Klimadiskussion bei Markus Lanz "Es gibt kein Recht auf Energieverschwendung"
30.06.2022, 13:09 Uhr (aktualisiert) Artikel anhören
"Fossile Energien stärken Autokraten, sie gefährden die Demokratie", sagt Neubauer.
(Foto: dpa)
Das Treffen der sieben wichtigsten Wirtschaftsnationen in Oberbayern ist zu Ende, jetzt sollen die Länder in einem "Klimaclub" weiter diskutieren, wie sie angesichts der Energiekrise ihre Treibhausgas-Emissionen weiter vermindern wollen. Klimaaktivistin Luisa Neubauer erklärt bei Markus Lanz, warum sie wenig von dieser Idee hält.
Wenn man nicht mehr weiter weiß, gründet man einen Arbeitskreis. Dieser Spruch dürfte dem einen oder anderen nach Bekanntgabe der Beschlüsse auf dem G7-Treffen wieder eingefallen sein. Dort wurde unter anderem ein "Klimaclub" vereinbart. Kampf gegen den Klimawandel in Kriegszeiten - keine leichte Aufgabe. Darüber haben am Dienstagabend die Gäste in der ZDF-Talkshow Markus Lanz diskutiert. Besonders der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner und Klimaaktivistin Luisa Neubauer haben sich dabei hervorgetan. Und wäre es um Sieger und Verlierer gegangen, hätte Neubauer die Nase eindeutig vorne gehabt.
Stegner empfindet die Beschlüsse, die auf Schloss Elmau in Oberbayern getroffen wurden, erst einmal als vielversprechend. Doch dann kritisiert er ein wenig: "Ich habe die Kommuniqués gelesen. Ich hoffe, dass da noch etwas mehr herausgekommen ist, als da verlautbart wird." Besonders wichtig ist ihm ein Punkt: "Wir müssen den Krieg in der Ukraine gewinnen, denn wir brauchen die Ressourcen für etwas anderes als Wettrüsten, nämlich um das Klima zu retten."
Gerade da reichen der Klimaaktivistin Luisa Neubauer die Beschlüsse von Schloss Elmau aber nicht aus. Zwar gibt sie zu: "Gemessen an dem, was unsere schlimmsten Befürchtungen waren, ist das Ergebnis des Gipfels nicht das schlimmste aller Szenarien." Dennoch: Den dringend notwendigen Perspektivwechsel vermisst sie. Besonders kritisch sieht Neubauer die vorgeschlagene Gründung des Klimaclubs: "Bayern hat in den letzten Jahren acht Windräder gebaut - und schlägt einen Club vor, für den es keine Regularien gibt, kein Sekretariat, bei dem nicht ersichtlich ist, was daraus passieren soll. Statt mit allen Mitteln gegen die Klimaerwärmung zu kämpfen einen Klimaclub zu gründen - diese Idee finde ich nicht gut."
"Sie machen Leidenshierarchien auf"
Die erste Meinungsverschiedenheit zwischen Stegner und Neubauer gibt es gleich am Anfang der Sendung, als es um die Beendigung des Krieges in der Ukraine geht. Darüber müsse dringend geredet werden, fordert Stegner. Zwar könne Russland den Krieg nicht mehr gewinnen, aber die Ukraine auch nicht. Deswegen müsse man sich überlegen, ob der Westen unbegrenzt Waffen an die Ukraine liefern solle, oder ob man nicht bald zu diplomatischen Gesprächen zurückkehren müsse. Er fürchtet, die Gesellschaft werde Waffenlieferungen irgendwann nicht mehr akzeptieren. Und: "Mit weiteren Waffenlieferungen werden wir keine Ressourcen mehr haben für die eigentlichen Probleme wie die weltweite Hungersnot oder den Klimawandel."
