Weniger beliebt, aber wichtig Ist Charles III. der letzte britische König?


Wird trotz aller Unkenrufe der Vergangenheit am Samstag gekrönt: König Charles III.
(Foto: via REUTERS)
"Die Zukunft der britischen Monarchie ist so ungewiss wie nie zuvor", titelte das "Time"-Magazin im September 2022. Kurz zuvor war Elizabeth II. gestorben und ihr Sohn Charles wurde mit 73 Jahren König. Die Sorge um das monarchische System des Vereinigten Königreichs war in diesen Herbsttagen enorm. Die Trauer um die beliebte Queen massiv.
Doch ein Dreivierteljahr später scheinen die Unkenrufe über den Anfang vom Ende der Monarchie verstummt. Am Samstag wird König Charles III., wie es das royale Protokoll vorsieht, gekrönt. Die Mehrheit der Briten stellt diesen Fortgang der Thronfolge nicht in Frage. Also ist alles gut? Mitnichten. König Charles muss sich vielen Herausforderungen stellen, hat aber durchaus Chancen, sich zu beweisen - eine Auswahl:
Brexit
Eine Abhandlung über die politischen und gesellschaftlichen Folgen des Brexits würde diesen Artikel sprengen. Kurzgefasst: Die britische Bevölkerung leidet akut. Inzwischen sagen 60 Prozent der Britinnen und Briten, der Austritt aus der EU sei ein Fehler gewesen, wie Großbritannien-Forscher Stefan Schieren im Gespräch mit ntv.de sagt. Der Professor für Politikwissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt stellt jedoch klar: In der konservativen Partei mit Premierminister Rishi Sunak überwiege noch immer die Riege der Befürworter. Ein Umdenken der politischen Entscheidungsträger ist in naher Zukunft also unwahrscheinlich.
Charles III. nimmt indes keine konkrete Position zum Brexit ein - zumindest nicht öffentlich. "Er tritt weniger als Brückenbauer auf, der aktiv versucht, die Lager zusammenzubringen, sondern als jemand, der als symbolischer Vater des Landes für alle da ist, ohne sich in diese internen Kämpfe einzumischen", sagt Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Mit seinem Besuch in Deutschland vor einigen Wochen habe die Regierung in London auf diplomatischer Ebene und in atmosphärische Weise einen Schritt versucht, die Beziehungen zum Kontinent zu verbessern, sagt Schieren. "Da ist der König natürlich ein hervorragender Botschafter." So könne Sunak über die Widerstände seiner eigenen Partei hinweg versuchen, eine Annäherung zu erreichen und den Monarchen für seine Zwecke einzuspannen. Von einem neuerlichen Eintrittsantrag in die EU ist Großbritannien Schieren zufolge allerdings "sehr, sehr weit weg".
Nordirland
Die Spannungen rund um den Brexit sind auch mit einem anderen Krisenherd eng verknüpft: die Zukunft Nordirlands. Runtergebrochen dreht sich laut Großbritannien-Forscher Schieren alles um die Frage: Wo verläuft die Außengrenze der EU? "Läuft sie durch die nordirische See, was die nordirischen Unionisten nicht haben wollen, weil das die Distanz zu Großbritannien vergrößern würde. Oder läuft sie durch die irische Insel? Was die irischen Nationalisten natürlich ablehnen, weil das die Spaltung möglicherweise zementieren würde."
Mit dem Wahlsieg der Sinn Fein im Mai 2022 erlebten die Nationalisten einen Aufwind. Zudem bildet die katholische Bevölkerung laut Schieren momentan eine kleine Mehrheit gegenüber den Protestanten. Sollte es also ein Referendum über die Abspaltung vom Königreich geben, könnte es durchaus erfolgreich sein. Doch es gebe rechtliche Hürden sowie die große Befürchtung, dass es zu einem Wiederausbruch der Gewalt kommen könnte, erläutert Schieren. Unter den derzeitigen politischen Bedingungen - die Bildung einer Einheitsregierung scheitert bislang am Widerstand der Democratic Unionist Party (DUP) - sieht der Wissenschaftler in näherer Zukunft keine Abstimmung auf die Nordiren zukommen.
