Politik

Mit Sturmgewehr und Jogginghose Kiews Freiwilligentruppe ist wild entschlossen

Einige Tage vor dem Überfall Russlands gab es  Grundkampftrainings für Zivilisten, das von der ukrainischen Nationalgarde durchgeführt wurde.

Einige Tage vor dem Überfall Russlands gab es Grundkampftrainings für Zivilisten, das von der ukrainischen Nationalgarde durchgeführt wurde.

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

In Jeans, Jogginghosen und Turnschuhen sind viele der zivilen Freiwilligen in Kiew unterwegs. Als Erkennungszeichen tragen sie eine kleine gelbe Armbinde. Manche von ihnen halten zum ersten Mal eine Waffe in der Hand. Dennoch sind die Verteidiger mehr als entschlossen.

Jurij Kortschemnij hat in seinem Leben noch nie ein Sturmgewehr abgefeuert. Nun hält der 35-jährige Historiker etwas unsicher eine Kalaschnikow in der Hand und überlegt, wie er sie am Besten bedient. Wie viele andere männliche Einwohner der ukrainischen Hauptstadt Kiew hat sich Kortschemnij nach dem russischen Großangriff einem Freiwilligen-Bataillon angeschlossen, um seine Stadt zu verteidigen. Drei Tage nach Beginn des russischen Angriffs hat der Krieg Kiew bereits erreicht.

Gemeinsam mit einer Handvoll anderer Männer bewacht Kortschemnij eine Brückenunterführung, die zum Regierungsviertel von Kiew führt. Am Rand einer Autobahn verstärkt unterdessen ein älterer Freiwilliger mit einem alten Reifen eine behelfsmäßige Barrikade in der Nähe eines ukrainischen Panzers.

Waffen aus dem Regierungsbüro

"Im Registrierungsbüro wurden uns Waffen gegeben. Die haben nicht erst auf unsere Einberufung gewartet", sagt der Elektriker Wolodymyr Mogila. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Generalmobilmachung aller Männer zwischen 18 und 60 Jahren angeordnet. Nach einer militärischen Ausbildung wird gar nicht mehr gefragt.

In Jeans, Jogginghosen, Turnschuhen oder bunt zusammengewürfelten Uniformen sind die zivilen Freiwilligen der "territorialen Verteidigung" in Kiew überall zu sehen. Als Erkennungszeichen tragen sie eine kleine gelbe Armbinde, manchmal auch nur einen Streifen Klebeband um den linken Arm. Zahlenmäßig scheinen sie den Soldaten der regulären ukrainischen Streitkräfte überlegen zu sein.

In der Nacht zum Samstag wurde die Lage in der Hauptstadt zunehmend gefährlicher. In einem Gebiet nordwestlich des Zentrums waren Explosionen von Artillerie und Grad-Raketen zu hören, und auch im Zentrum selbst gab es Detonationen. Eine Rakete schlug nach Angaben von Bürgermeister Vitali Klitschko in ein Hochhaus mit Wohnungen ein. Ob es Opfer gab, war zunächst unklar.

Einige Angriffe konnten abgewehrt werden

Ein nächtlicher Angriff galt zudem einem Posten auf der Siegesstraße, einer der Hauptverkehrsadern der ukrainischen Hauptstadt. Er wurde aber abgewehrt. Präsident Selenskyj hatte zuvor vor einem russischen Großangriff auf die Hauptstadt gewarnt. Am Samstag sagte er dann, alle Angriffe im Großraum Kiew seien erfolgreich abgewehrt worden.

Bürgermeister Klitschko sprach von einer "schwierigen Nacht". Reguläre Truppen seien aber bisher noch nicht in die Stadt vorgedrungen. Der ukrainische Informationsdienst berichtete allerdings von "heftigen Gefechten" mit russischen "Sabotagegruppen". Diese seien ebenfalls zunächst zurückgedrängt worden. Unterdessen versucht "Kommandeur Bob", seiner Gruppe freiwilliger Kämpfer in einem Schnellkurs die Basis der militärischen Verteidigung zu vermitteln. Auf einem Parkplatz schwingt der 51-jährige Informatiker frustriert sein Sturmgewehr.

"Das reicht nicht, um Hubschrauber zu stoppen, auch gegen Panzer kann es nichts ausrichten", sagte "Bob". Die internationale Gemeinschaft müsse sein Land mit mehr und angemesseneren Waffen ausrüsten: "Wir müssen Moskau aufhalten, wir müssen diesen Feind aufhalten."

"Nicht untätig herumsitzen"

Roman Bonderzew macht sich wenig Illusionen. Er habe sich gemeldet, um zu Hause "nicht untätig herumzusitzen", während Russland in sein Land einmarschiert, sagt der 47-jährige Gleitschirm-Fluglehrer. "So habe ich weniger Angst."

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"Ich habe bis heute noch nie eine Waffe in die Hand genommen", gesteht Bonderzew. "Aber was sollen wir machen? Wir werden unser Bestes versuchen", fügt er mit einem Schulterzucken hinzu. "Und wenn ich getötet werde, gibt es zwei, die bereit sind, meinen Platz einzunehmen."

Sein Waffenkamerad Ruslan Bizman hat nach eigenen Angaben ebenfalls noch "nie gedient". Ungeachtet seiner mangelnden militärischen Kenntnisse ist der Mechaniker wütend entschlossen: "Es ist mein Land - mein Land, verstehen Sie?"

Quelle: ntv.de, Dmitry Zaks und Daphne Rousseau, AFP

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