Der Kriegstag im Überblick Kiew fürchtet russische Rache wegen gesunkener "Moskwa" - Bund stockt Militärhilfe auf
15.04.2022, 21:33 Uhr
Im Kampf gegen die russischen Invasoren sind die ukrainischen Streitkräfte auf Waffenlieferungen aus dem Ausland angewiesen.
(Foto: REUTERS)
Der gesunkene russische Raketenkreuzer "Moskwa" bestimmt weiter die Schlagzeilen. Moskau greift Ziele nahe Kiew an und kündigt weitere Vergeltungsaktionen an. Während in Deutschland die Debatte über Waffenlieferungen an die Ukraine mit aller Härte fortgeführt wird, schafft die Bundesregierung Fakten. Derweil warnen die Vereinten Nationen vor Nahrungsengpässen im Kriegsgebiet. Der 51. Kriegstag im Überblick.
Russland reagiert auf "Moskwa"-Zerstörung
Am Tag nach dem Untergang des prestigeträchtigen russischen Kriegsschiffs "Moskwa" verstärkten die russischen Streitkräfte ihre Angriffe in der Ukraine. So wurde Augenzeugen zufolge eine Rüstungsfabrik nahe Kiew teilweise zerstört. Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, es habe am späten Donnerstag als Reaktion auf "terroristische" Angriffe der Ukraine eine "militärische" Fabrik außerhalb Kiews mit seegestützten Kalibr-Langstreckenraketen angegriffen.
In der Fabrik wurden Raketen vom Typ "Neptun" hergestellt. Mit eben diesen hatten die ukrainischen Streitkräfte nach eigenen Angaben die "Moskwa" beschädigt, bis sie schließlich sank. Die US-Regierung stütze diese Angaben im Laufe des heutigen Freitags. "Wir können bestätigen, dass das russische Schiff 'Moskwa' von zwei ukrainischen Neptun-Raketen getroffen wurde", sagte ein hochrangiger Beamter des Verteidigungsministeriums in Washington. Die russische Seite teilte dagegen lediglich mit, es sei Munition an Bord explodiert. Während die "Moskwa" dann in Richtung eines Hafens abgeschleppt worden sei, habe sie ihr "Gleichgewicht" verloren und sei bei starkem Seegang untergegangen. Meteorologen zweifeln allerdings an, dass es tatsächlich zu dem besagten Zeitpunkt schwierige Witterungsbedingungen auf dem Schwarzen Meer gab.
Eine Sprecherin der südlichen Streitkräfte der Ukraine sagte: "Wir sind uns bewusst, dass die Angriffe gegen uns zunehmen werden und dass der Feind Rache nehmen wird." Dabei verwies sie auf Angriffe auf die südukrainischen Städte Odessa und Mykolajiw. "Anzahl und Umfang der Raketenangriffe auf Ziele in Kiew werden als Reaktion auf terroristische Angriffe oder Sabotageakte des nationalistischen Kiewer Regimes auf russischem Territorium zunehmen", erklärte das russische Verteidigungsministerium. Am Donnerstag hatte Moskau die Regierung in Kiew beschuldigt, russische Grenzstädte anzugreifen. Kiew bestritt dies und beschuldigte stattdessen Russland, die Vorfälle zu inszenieren, um eine "anti-ukrainische Hysterie" zu schüren.
Flüchtende Zivilisten getötet
Bei einem russischen Angriff auf Busse, die Zivilisten aus dem Kriegsgebiet in der Ostukraine in sichere Gebiete bringen wollten, wurden nach ukrainischen Angaben mindestens sieben Zivilisten getötet. Ersten Informationen zufolge seien 27 weitere Menschen bei dem Vorfall in der Region Charkiw verletzt worden, teilte das Büro des ukrainischen Generalstaatsanwalts auf Telegram mit. In Charkiw selbst starben nach ukrainischen Angaben beim Beschuss eines Wohnviertels sieben Menschen, darunter ein Kind. 34 weitere Menschen wurden nach Behördenangaben verletzt.
