Kuds-Agenten auf deutschem Boden "Iranische Dienste bereiten Vergeltung vor"
18.01.2018, 09:51 Uhr
Teilnehmer einer antiisraelischen Demonstration in Berlin verbrennen eine Israel-Flagge.
(Foto: Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus e.V.)
In mehreren Bundesländern werden Wohnungen mutmaßlicher iranischer Spione durchsucht. Was tun Teherans Agenten hierzulande? Ein Spionage-Experte berichtet im Interview über die Ziele und die lange Tradition deutsch-iranischer Geheimdienstarbeit.
In mehreren Bundesländern werden Wohnungen mutmaßlicher iranischer Agenten durchsucht. Doch was tun Teherans Geheimdienste hierzulande? Spionage-Experte Erich Schmidt-Eenboom berichtet im Interview mit n-tv.de über die Ziele iranischer Agenten und die lange Tradition deutsch-iranischer Geheimdienstaktivitäten.
n-tv.de: Was machen iranische Geheimdienste auf deutschem Boden?
Erich Schmidt-Eenboom: Eine Schwerpunktaufgabe ist die Ausspähung der iranischen Opposition in der Bundesrepublik. Dabei haben die iranischen Dienste vor allem die sogenannten Volksmudschahedin (Info-Box weiter unten im Text) im Fokus, die ihre Europazentrale in Paris haben, aber auch in Nordrhein-Westfalen, vor allem im Raum Köln, sehr aktiv sind.
Aber sie überwachen ja nicht bloß die iranische Exil-Opposition, oder?
Nein, sie sind natürlich auch daran interessiert, die Nahostpolitik der Bundesrepublik als Führungsmacht in der EU zu beeinflussen. Eine wesentliche Rolle dabei spielt das Atomabkommen mit dem Iran. Teheran will wissen, wer in Deutschland noch an diesem Abkommen hängt und wer nicht. Hinzu kommt, dass sich das Verhältnis zwischen Israel und dem Iran seit Monaten nachhaltig verschlechtert. Die Israelis drohen durchaus mit militärischen Attacken gegen die Atomanalagen im Iran. Und da bereiten iranische Nachrichtendienste natürlich auch so etwas wie potentielle Vergeltungsmaßnahmen vor.

Erich Schmidt-Eenboom ist Verfasser zahlreicher Bücher über Geheimdienste und Leiter des Forschungsinstituts für Friedenspolitik.
(Foto: imago stock&people)
Vergeltung gegen israelische oder jüdische Einrichtungen oder Personen?
Ja.
Jüdische oder israelische Repräsentanten müssen also auf deutschem Boden aufgrund iranischer Geheimdienste um Leib und Leben fürchten?
Für jüdische und israelische Einrichtungen – von der Synagoge bis zur Botschaft – besteht diese Gefahr.
Auch der deutsche Politiker Reinhold Robbe wurde in seiner früheren Funktion als Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft jahrelang bespitzelt. Könnten auch deutsche Staatsbürger Opfer möglicher Vergeltungsaktionen des iranischen Geheimdienstes werden?
Da wird der Iran keine roten Linien überschreiten, denke ich. Die Lobbyarbeit Israels in Deutschland wird natürlich genau beobachtet, besonders die aktuellen Versuche, die Bundesregierung davon zu überzeugen, dass das Atomabkommen gekündigt werden sollte und dass wieder Wirtschaftssanktionen verhängt werden sollten. Da beobachtet der Iran ganz genau deutsche Politiker, die eng mit israelischen Lobbyisten zusammenwirken. Aber dass sie solchen Leuten körperlichen Schaden zufügen könnten, halte ich für ausgeschlossen. Das würde die Bundesregierung in Bezug auf den Iran endgültig ins amerikanische Lager treiben.
Der Iran wird für jeden Angriff Israels Vergeltung suchen. Doch das muss nicht bedeuten, dass nach einem solchen Angriff direkt Raketen auf Tel Aviv zusteuern. Das kann auch bedeuten, dass im Ausland Funktionsträger und Lobbyisten exekutiert werden. Das würde auch in der schiitisch-arabischen Welt Billigung finden. Nicht gebilligt würde, wenn auch deutsche Staatsbürger getötet werden würden.
Wie bewerten Sie denn so eine Razzia wie am Dienstag in mehreren Bundesländern? Wie kam es zu so einem Zugriff?
Offensichtlich durch sehr gute Vorfeldaufklärung des Verfassungsschutzes. Der erarbeitet ein Gefährdungspotential für israelische und jüdische Einrichtungen auf deutschem Boden. Und offensichtlich stand eine Attacke kurz bevor.
Jetzt ist natürlich die Frage, wie man Beweismaterial zusammenbekommt, um solche Personen dingfest zu machen. Meistens endet das ergebnislos. Die Beweise für eine solche unmittelbar geplante Attacke sind meistens dünn. Dennoch bleibt es natürlich ein deutlicher Warnschuss gegenüber Teheran. Die Botschaft lautet: Wir haben euch im Auge, wir wissen, was ihr plant.
