicht akzeptabel, nur politisch vertretbar." Sein schleswig-holsteinischer Kollege, Wilfried Kley, erklärte, im Falle einer Verweigerung der Kommunen hätte ein Streik aber "zu einem (noch) höheren Abschluss geführt". Sachsen-Anhalts Verbandsgeschäftsführer Detlev Lehmann prophezeite, dass sich viele Kommunen aus dem Arbeitgeberband verabschieden und weitere Privatisierungen im öffentlichen Dienst die Folge sein würden.

Der Deutsche Bühnenverein fürchtet um die Existenz der Theater. Sollten die Kommunen die Mehrkosten für den Tarifabschluss nicht übernehmen, müssten die kommunalen Theater und Orchester etwa 2500 weitere Arbeitsplätze abbauen. Dies beträfe vor allem die kleinen Theater: "Eine Reihe von Häusern wäre dann nicht mehr spielfähig", sagte der Direktor des Bühnenvereins, Rolf Bolwin, in Köln.

Der Bund werde laut Finanzministerium bei voller Wirkung des Abschlusses von 2010 an mit rund 2 Milliarden Euro belastet. In der Finanzplanung waren dagegen nur 500 Millionen Euro im Bundesetat unterstellt worden. Das Finanzministerium begrüßte dennoch die Einigung. Wichtig sei, dass die Ost-West-Angleichung in den Bundesverwaltungen auf Wunsch des Finanzministeriums vorgezogen werde, hieß es.

Mehr Lohn, längere Arbeitszeit

Nach monatelangen Verhandlungen hatten sich Arbeitgeber und Gewerkschaften in Potsdam auf deutlichen Lohnzuwachs und verlängerte Arbeitszeit geeinigt. Die Bezüge für die 1,3 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen steigen in diesem Jahr um 3,1 Prozent. Zudem wird ein Sockelbetrag von 50 Euro aufs Gehalt aufgeschlagen.

Im Westen gilt die Erhöhung rückwirkend zum 1. Januar, im Osten seit dem 1. April. Am 1. Januar 2009 steigen die Gehälter um weitere 2,8 Prozent. Außerdem erhalten die Tarifbeschäftigten eine Einmalzahlung von 225 Euro. Der Abschluss gilt auch für rund 900.000 Angestellte in kommunalen Betrieben wie Krankenhäuser, Nahverkehr- oder Versorgungsunternehmen.

Beamtenbund fordert Übernahme

Der Vorsitzende des Beamtenbundes dbb, Peter Heesen, forderte eine rasche Übernahme des Tarifabschlusses für die Beamten. "Dieses Ergebnis muss zeit- und wirkungsgleich auf die Beamten, Soldaten, Richter und Versorgungsempfänger übertragen werden", sagte Heesen. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte in Potsdam zugesagt, den Abschluss für die Bundesbeamten zu übernehmen. "Die Bundesbeamten sind in der Vergangenheit oft schlechter gestellt worden", sagte Heesen. So sei ihr Weihnachtsgeld auf 30 Prozent gekürzt worden, während beispielsweise Bayern noch 60 Prozent bezahle. Bei der Arbeitszeit seien die Bundesbeamten ohnehin benachteiligt. Sie müssten 41 Stunden arbeiten, die Angestellten des Bundes nur 39 Stunden.

"Falsche Weichenstellung"

Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt warnte vor ähnlich hohen Abschlüssen in der Privatwirtschaft. Der Abschluss sei eine "falsche Weichenstellung", sagte Hundt der "Financial Times Deutschland". Auch der Chef der Tarifgemeinschaft der Länder, der niedersächsische Finanzminister Hartmut Möllring (CDU), wies eine Signalwirkung des Abschlusses von sich. Die Länder müssen für den öffentlichen Dienst allein verhandeln.

In der Nacht einigten sich in Berlin die Verkehrsbetriebe (BVG) und die Gewerkschaft ver.di auf die Aufnahme von Tarifverhandlung auf Grundlage des Potsdamer Abschlusses. Ein für Dienstag angekündigter Streik im Nahverkehr der Hauptstadt wurde so kurz nach seinem offiziellen Beginn doch noch gestoppt. Die Verhandlungen sollen drei Tage dauern. Während der Tarifverhandlungen darf nicht gestreikt werden.

Quelle: ntv.de

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