"Die Menschen in der Ukraine würden heulen, wenn die Ihnen so zuhören", kontert Neubauer. Er spiele die Hungernden in Afrika gegen die Menschen in der Ukraine aus, wirft Neubauer Stegner vor. "Sie machen Leidenshierarchien auf." Neubauer fordert, Russland und dessen Krieg nicht mehr weiter zu finanzieren. "Wir verlängern den Krieg, indem wir beide Seiten ausstatten."
Im Laufe der Sendung berichtet Neubauer über die Studie eines amerikanischen Thinktanks, die zeige, wie man mit einer Menge kleiner Schritte schon in diesem Winter unabhängig von russischem Gas sein könne. Dazu gehöre der Bau sämtlicher bereits beschlossener Windräder bis Ende des Jahres - eine Maßnahme, die allerdings praktisch wegen des aktuellen Mangels an Fachkräften und Baumaterialien nur sehr schwer zu schaffen wäre. Aber vielleicht ist das auch gar nicht wirklich gewollt.
Auf die direkte Frage von Luisa Neubauer, ob er für ein "volles Energieembargo gegen Russland" sei, antwortet Stegner jedenfalls etwas weitschweifig: Die Sanktionen könnten uns mehr Schaden als Russland, es drohe das Zusammenbrechen der Industriegesellschaft mit anschließender Massenarbeitslosigkeit. Dann könne man das nicht mehr leisten, was Neubauer zurecht fordere, also den Kampf gegen den Klimawandel.
"Horrorszenario", so nennt die die Aussagen des Politikers. In einem Punkt lenkt Neubauer jedoch ein: Ein Totalembargo wäre sehr teuer. "Aber es gibt keinen Frieden umsonst, für niemanden", fügt sie hinzu.
"Fossile Energien gefährden Demokratien"
Einig sind sich Stegner und Neubauer in einem Punkt, den der SPD-Politiker so formuliert: "Die größte Energiequelle, die wir haben, ist Energie zu sparen." Neubauer holt etwas weiter aus: Die Menschen seien an das Sparen gewöhnt, von der Ernährung bis zur Urlaubsplanung. Nur beim Klima sei dies offenbar unmöglich. "Durch diesen Krieg stellen wir jetzt fest: Es hängt alles zusammen. Es gibt kein Recht auf Energieverschwendung." Man müsse sich von dem Glauben verabschieden, es müsse nur an irgendwelchen Hähnen gedreht werden, und dann käme dort etwas hinaus. Der Gedanke, man könne das Klima schützen, wenn man gerade dazu Lust habe, stimme nicht mehr. "Da ist eine Vision geplatzt, und das war höchste Zeit."
Nun seien wir in einer Phase angelangt, wo wir feststellen müssen: "Fossile Energien stärken Autokraten, sie sind antidemokratisch, sie gefährden die Demokratie. Da rauszukommen ist kein ökologisches Projekt, es ist ein pro-demokratisches Projekt." Der Umbau von fossilen auf erneuerbare Energien funktioniere kurzfristig jedoch nur, wenn wir auf etwas verzichten, sagt Neubauer. "Die Frage ist nur: Verzicht, wo wir ihn wollen, oder lassen wir es die Katastrophe diktieren?"
Stegner stimmt ihr zu: "Wir wissen, wir müssen unsere Gesellschaft umbauen hin zu mehr Klimaschutz, und das müssen wir deutlich schneller machen." "Aber dann machen Sie es doch bitte", fordert Neubauer.
Die Minister der Bundesregierung reisten gerade um die Welt und kauften fossile Energien zu, kritisiert sie. Wenn man einen klimagerechten Wandel schnell erreichen wolle, sei etwas ganz anderes nötig: Zum Beispiel eine Joboffensive für den Klimawandel oder ein Maßnahmenkatalog mit Einsparungsmöglichkeiten.
Neubauer: "Der Preisdruck ist da. Der Krieg ist da. Die Klimakrise ist da. Wir brauchen nicht noch mehr Argumente."
(Dieser Artikel wurde am Mittwoch, 29. Juni 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de