
Seit heute im Amt des Verteidigungsministers: Boris Pistorius
(Foto: REUTERS)
Eine halbe Stunde lang geht es im Bendlerblock heute darum, den neuen Verteidigungsminister zu ehren, danach muss er ran: Telefonat mit Frankreich, Besuch aus den USA. Die Herausforderungen für Pistorius sind riesig, er geht sie mit klaren Worten an.
Ein Arbeitsstart mit Pauken und Trompeten: Die militärischen Ehren, mit denen Boris Pistorius an seinem neuen Arbeitsplatz empfangen wird, werden anderen Ministern zum Einstand nicht zuteil. Der neue Verteidigungsminister von der SPD weiß die Ehre auf dem Paradeplatz im Berliner Bendlerblock anzunehmen und, dem Blick nach zu urteilen, auch zu genießen.
Kurz zuvor, als ihm der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, zur Begrüßung salutiert, scheint Pistorius sich kurz zu fragen, ob es wohl passend wäre oder gegen irgendein Protokoll verstoßen könnte, Zorn als Erwiderung die Hand zu geben. Dann entscheidet er sich offenbar nach Gefühl - und für den Händedruck.
Nach Ende der Parade hat Pistorius' Vorgängerin Christine Lambrecht die Herausforderungen des Tages gemeistert - Entlassungsurkunde vom Bundespräsidenten entgegennehmen, den Nachfolger im Verteidigungsministerium (BMVg) willkommen heißen. Für Pistorius aber geht es im selben Moment los, und zwar richtig.
Ein kurzes Statement vor der Presse noch, dann ist er schon zum Telefonat mit dem französischen Verteidigungsminister verabredet, bevor er Lloyd Austin zum Gespräch im Bendlerblock erwartet, seinen amerikanischen Amtskollegen. Dem internationalen Druck kann man derzeit dabei zuschauen, wie er täglich zunimmt, bezogen auf mögliche deutsche "Leopard"-Lieferungen an die Ukraine und die Genehmigungen für andere potenzielle Geber.
Die Gemengelage könnte fragiler nicht sein
Von Kanzler Olaf Scholz heißt es, er habe angeboten, dass Berlin Kampfpanzer liefert - aber nur, falls die USA mit Abrams gleichziehen. Parallel scheint Polen inzwischen zu erwägen, die Ukraine auch ohne Genehmigung der Bundesregierung mit "Leopards" zu beliefern. Die Gemengelage könnte fragiler und verworrener nicht sein, da werden Pistorius und der US-Minister sich mit freundlichen Floskeln nicht aufhalten können.
Doch das ist nur die offensichtlichste und akuteste Herausforderung für den Neuen im Amt. Und wer dieser Tage meint, die Eignung des Niedersachsen in erster Linie damit untermauern zu können, dass er in den 1980er Jahren in Achim seinen Wehrdienst geleistet hat, dessen Verständnis für die Aufgaben des Ministers ist schlicht unterkomplex.
Der imposante Aufmarsch des Wachbataillons ihm zu Ehren lässt sich auch als eine Andeutung dessen interpretieren, was als weitere zentrale Herausforderung auf Pistorius wartet: Dem Bendlerblock wird von vielen Seiten ein schwer zu durchdringendes Eigenleben attestiert.
Lambrecht hat es nicht geschafft, dieses Eigenleben zu moderieren, seine Mechanismen zu beherrschen und zu nutzen. Kaum ein internes Papier von Belang, das nicht ungewollt seinen verschlungenen Weg in die Öffentlichkeit fand. Mit Blick auf den Abbau von Bürokratie verschaffte sie unteren Hierarchien zwar mehr Beinfreiheit, aber ein Grundsatzproblem lähmt die Prozesse im BMVg nach wie vor: dass zu viele Ebenen bei zu vielen Entscheidungen zu viel mitreden wollen und können.
"Böses Blut ist ihm auf dem Posten garantiert"
"Man kann Pistorius nur den Mut wünschen, die notwendigen Veränderungen mit sehr klaren Federstrichen und schnellen Entscheidungen anzuordnen, ergänzt um den nötigen Durchhaltewillen, denn böses Blut ist ihm auf dem Posten garantiert", sagt Sicherheitsexperte Frank Sauer von der Münchner Universität der Bundeswehr ntv.de.
Nötig ist aus seiner Sicht, den 2012 von Thomas de Maizière abgeschafften Planungsstab wieder einzurichten, um strategisch-politische Schwerpunktsetzungen vorzunehmen und dem Minister bessere Entscheidungsmöglichkeiten zu geben. Davon abgesehen seien Verschlankung und vor allem weniger Bürokratie der Schlüssel: statt langer Prüfschleifen über viele Hierarchieebenen hinweg mehr Eigenverantwortung für die Fachleute auf Arbeitsebene. So könnte man Probleme pragmatischer und zügiger lösen, an der Sache orientiert statt an Zuständigkeiten. Eine moderne Fehlerkultur müsste das BMVg in diesem Zuge ebenfalls entwickeln, um aus schlechten Ergebnissen zu lernen und sich als Organisation zu verbessern, statt reflexhaft Karriereenden einzuläuten.
Schwer zu sagen, ob Pistorius die Bretter, die er wird bohren müssen, schon im Blick hat, als er nach den militärischen Ehren auf dem Paradeplatz in der Sonne stehend in die Kameras sagt: "Ich brauche die Unterstützung aller und werde sie auch einfordern." Das klingt energetisch und schneidig. Beide Attribute wird er brauchen, um eingeschliffene und verkrustete Prozesse aufzubrechen. "Ich brauche jeden Einzelnen", sagt Pistorius. Diese Loyalität aus dem Haus, in dem er direkt anschließend seine Arbeit aufnimmt, ist ihm im Interesse des Landes zu wünschen.
Quelle: ntv.de