Schottland
Weniger virulent ist die Lage in Schottland, wo es seit Jahren immer wieder Unabhängigkeitsbestrebungen gibt. Die wortführende Scottish National Party (SNP) habe sich allerdings auf die Fahnen geschrieben, ein zweites Referendum über die Frage der Unabhängigkeit unter verfassungsrechtlich einwandfreien Voraussetzungen abhalten zu wollen, sagt Stefan Schieren. Das bedeutet: Es bedarf der Zustimmung der Londoner Regierung. Ein Versuch der damaligen schottischen Regierungschefin Nicola Sturgeon, die kommende Unterhauswahl 2024 zu einer indirekten Abstimmung über den Verbleib im Königreich umzudeuten, mündete in Sturgeons Rücktritt im Frühjahr.
Die Umfragewerte ihrer Partei seien im Vergleich zu den letzten Wahlen um rund zehn Prozentpunkte abgesackt, erläutert der Politikwissenschaftler. "Und dann kam der Krieg in der Ukraine dazu. Jedes kleine Land mit fünf Millionen Einwohnern muss sich jetzt überlegen, ob es tatsächlich eine gute Entscheidung ist, sich auf sich alleine zu stellen." Denn im Falle einer Abspaltung müsse Schottland um bestehende Mitgliedschaften, etwa in der NATO, bangen. Schieren rechnet daher in den nächsten Jahren - überraschende, nicht vorhersehbare Ereignisse nicht mit einberechnet - nicht mit einer Abspaltung.
Commonwealth
Wenn es um die Zukunft von König Charles und seinen globalen Einfluss geht, darf auch die Vergangenheit nicht außer Acht gelassen werden. Das betrifft etwa das britische Empire, die Kolonialzeit und die Verstrickung der Krone in den Sklavenhandel. Eine kritische Aufarbeitung der Verbrechen und eine aufrichtige Entschuldigung dafür fehlen bislang.
Im Commonwealth sind noch immer 56 Staaten mit Großbritannien verbunden. 15 sogenannte Realms haben gegenwärtig König Charles als ihr offizielles Staatsoberhaupt. Seit Ende 2021 gehört Barbados nicht mehr dazu. Andere frühere Kolonien drohen es der Karibikinsel gleich zu tun. Nicolai von Ondarza erkennt bei dem Thema eine gewisse Vorsicht bei Charles. Anders als Elizabeth II., die ihrerzeit nach ihrem Amtsantritt eine mehrmonatige Reise durch das Commonwealth unternahm, zog es ihren Sohn zunächst nach Europa. "Umfragen in Ländern wie Australien, Jamaica, den Bahamas oder Kanada zeigen, dass die Skepsis gegenüber der britischen Monarchie, die so weit weg von diesen Ländern und ebenso wenig präsent ist, gestiegen ist." Der König könne diese Besuche nicht für immer aussitzen, aber im Moment wolle man die Diskussionen über eine Zukunft als Republik vor Ort nicht anheizen und lasse eine gewisse Vorsicht walten.
Stefan Schieren macht aber nicht Charles als Ursache für die Abspaltungstendenzen aus. "Das ist ein Prozess, den ich für ganz natürlich halte: Warum sollte man in Australien, Neuseeland und in anderen Ländern ein Staatsoberhaupt haben, das sich auf einer Insel sehr weit weg befindet?" Er rechnet damit, dass weitere Staaten dem Beispiel von Barbados folgen werden. "Ich erwarte nicht, dass das Commonwealth zerfallen wird, aber dass die Bande immer loser werden und doch im Einzelfall auch Länder aus diesem Verbund ausscheiden werden."
