
Unbestreitbar ein Katzenkanzler: Man weiß nie so recht, was Olaf Scholz umtreibt.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Der Streit um Waffenlieferungen an die Ukraine strapaziert die Ampel. Aus den Regierungsparteien kommt Kritik am Kanzler, als wäre man noch in der Opposition. Wer träumt da nicht von Jamaika?
Wollte man anlässlich des Hasenfestes die Berliner Politikgarde mit Tiervergleichen überziehen, und, ehrlich, warum sollte man das nicht, ergäben sich einige interessante Feststellungen.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck: definitiv Labrador. Habecks Gemütslage ist jederzeit erkennbar, ihm haftet keinerlei Rätselhaftigkeit an, er ist immer ein bisschen süß, irgendwie, einer, der jeden Quatsch mitmacht. Oft am Wasser, treue Seele, und jederzeit zur Stelle, wenn man ihn braucht.
Bundesfinanzminister Christian Lindner: klassischer Krake. Extrem klug, kann mit seinen Armen gut verschlossene Gefäße öffnen (Bundeshaushalt) und vermutlich die richtigen WM-Ergebnisse tippen. Das gescheiterte Jamaika-Bündnis zeigte: Bringt man ihn in Bedrängnis, schießt er eine dunkle Wolke heraus und ist plötzlich verschwunden.
Der Katzenkanzler und die Mäuse
Olaf Scholz wiederum ist unbestreitbar ein Katzenkanzler: Seine Liebe ist nicht berechenbar, er ist wochenlang nicht zu sehen, dann streicht er auf einmal um die Beine (Auftritte bei Joko & Klaas, "Bild", Maybrit Illner), wenig später ist er wieder ständig weg, schleicht lautlos durchs Regierungsviertel. Man weiß nie so recht, was ihn umtreibt, er scheint geschäftig und doch unergründlich, klug, und vermutlich erbricht er manchmal zerkaute Zimmerpflanzen auf den Teppich. (Letzteres ist Spekulation, aber keine Metapher ist perfekt.)
Scholzens Katzenartigkeit ist putzig, aber inzwischen bereitet sie ernsthaft Sorge: Denn wenn die Katze weg ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch, und diese Mäuse sind die Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), der Europapolitiker Anton "Toni" Hofreiter (Grüne) und der Außenpolitiker Michael Roth (SPD). Diese drei sind jeweils Vorsitzende der entsprechenden Fachausschüsse im Bundestag und kürzlich von einer Reise nach Lwiw zurückgekehrt. Seither machen sie Druck auf ihren eigenen Kanzler, Olaf Scholz.
Die Liberale bezeichnet Scholz im Deutschlandfunk unumwunden als "Zauderer", Hofreiter nennt ihn bei "RTL Direkt" ein "Problem im Kanzleramt", auch Roth fordert schwere Waffen und wird prompt von Fraktionschef Rolf Mützenich gemaßregelt, was schnurstracks Strack-Zimmermanns Hutschnur zum Platzen bringt: "Rolf #Mützenich gehört leider zu denen, die die Notwendigkeit der #Zeitenwende ihres eigenen Kanzlers weder verstanden haben noch verstehen wollen", schreibt sie.
Ein Prosit auf die Gemütlichkeit
In der Waffenfrage verhält sich Scholz genau wie eine Katze, der man die Tür ins graue Aprilwetter öffnet: Er steht, starrt und rührt sich nicht. Was weiß der Kanzler? Hat ihm Putin persönlich eine Atombombe ins Kanzleramt gerollt und hält den Auslöser in der Hand? Beobachter wie Ralf Fücks warnen: Die SPD-Mehrheit und der Kanzler gäben Putin "damit freie Hand, den Krieg zu eskalieren".
Aber Fücks gehört zur Berlin-Bubble, was sagen die anderen Deutschen? Sie wollen es gemütlich: Eine leichte Mehrheit befürwortet Waffenlieferungen sagt der "Deutschlandtrend", in etwa genau so viele wollen es sich weiter mit russischer Energie gemütlich machen, erfährt man in einer Allensbach-Studie im Auftrag der FAZ. Mit anderen Worten: Die Ukrainer sollen uns den Iwan vom Hals halten. Geräuschlos, wenn’s geht, und ohne, dass wir dabei etwas riskieren müssen.
