
Viel Konsens prägte die Debatte um die Maßnahmen zur Corona-Pandemie.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die Coronavirus-Krise stellt die Politik vor neue Herausforderungen. Die Regierung schnürt dafür ein Milliardenpaket. Im Bundestag scheint Einigkeit zu herrschen: Jetzt ist nicht die Zeit für parteipolitische Auseinandersetzungen. Nur ein Mal wird es laut.
"Die Regierungspolitik enthält viele Einsichten, die wir für richtig halten und die wir teilen." Das sagt einer, der in den vergangenen Jahren viel Kraft darauf verwendet hat, die Regierung, Kanzlerin Merkel und die Große Koalition mit wohl allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen und zum Teil zu diskreditieren: AfD-Fraktionschef Alexander Gauland. Bis vor wenigen Wochen hätte wohl niemand damit gerechnet, dass er einmal auf die Idee kommen würde, der Bundesregierung zu attestieren, vieles richtig zu machen. Doch vor dem Hintergrund der Coronavirus-Krise spielen sich im Bundestag zum Teil bemerkenswerte Szenen ab. Das Parlament, von vielen Beobachtern in der laufenden Legislaturperiode als "so gespalten wie nie" beschrieben, rückt zusammen - auch wenn die Abgeordneten wegen des Infektionsschutzes Abstand halten sollen.
Schon früh im Laufe der Debatte zeichnet sich ab, dass alle Parteien die Vorschläge der Bundesregierung unterstützen würden. Hunderte Milliarden Euro sollen Konzernen, Kleinunternehmen oder Solo-Selbständigen zur Verfügung stehen, um die Auswirkungen der Krise abzufedern. Bei Hartz-IV sollen Hürden abgebaut, neue Kurzarbeiterregelungen getroffen werden und vieles mehr. In extrem kurzer Zeit hat die Regierung geliefert, sich auch vorab mit den Oppositionsfraktionen abgesprochen. Denn so umfangreich die Hilfen auch sind - sie sollen vor allem schnell verfügbar sein. Nach dem Willen von Wirtschaftsminister Peter Altmaier schon zu Beginn der kommenden Woche. Man stelle sich vor, eine oder mehrere Fraktionen würden dieses Hilfspaket nun blockieren. Es käme vermutlich einem politischen Selbstmord gleich. Das erklärt die Zustimmung aber nur teilweise.
"Man kann also die Grenzen schützen"
Einig sind sich die Abgeordneten auch, dass all jenen gedankt werden müsse, die in der jetzigen Situation an der vordersten Linie im Einsatz sind: Krankenpfleger und Ärzte; und jenen, die das öffentliche Leben in Deutschland am Laufen halten: Verkäufer in Supermärkten, Paketboten, Mitarbeiter in Behörden. Ihnen spricht Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zu Beginn der Sitzung seinen Dank aus und alle Abgeordneten erheben sich zum Applaus. Die Fraktionsvorsitzenden aller Parteien wiederholen jeweils zu Beginn ihrer Reden diesen Dank unter gemeinsamem Applaus. Als Finanzminister Olaf Scholz in seiner Ansprache anbietet, der wegen Covid-19-Verdachts in Quarantäne befindlichen Kanzlerin die besten Wünsche der Abgeordneten zu überbringen, applaudieren auch AfD-Abgeordnete - eigentlich ja die ärgsten Gegner Angela Merkels.
Zum Einvernehmen der heutigen Sitzung gehört aber auch, dass die Oppositionsparteien auch inhaltlich kein grundlegendes Probleme mit dem Paket der Regierung zu haben scheinen. In der Gänze hätten sie auf die Schnelle vermutlich nichts Besseres liefern können. Das wird ihnen bewusst sein. Platz für Seitenhiebe bleibt bei aller Harmonie natürlich dennoch.
Zu den Einsichten, die Gauland etwa lobt, gehört seiner Meinung nach nämlich auch: "Man kann also die Grenzen schützen und wir werden die Regierung bei Gelegenheit daran erinnern", sagt er im Hinblick auf die vielfach von der AfD kritisierte nicht erfolgte Grenzschließung in der Flüchtlingskrise 2015. Einreisekontrollen seien zu spät gekommen, die Bevorratung von Schutzhandschuhen und Schutzmasken sei ungenügend gewesen, bemängelt er. Auch sagt er, seine Fraktion vermisse "einen Plan, Herr Minister, für die Zeit in drei Monaten". Sollte sich die Krise verschärfen, warnt er vor fehlenden Instrumenten. "Über das jetzt erlassene Kontaktverbot hinaus bleiben dann nur Ausgangssperren. Auch wenn ein süddeutscher Ministerpräsident, der sich ein wenig wie ein Prokonsul aufführt, solche gern hätte, müssen heute schon die sozialen Folgen bedacht werden." Ein klarer Seitenhieb gegen Bayerns Landesvater Markus Söder.