"Hüter der Verfassung"
Großbritannien besitzt eine Verfassung, die auf Gewohnheitsrecht basiert und nicht niedergeschrieben ist. In der parlamentarischen Monarchie verfüge der König über sogenannte "prerogative powers" beziehungsweise königliche Vorrechte, die die Regierung im Namen des Königs ausübe, erklärt Wissenschaftler Schieren. Das bedeutet, der Monarch entscheidet nicht selbst, sondern die Regierung, allen voran der Premierminister, entscheidet für ihn. Dabei spielten laut Schieren die Fragen, wie politische Macht im Vereinigten Königreich ausgeübt und wie sie begrenzt wird, zuletzt eine immer stärkere Rolle.
Charles III. wird zum König des Vereinigten Königreichs gekrönt - und bei ntv sind Sie live dabei. Am Samstag, 6. Mai, berichten wir von 11 bis 15.30 Uhr von den Feierlichkeiten in London.
So muss der König etwa dafür Sorge tragen, dass Regierungschefs vom Schlag eines Boris Johnson nicht ihre Macht missbrauchen und zum Beispiel den Monarchen das Parlament auflösen lassen, um es daran zu hindern, ihm das Misstrauen auszusprechen. "Weil aber die Auflösung des Parlaments auf Rat der Regierung nur durch den König durchgeführt werden kann, wäre hier der König als Hüter der Verfassung in einer vollkommen außergewöhnlichen pathologischen Situation im Recht und möglicherweise sogar in der Pflicht, so hat es Vernon Bogdanor formuliert, dem Rat der Regierung mal nicht zu folgen", sagt Schieren.
Als sich Boris Johnson 2019 einer Brexit-Blockade im Parlament gegenübersah, riet er der damaligen Königin, eine ungewöhnlich lange Sitzungspause zu verhängen: statt weniger Tage sollten es fünf Wochen sein. Dem schob allerdings der Supreme Court mit einem Urteil einen Riegel vor. "Der Rat der Regierung an die Königin wurde für rechtswidrig erklärt", sagt Forscher Schieren. Das bedeute, wenn der heutige König sich einem missbräuchlichen Rat widersetzt, wäre ein solches Urteil gar nicht nötig. "Und dann wäre interessant, wie Verfassungsrechtler und die politische Öffentlichkeit auf eine derartige Wahrnehmung der prägorativen Rechte durch den König reagieren." Wird der Monarch als Hüter der Verfassung betrachtet, oder wird angezweifelt, dass ein nicht gewählter Monarch in demokratische Prozesse eingreifen darf? Wenn man Charles den Vorwurf machen würde, demokratische Rechte zu missachten, würde das der Monarchie "wirklich den Sargnagel einschlagen". Und in diesem Spannungsfeld sieht Schieren Charles im Moment. Der König selbst sagte in seiner ersten Ansprache an die Briten, unmittelbar nach dem Tod seiner Mutter, dass er seine Aufgabe darin sieht, "die Verfassungsgrundsätze, die das Herzstück unserer Nation bilden, aufrechtzuerhalten".
Reichtum
Die "Sunday Times" berichtete Mitte April, dass Charles über ein persönliches Vermögen von 600 Millionen Pfund verfüge. Damit sei er reicher als seine Mutter, als sie noch lebte. Der "Guardian" kommt in einer Analyse auf einen Vermögenswert von 1,8 Milliarden Pfund. Öffentlich einsehbare Daten liegen dazu nicht vor. Die Werte beruhen auf Schätzungen anhand seiner Ländereien, Juwelen, Gemälde, Rolls-Royces, Rennpferde, seltenen Briefmarken und anderem. Das Vermögen des britischen Königshauses allgemein (Crown Estate) ist noch um ein Vielfaches höher. Ein Sprecher des Königs nannte den Bericht eine "höchst kreative Mischung aus Spekulationen, Annahmen und Ungenauigkeiten".