Mehr als 2800 Menschen sind nach ukrainischen Angaben aus besonders umkämpften Gebieten im Osten des Landes herausgebracht worden. Etwa 2500 Flüchtlinge seien im Tagesverlauf in der Stadt Saporischschja im Süden angekommen, darunter 363 aus der schwer getroffenen Hafenstadt Mariupol, schrieb Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk auf Telegram.
Die Zahl der aus der Ukraine geflohenen Menschen hat mittlerweile die Schwelle von fünf Millionen überschritten. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) teilte mit, dass 4.796.245 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer ihr Land verlassen haben. Hinzu kommen nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) fast 215.000 Staatsangehörige anderer Länder, die in der Ukraine lebten und inzwischen ebenfalls aus dem Land geflohen sind.
Überschallbomber bei Mariupol im Einsatz?
Russland soll nach Angaben der ukrainischen Regierung auch Überschallbomber im Einsatz haben. Aus Langstreckenbombern des Typs Tu-22M3 seien Bomben auf die besonders umkämpfte Hafenstadt Mariupol abgeworfen worden, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Olexander Motusjanyk. Er betonte, dass Mariupol von russischen Truppen nicht vollständig eingenommen worden sei. Es gebe heftige Kämpfe, unter anderem im Hafengebiet und um das Stahlwerk "Iljitsch". Russland behauptet seit Tagen, den Hafen komplett zu kontrollieren.
Nach Angaben aus Moskau haben die russischen Truppen inzwischen auch das Stahlwerk unter Kontrolle. "In der Stadt Mariupol wurde durch Angriffe der russischen Streitkräfte und Einheiten der Donezker Volksrepublik das Stahlwerk 'Iljitsch' vollständig von ukrainischen Nationalisten befreit", sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums in Moskau, Igor Konaschenkow. Von ukrainischer Seite gab es dafür keine Bestätigung.
Der Kommandeur der ukrainischen 36. Marineinfanteriebrigade, Serhij Wolyna, beschrieb in der Zeitung "Ukrainskaja Prawda" die Lage in der Stadt allerdings als "kritisch". Mariupol könne nur durch eine schnelle Militäroperation zur Beendigung der russischen Blockade oder durch eine politische Lösung gerettet werden, meinte er. Bekannt ist, dass der Großteil der ukrainischen Kräfte unter Führung des nationalistischen Asow-Regiments sich im Stahlwerk Asow-Stahl verschanzt hat. Mariupol wird seit Wochen von russischen Truppen und Kämpfern prorussischer Separatisten eingekesselt. Die Stadt ist weitgehend zerstört, die Lage der verbliebenen Einwohner ist katastrophal.
UN-Helfer: Ukrainer werden dem Verhungern preisgegeben
In der vom Krieg gezeichneten Ukraine drohen nach Angaben des Welternährungsprogramms (WFP) Menschen zu verhungern. "Es ist die eine Sache, wenn die Menschen unter den Verwüstungen des Krieges leiden", sagte WFP-Chef David Beasley nach einem Besuch des Landes. "Es ist eine andere Sache, wenn sie dem Verhungern preisgegeben werden." Das WFP schätzt, dass ein Drittel der Menschen im Land insgesamt und 60 Prozent der intern Vertriebenen Sorge haben, nicht genügend Essen für ihre Familie zu finden.
Beasley nannte Russland als kriegtreibende Partei nicht beim Namen. "Wir appellieren an alle, uns den Zugang zu verschaffen, den wir brauchen, um Menschen in belagerten Städten zu erreichen", sagte er. In Mariupol dürften noch 100.000 Menschen ausharren, und die letzten Vorräte an Nahrungsmitteln und Wasser seien bald aufgebraucht. Das WFP sei auch besorgt über die Lage in Städten im Osten des Landes. Das WFP hat bislang etwa 1,4 Millionen Menschen in der Ukraine mit Lebensmitteln versorgt.