Es ist nicht so schrecklich verwunderlich, dass "Gemütlichkeit" zu den wenigen im Englischen verwendeten deutschen Wörtern gehört - übrigens neben "Schadenfreude", "Zeitgeist" und "Rucksack". "Haltung" wiederum gehört nicht zu unseren sprachlichen Exportgütern, auch das überrascht nicht.
Habeck hält eine Carter-Rede
Dabei hat die zu Ende gehende Woche den Wert einer Haltung unterstrichen wie kaum eine andere: Die jahrelange pro-russische Kuschelhaltung des Bundespräsidenten flog ihm dieser Tage ins Gesicht wie eine Sahnetorte - er durfte nicht nach Kiew reisen, hieß es, die Details sind unklar, Wolodymyr Selenskyj jedenfalls wusste weder von Ein- noch Ausladung.
Robert Habeck flogen dagegen verbale Blumensträuße zu, weil er Wladimir Putin schon im Jahr 2016 die Leviten las: kein Nord Stream, Frauen der Syrienschlächter dürfen nicht mehr in Deutschland shoppen und Befürworter eines Miteinanders in Europa bekommen Visa, forderte der Politiker damals. Habeck hat durch seine feste Haltung so viel Glaubwürdigkeit, er könnte die Deutschen direkt den Wiedereinstieg in die Atomkraft verkünden und kein Linker würde sich ans Gleisbett ketten.
Er ist der de-facto Kanzler der deutschen Öffentlichkeit. Mit seiner Oster-Ansprache schwört Habeck die Deutschen auf das Energiesparen ein - ganz wie die hier schon früher erwähnte Rede Jimmy Carters zur Energiekrise. Der verglich das Energiesparen mit Kriegsführung. Ähnlich spricht Habeck, aber eben in knuddeliger Labrador-Sprache: Energiesparen "schont den Geldbeutel und ärgert Putin", meint er. "Ärgern" - als ginge es darum, die Pantoffeln des Russen zu zerkauen.
Scholz steckt im kommunikativen Dilemma
Haltung ist ein Kompass für Zeiten, in denen man die Folgen des eigenen Handelns nicht sofort abrechnen kann, wenn Auguren nur die nächsten 24 Stunden im Blick haben und die Taktik eigentlich nach Flatterhaftigkeit verlangt. Haltung ist, was einen Politiker wie Habeck vom wendigen Markus Söder unterscheidet. Haltung machte Helmut Kohl zum Einheitskanzler, als in Europa viele Stimmen vor einem vereinigten Deutschland warnten.
Welche Haltung leitet Scholz? Er spricht durch seine Vertrauten, sie erklären ihren Chef in Hintergrundgesprächen mit Journalisten, mahnen vor der Eskalation. Scholz steckt in einem kommunikativen Dilemma: Er selbst darf nicht laut vor dieser Eskalation warnen, weil er damit Putin in die Hände spielte - aber Hintergrundrunden mit Journalisten, die keine Zitate nutzen dürfen, prägen keine Zeitungsartikel und haben wenig Einfluss auf die öffentliche Meinung.
Insofern ist der Eindruck, das Land wolle alles für die Ukraine tun, nur der Kanzler nicht, ein Zerrbild. Kein Zerrbild ist der Eindruck, dass die Koalition in gleich zwei der wichtigsten Fragen, der Pandemie und dem Krieg, gelähmt ist: CDU-Chef Friedrich Merz ist noch recht leise, er stürzt gezielt auf Schwachpunkte der Ampel und flattert dann wieder davon, beim österlichen Tierevergleich ist er ein Eisvogel. "Das Schweigen des deutschen Kanzlers wird zu einer Belastung der gesamten internationalen Solidarität gegen den Angriffskrieg von Russland", sagt er und klingt dabei ganz ähnlich wie Hofreiter.
Träume von Jamaika
Vielleicht denken beide bei ihren Statements an Jamaika: ein schwarz-grün-gelbes Regierungsbündnis. Der Weg dorthin führte über Neuwahlen oder ein konstruktives Misstrauensvotum. Ein solches brachte Helmut Kohl im Jahr 1982 an die Macht.
Ausschlaggebend waren damals übrigens, ja wirklich, Fragen der Aufrüstung (NATO-Doppelbeschluss) und regierungsinterne Differenzen mit der FDP. Ich ende deshalb mit Shirley Bassey und den Propellerheads:
"There is fashion, there is fad
Some is good, some is bad
And the joke is rather sad
That it's all just a little bit of history repeating".
Quelle: ntv.de