AfD-Politiker erklärt seinen Respekt für die Arbeit der Regierung
Insgesamt jedoch hat Gauland im Bundestag selten eine so wenig angriffslustige Rede gehalten. Einverständnis für Regierungspolitik, ja sogar Anerkennung, gab es an dieser Stelle so deutlich noch nie von ihm. Und das äußert er ein weiteres Mal, als er sagt: "Deutsche Interessen müssen wahrgenommen werden, wie es die Regierung im Falle des Versuchs, eine deutsche Firma amerikanischer Kontrolle zu unterwerfen, richtigerweise getan hat." Sein Fraktionskollege Jürgen Pohl sagte im späteren Verlauf sogar: "Ich erkläre ausdrücklich meinen Respekt, in welcher Geschwindigkeit dieses Maßnahmenpaket vorgelegt wurde." Lob von der AfD für die Regierung - so etwas hat es nicht gegeben, seit die Partei im Bundestag sitzt.
Auch von Links kommt an diesem Tag Einverständnis für die Pläne der Bundesregierung - auch das ist unüblich. "Das Hilfspaket enthält viele gute Regelungen, mit denen wir einverstanden sind. Viele Gespräche waren konstruktiv", lobt die Vorsitzende der Fraktion Die Linke, Amira Mohamed Ali. In der aktuellen Krise zeigten sich jedoch auch die "fatalen Folgen des Spardiktats und der Privatisierung im Gesundheitswesen". Bei allem Lob für das Milliardenpaket fordert sie, schon jetzt über die Phase der Rückzahlungen der Kredite zu reden. Standing Ovations für Menschen mit systemrelevanten Berufen sind ihr außerdem zu wenig. Sie fordert einen Zuschlag von 500 Euro monatlich für Menschen im Gesundheitswesen, im Einzelhandel oder Berufskraftfahrer. In der Pflege würden weiter "Hungerlöhne" gezahlt. Außerdem will sie eine Sonderabgabe für Multimillionäre und Milliardäre.
Die Abstände bereiten einer Fraktion Probleme
Auch bei den weniger konfrontativen Oppositionsparteien Grüne und FDP werben die Fraktionsvorsitzenden für die gemeinsame Sache. "In dieser Zeit steht Kooperation vor Konkurrenz", sagt Grünen-Frau Katrin Göring-Eckardt und signalisiert die Zustimmung ihrer Fraktion. Bei Bundestagssitzungen der vergangenen Wochen hatte es ohnehin aus dieser Fraktion mehrfach Lob für das Krisenmanagement von CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn gegeben, was vor dem Hintergrund vergangener Streitereien in der Klimapolitik nicht vergessen werden sollte. FDP-Chef Christian Lindner gab zu bedenken, die derzeitigen Beschränkungen "widersprechen der menschlichen Natur". Der Zustand gefährde die Wirtschaft und auch den sozialen Frieden, "wenn schon in der allernächsten Zeit die Akzeptanz der Menschen sinken könnte", mahnte er. Einen Seitenhieb kann auch er sich nicht verkneifen, als er die Erleichterungen beim Zugang zu Hartz IV als "neues Leistungsverweigerungsrecht" bezeichnet. Doch alle Fraktionen verbinde ein gemeinsames Ziel, nämlich "Schaden vom deutschen Volk und der Bevölkerung abzuwenden". Auch er kündigt die Unterstützung der FDP an.
Bei allen Bedenken, die angebracht werden, aller Kritik, ist die Debatte sehr auf den Konsens ausgelegt. Der Großteil der Menschen in Deutschland schaut derzeit auf die Regierung und darauf, wie sie in der Krise handelt. Und bisher, das belegen Umfragen, sind sehr viele Menschen mit dem Krisenmanagement zufrieden. Bei Entscheidungen dieser gigantischen Tragweite wäre die Debatte unter anderen Voraussetzungen vermutlich völlig anders verlaufen. Doch die Coronavirus-Krise stellt den Bundestag auch in anderer Hinsicht vor neue Herausforderungen.
Und das betrifft das konkrete Miteinander der Abgeordneten. Zwischen den Fraktionen wurde zuvor vereinbart, dass die Parlamentarier den behördlich vorgeschriebenen Mindestabstand von zwei Metern zueinander halten. Viele Plätze im Plenum wurden gesperrt, damit das gelingt. Die Saaldiener bringen Wasser nur in Plastikbechern und desinfizieren nach jeder Rede das Pult. Eine Fraktion hat jedoch große Schwierigkeiten, sich an die Regeln zu halten. Kurz vor Beginn der Sitzung setzt sich AfD-Politiker Armin Paulus Hampel direkt neben seinen Fraktionschef Gauland. Kurz darauf wird er von FDP-Politiker Wolfgang Kubicki verscheucht. Dann unterhalten sich Gauland, Beatrix von Storch, Parteichef Tino Chrupalla und Enrico Komning im gewohnten Abstand - als sei nichts gewesen. Parallel dazu gibt es eine Unterhaltung von fünf weiteren, eng beieinander stehenden AfD-Politikern. Und auch während der Debatte stecken die Abgeordneten die Köpfe zusammen und beraten sich. Dann platzt der Grünen-Politikerin Britta Haßelmann der Kragen und sie ruft quer durch den Saal: "Wir haben hier klare Regeln, gehen Sie auseinander!" Von Storch antwortet umgehend und ruft: "Stellen Sie sich Mal nicht so an!" Für einen Moment ist die Stimmung dann doch so, wie man das aus den letzten Monaten eher gewohnt war.
Quelle: ntv.de