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Kreml-Diktat für Militärblogger? ISW sieht Wendepunkt in russischer Kriegsberichterstattung

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Die bekanntesten Militärblogger waren im Juni im Kreml zu Gast.

Die bekanntesten Militärblogger waren im Juni im Kreml zu Gast.

(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Lautstark berichten russische Militärblogger seit Monaten über Erfolge und Misserfolge in der Ukraine. Doch zu dem erfolgreichen ukrainischen Angriff auf die Tschonhar-Brücke schweigen sie plötzlich. US-Kriegsbeobachter deuten dies als Hinweis auf neue Spielregeln des Kreml.

Der Kreml greift nach Meinung des Institute for the Study of War (ISW) verstärkt in die Kriegsberichterstattung russischer Militärblogger ein und verbietet ihnen, über bestimmte Ereignisse zu berichten. Als Beleg führt das US-Institut in seinem aktuellen Lagebericht das Ausbleiben einer Reaktion auf den jüngsten ukrainischen Angriff auf die Tschonhar-Brücke an. Auch die Behauptung des russischen Statthalters in der besetzten südukrainischen Region Cherson, wonach Russland bei dem Angriff zwölf ukrainische Marschflugkörper abgefangen habe, wurde demnach nicht kommentiert oder aufgegriffen.

Die Brücke ist eine wichtige Verbindung und Nachschubroute zwischen der Oblast Cherson und der Halbinsel Krim. Das ISW bezeichnet die Tatsache, dass man in Russland zu dem Angriff schweigt, als einen "bemerkenswerten Wendepunkt in der russischen Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine". Denn bei einem früheren Angriff auf die Tschonhar-Brücke hätten die Militärblogger sehr wohl mit weit verbreiteter Empörung und Besorgnis reagiert, heißt es. Zudem würden die Blogger sonst sowohl über erfolgreiche als auch über angeblich erfolglose ukrainische Angriffe auf russische Logistik berichten.

Die Beobachter des US-Instituts deuten die Entwicklung als Hinweis, dass der Kreml die Militärblogger angewiesen haben könnte, bestimmte Themen nicht mehr zu behandeln. Sie halten es auch für möglich, dass sich ein Teil der Blogger nach der Verhaftung des bekannten Kreml-Kritikers Igor Girkin aus Angst vor Moskauer Vergeltungsmaßnahmen selbst zensiert. Es sei allerdings schwer vorstellbar, dass aus Sorge vor Bestrafung gar nicht über ein so wichtiges Ereignis berichtet werde, lautet das Fazit der amerikanischen Experten.

Die Militärblogger sind ein wichtiger Teil des russischen Propaganda-Apparats. Die erfolgreichsten von ihnen haben zwei bis drei Millionen Follower auf Telegram. Täglich fluten sie die Kanäle ihrer Leser mit neuen Informationen und Bildern von der Front. 16 von ihnen hatte Putin im Juni im Kreml empfangen.

Schweigen zu Drohnenangriffen

Als Hinweis auf neue Direktiven für die Berichterstattung über den Krieg können womöglich auch die erfolgreichen Drohnenangriffe in der Moskauer Innenstadt erachtet werden. Das Kreml-kritische russische Exilmedium Medusa meldet, dass das russische Staatsfernsehen nicht über die Angriffe berichtet habe. Stattdessen hätten die Sender am Sonntagmorgen über die bevorstehende Parade der russischen Marine in St. Petersburg berichtet, den Russland-Afrika-Gipfel und über mehrere Naturkatastrophen, die Russland derzeit heimsuchen.

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Am Wochenende waren zwei Drohnen in einem Moskauer Bürokomplex eingeschlagen. Russische Behörden geben an, dass eine Drohne am Stadtrand abgeschossen werden konnte. Zwei weitere wurden demnach durch "elektronische Kampfführung ausgeschaltet" und schlugen deshalb in dem Bürokomplex ein. Verletzte soll es laut dem russischen Verteidigungsministerium nicht gegeben haben. Der internationale Hauptstadtflughafen Wnukowo wurde kurzzeitig geschlossen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach dagegen davon, dass der "Krieg allmählich auf das Territorium Russlands zurückkehrt - in seine symbolischen Zentren und Militärstützpunkte". Dies sei ein "unvermeidlicher, natürlicher und absolut fairer Prozess", sagte er bei einem Besuch in der westukrainischen Stadt Iwano-Frankiwsk.

Quelle: ntv.de, mli/chr

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