Moskau erklärt EU-Diplomaten zu "unerwünschten Personen"
Abseits des Schlachtfelds gab es ebenfalls wenig erfreuliche Nachrichten. Russland verweist 18 Mitglieder der EU-Vertretung in Moskau des Landes. Sie seien zu "unerwünschten Personen" erklärt worden und müssten Russland "in der nahen Zukunft verlassen", teilte das Außenministerium in Moskau mit und sorgte damit einmal mehr für diplomatische Spannungen. Die EU nannte die Ausweisungen "ungerechtfertigt". Brüssel hatte Anfang April seinerseits 19 Mitglieder der russischen Vertretung bei der Europäischen Union zu "unerwünschten Personen" erklärt.
Bund erhöht Rüstungshilfe auf zwei Milliarden Euro
Als Reaktion auf den Krieg will die Bundesregierung ihre Rüstungshilfe für Partnerländer in diesem Jahr auf zwei Milliarden Euro aufstocken. "Die Mittel kommen weit überwiegend der Ukraine zugute", teilte Finanzminister Christian Lindner am Abend auf Twitter mit. "Der Bundeskanzler hatte dies frühzeitig angefordert." Die Summe soll über den Ergänzungshaushalt bereitgestellt werden. Eine Regierungssprecherin sagte, die beteiligten Ressorts hätten sich schon vor zwei Wochen grundsätzlich darauf verständigt, die Mittel für die sogenannte Ertüchtigungsinitiative substanziell zu erhöhen. In der vergangenen Woche sei die Summe auf insgesamt zwei Milliarden Euro festgesetzt worden.
Das ARD-Hauptstadtstudio berichtete, von den zwei Milliarden Euro sollten "deutlich mehr als eine Milliarde" an die Ukraine gehen. Die Ukrainer könnten sich damit "die Waffen kaufen, die sie haben wollen." Die Bundesregierung hatte die Ertüchtigungsinitiative 2016 ins Leben gerufen, um Partnerländer in Krisenregionen dabei zu unterstützen, selbst für Sicherheit zu sorgen. Mit den dafür zur Verfügung gestellten Mitteln wurden Streitkräfte, aber auch Polizei oder Katastrophenschutz unterstützt.
Kritik an Scholz reißt nicht ab
"Geht doch", twitterte Marie-Agnes Strack-Zimmermann zur Bekanntgabe der weiteren milliardenschweren Militärhilfen für die Ukraine. Die FDP-Verteidigungspolitikerin hatte sich in den vergangenen Tagen zusammen mit anderen Ampel-Kollegen mit Kritik an Bundeskanzler Olaf Scholz hervorgetan. Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter legte im Gespräch mit dem "Spiegel" noch einmal nach: "Der Kanzler ist das Problem - nicht nur in der Ukraine-Politik, sondern auch bei anderen Fragen der europäischen Zusammenarbeit", sagte der Europapolitiker. "Deutschland muss Verantwortung in Europa übernehmen - und da ist vor allem der Kanzler gefragt", so Hofreiter. "Egal, in welchen europäischen Ländern ich im Moment unterwegs bin, immer begegne ich der Frage: Wo ist Deutschland?".
Auch CDU-Chef Friedrich Merz sah sich zu einer Breitseite gegen den SPD-Kanzler gezwungen: Durch sein Verhalten gefährde Scholz "den Zusammenhalt der gesamten Staatengemeinschaft gegenüber Russland", sagte Merz der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Als Beispiele nannte er das Zögern des Kanzlers bei Waffenlieferungen, aber auch dessen bisherige Ablehnung einer Reise nach Kiew.
Weitere Artikel zum Ukraine-Krieg
- Stimmen am Russenmarkt in Berlin: "Butscha? Das ist eine Lügerei!"
- Wieduwilts Woche: Ist der Katzenkanzler aus dem Haus
- Historische Vergleiche: "Putin ist eben nicht Hitler oder Stalin"
- "Zehn Prozent geht immer": Habeck erklärt, wo sich Energie sparen lässt
- Nach Distanzierung von Putin: Netrebko ist zurück auf großer Bühne
Alle weiteren Entwicklungen des Tages können Sie in unserem Liveticker zum Ukraine-Krieg nachlesen.
Quelle: ntv.de, fzö/AFP/dpa