Was sind das für Menschen, die in Deutschland für solche Operationen akquiriert werden? Iraner mit militärischem Hintergrund? Menschen anderer Nationalitäten? Flüchtlinge?
Ich glaube, die Wahrscheinlichkeit, dass sich iranische Dienste bei Flüchtlingen Nachwuchs beschafft haben, ist recht gering. Natürlich nutzen alle Nachrichtendienste die Flüchtlingsrouten, um ihre Leute einzuschmuggeln. So wie Terrororganisationen wie der IS das auch getan haben. Auch wenn Herr de Maizière das lange bestritten hat: Es gibt genug Beispiele dafür, dass Geheimdienste diese Routen nutzen.
Die Volksmudschahedin sind eine militante Oppositionsbewegung, die bereits 1965 im Iran gegründet wurde und den Sturz des Schah-Regimes als Ziel hatte. Während der Revolution 1979 war die Bewegung maßgeblich daran beteiligt, den bisherigen Herrscher, Mohammad Reza Pahlavi, zu beseitigen, sie verlor im Anschluss daran aber schnell die Auseinandersetzung um die Vormachtstellung im Land. 1981 zog die islamisch-sozialistische Organisation nach Paris und bezeichnet sich seither als Exilregierung. Im iranisch-irakischen Krieg zwischen 1980 und 1988 schlossen die Volksmudschahedin ein Bündnis mit dem irakischen Machthaber Saddam Hussein. Von 2001 bis 2009 stand die Bewegung auf der Terrorliste der EU, bis 2012 auf der entsprechenden Liste der USA.
In der Regel benötigen die iranischen Dienste aber andere Leute: junge iranische Männer mit akademischen Hintergrund, die in bestimmten militärischen Positionen, vor allem in den Kuds-Brigaden, gearbeitet haben. Der Iran erwartet also eine gute militärische Ausbildung und dass diese Leute sehr staatstreu sind. Die werden dann versteckt in Universitäten oder Tarnfirmen untergebracht. Insbesondere im operativen Bereich, also bei Hit-and-Run-Teams und für die Aufklärung, werden Personen mit einem entsprechenden militärischen Hintergrund benötigt. Die finden Sie im Grunde nur dort.
Wie waren die Geheimdienstaktivitäten zwischen Deutschland und dem Iran in der Vergangenheit?
Da hatte ich mal ein Gespräch mit einem ehemaligen Beschaffungsleiter beim Bundesnachrichtendienst. Der hat gesagt, dass die Beziehungen zum Nachrichtendienst des Schahs ausgezeichnet waren. Und der BND war dann auch der erste Nachrichtendienst, der nach der Machtübernahme der Mullahs sofort wieder, nämlich drei Monate später, Kontakte zu den iranischen Kollegen pflegte. Später, unter Bernd Schmidtbauer, Helmut Kohls Geheimdienstkoordinator, war der Iran immer einer der wichtigsten Partner bei der Arbeit im Nahen und Mittleren Osten. Austauschaktionen von Geiseln oder Leichen israelischer Soldaten gegen palästinensische Gefangene - das geschah alles unter Einbeziehung der Nachrichtendienste des Iran.
Geheimdienstkontakte zwischen Deutschland und dem Iran - das hat also Tradition?
Ja. Der BND hat ja auch die Aufgabe, Gesprächskanäle offen zu halten zu Regimen, die man sonst auf offizieller diplomatischer Ebene nur mit der Zange anfassen würde. Zur Historie gehört auch, dass es Fälle gab, in denen der BND den iranischen Nachrichtendienst mit technischem Equipment ausgestattet hat – mit Fotoanlagen, Funktechnik und dergleichen. Die Beziehungen waren also schon mal so eng, dass man den Iranern über den BND technische Hilfe gewährt hat.
Und umgekehrt: Was machen deutsche Geheimdienste im Iran?
Aufklärung durch Agenten so gut wie kaum. Es gab Ansätze dazu mal in den 90er Jahren im Umfeld der Atomanlagen. Aber diese Operationen wurden dem BND zu riskant und die Agenten vor Ort wurden abgeschaltet. Seitdem konzentriert sich der BND auf die fernmeldetechnische Aufklärung der iranischen Kommunikation auf militärischer, politischer und diplomatischer Ebene. Und da ist der BND im Weltmaßstab auch durchaus leistungsfähig.
Werden Erkenntnisse solcher Aufklärungsaktionen weitergegeben - beispielsweise an den israelischen Geheimdienst?
Das ist höchstwahrscheinlich. Sie können davon ausgehen, dass es einen intensiven Kontakt zwischen dem BND und dem Mossad gibt, vor allem, wenn es um Erkenntnisse des BND über den Iran geht.
Mit Erich Schmidt-Eenboom sprach Benjamin Konietzny
Quelle: ntv.de