Bei vielen britischen Steuerzahlern kommt angesichts solcher Schätzungen und der jährlichen Abgaben für das Königshaus von rund 86 Millionen Pfund ein gewisses Unbehagen auf. Queen Elizabeth II. habe immer so gewirkt, als würde sie keiner sozioökonomischen Klasse angehören, schreibt "Daily Beast". Charles könne dies niemals so verkörpern. Hinzu kommen aktuelle Probleme: "Es gibt diese bedrückte Stimmung im Land, dass man auf dem absteigenden Ast ist", sagt Nicolai von Ondarza ntv.de. Kürzlich mahnte der Chefökonom der Bank of England demnach, die Briten müssten akzeptieren, dass sie ärmer werden. "Ich kenne aber keine Bewegung größerer Art, die auf dieser Basis infrage stellt, was die Monarchie für das Land bedeutet und fordert, dass die Monarchie mehr zahlen müsste."
Stefan Schieren erwartet in Zukunft dennoch eine neue Konstruktion, was die Trennung von privaten und staatlichen Ausgaben für die Krone anbelangt. "Da würde ich sogar eine Flasche Sekt darauf wetten, dass das in den nächsten fünf Jahren angegangen wird." Der Streit um die Kosten der Krönungszeremonie am Samstag, die durch Steuergelder finanziert wird, veranschaulicht, wie dringend dieses Thema ist.
Umfragen
Im April veröffentlichte die BBC eine Umfrage, wonach 58 Prozent der Briten an der Monarchie festhalten, 26 Prozent hätten lieber ein gewähltes Staatsoberhaupt. Während die Unterstützung für das Königshaus bei den älteren Generationen am höchsten ist, bevorzugen bei den 18- bis 24-Jährigen nur 32 Prozent einen Monarchen und 38 Prozent einen gewählten Staatschef. 78 Prozent der jüngeren Befragten gaben an, sie seien nicht an der royalen Familie interessiert. Dass die jüngere Generation der Monarchie so wenig abgewinnen kann, müsse die Royals nachdenklich stimmen, analysiert Großbritannien-Forscher Schieren. "Auf lange Sicht muss sich die Königsfamilie Gedanken machen, welche Rolle sie haben kann."
Nach Einschätzung von SWP-Experte von Ondarza haben die Skandale um Prinz Harry König Charles bisher nicht schaden können. Dass es eine relativ klare Unterstützung für die Monarchie in Umfragen gebe, hätte man nicht unbedingt so erwarten können. "Mit, ich will mal vorsichtig sagen, seinem bewegten Leben war er in der britischen Bevölkerung durchaus einige Zeit umstritten. Mittlerweile hat sie ihn aber sehr stark akzeptiert."
Schatten der Queen
Er habe Großbritannien noch nie so einig gesehen, wie in den Tagen der Staatstrauer nach dem Tod der Queen, sagt von Ondarza. Charles als ihr Nachfolger habe das Land in dieser Zeit weiter zusammengebracht. "Ich glaube, dass ganz klar ist, dass die Queen für viele Briten sicherlich eine der größten Monarchinnen ihrer Geschichte war. Sie hat es geschafft, dem Land Stabilität zu geben in einer sehr langen und sehr wechselhaften Geschichte des späten 20. Jahrhunderts und des frühen 21. Jahrhunderts." Es gebe nun nicht die Erwartung, dass Charles die Monarchie wahnsinnig modernisiere, "sondern eher die Erwartung, dass er ein Stabilitätsanker sein kann in einem so stark polarisierten Land". Er führe das Amt eher als einigender Vater der Nation denn als politische Figur aus
"Natürlich kann man nicht ewig in die Zukunft gucken, aber derzeit kann man sagen, dass die Monarchie erst einmal gesichert ist, mit einer klaren Erbfolge", so der SWP-Experte. Thronfolger Prinz William habe bereits Erben gezeugt, sodass es eine Perspektive gebe. "Auch weil die Monarchie in Großbritannien selbst so unumstritten ist. Ich sehe aktuell keine Bewegung weg davon."
Quelle: ntv.de, Mitarbeit: Vivian Micks