Leyen rechnet selbst Höhere Kinderarmut
26.05.2008, 15:45 UhrBundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat davor gewarnt, die Armut von Kindern in Deutschland zu unterschätzen. Ein Bericht des Prognos-Instituts, den von der Leyen in Berlin vorstellte, kommt zum Ergebnis, dass mehr als jedes sechste deutsche Kind in Armut lebt. Im nationalen Armutsbericht, dessen Entwurf Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) vor einer Woche vorgestellt hatte, war die Kinderarmut niedriger eingeschätzt worden: Nur etwa jedes achte Kind in Deutschland ist demnach von Armut bedroht.
Vor allem Mädchen und Jungen in kinderreichen Familien hätten in starkem Maße unter Armut zu leiden. Notwendig sei daher ein nach der Familiengröße gestaffeltes Kindergeld. Es müsse verhindert werden, dass Familien nur aufgrund der Geburt eines weiteren Kindes in die Armut abrutschten. "Ein Mindestlohn hilft keiner Familie mit mehreren Kindern", sagte sie.
Von der Leyen kündigte an, dass nach Vorliegen des Existenzminimumberichts im Herbst neue Kindergeldentscheidungen anstünden: "Tatsache ist, dass das Kindergeld für das erste und zweite Kind seit 2001 nicht erhöht worden ist. Aber für das dritte Kind ist es seit 1995 nicht mehr erhöht worden. Man hat völlig das dritte Kind in diesem Land vergessen und damit auch die folgenden Kinder." Die Frage, wie beim Kindergeld verfahren wird, ist in der Koalition noch strittig.
Kindergeld als Einkommensfaktor
Kindergeld leistet nach Expertenaussagen den größten Beitrag zur Armutsbekämpfung: Gäbe es kein Kindergeld, würden demnach zusätzlich etwa 1,7 Millionen Kinder unter die Armutsgrenze rutschen.
Größere Familien mit drei oder mehr Kindern spürten das Kindergeld besonders stark. Ihnen liefere es 15 Prozent des verfügbaren Einkommens. Bei Alleinerziehenden mit zwei Kindern sei dies noch deutlicher. Das Kindergeld entspreche im Schnitt 20 Prozent ihres Einkommens. Allerdings stellt der Bericht, den das Prognos-Institut für das Bundesfamilienministerium erstellt hat, auch fest, dass Kindergeld das teuerste familienpolitische Instrument ist: 35 Milliarden Euro gibt der Staat jedes Jahr dafür aus.
Außerdem müssten Familie und Beruf besser vereinbar werden, sagte die CDU-Politikerin. Von der Leyern will vor allem Alleinerziehende unterstützen und es ihnen durch gute Kinderbetreuung und Ganztagsschulen ermöglichen, Vollzeit zu arbeiten. Dies sei die beste Möglichkeit, um Armut zu verhindern oder aus dieser herauszukommen. Von der Leyen sprach sich zugleich dafür aus, gezielt Kindern aus Migrantenfamilien zu helfen. Gründe für Armut seien hier die oft geringe Bildung der Eltern und die schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Auch hier sei ein Zugang zu Bildung und Betreuung notwendig.
Arm und hoffnungslos
Am stärksten betroffen sind Kinder und Jugendliche in Haushalten mit Hartz-IV-Bezug. Hier liegt das Armutsrisiko bei 65 Prozent. Deshalb fordert der Präsident des Sozialverbands VdK Deutschland, Walter Hirrlinger, eine deutliche Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes für Kinder. "Der Regelsatz muss um mindestens 20 Prozent, also von 208 auf 250 Euro steigen, damit betroffene Kinder nicht Gefahr laufen, dauerhaft ausgegrenzt zu werden."
Chronische Krankheiten, Übergewicht und Verhaltensauffälligkeiten hätten insbesondere bei benachteiligten Kindern stark zugenommen, betont dazu UNICEF. Die Kluft zwischen den Kindern, die gesund, abgesichert und gefördert aufwachsen und solchen, deren Alltag durch Hoffnungslosigkeit, Mangel und Ausgrenzung geprägt ist, reiße immer weiter auf und habe weitreichende Folgen für ihr ganzes Leben.
Am wenigsten von Armut betroffen sind Kinder in Haushalten, in denen beide Elternteile erwerbstätig sind. Haben beide eine Vollzeitstelle, liegt das Risiko lediglich bei vier Prozent, bei Alleinverdienern in Vollzeit bei rund zehn Prozent. Von Armut bedroht gilt in der EU, wer weniger als 60 Prozent des mittleren allgemeinen Pro-Kopf-Nettoeinkommens zur Verfügung hat.
Quelle: ntv.de