Li Keqiang Kümmerer mit Defiziten
15.11.2012, 12:22 UhrNach seiner Berufung in den Ständigen Ausschuss der Kommunistischen Partei gilt als sicher, dass Li Keqiang der neue Ministerpräsident Chinas wird. Li wirbt für wirtschaftliche Reformen. Experten sagen allerdings, dass es ihm an Charakterstärke und Charisma fehlen könnte.
Jetzt ist es nicht mehr weit bis an die Spitze: Chinas Vize-Regierungschef Li Keqiang ist seit Donnerstag Mitglied im mächtigen Ständigen Ausschuss des Politbüros in Peking - und es gilt als sicher, dass Li dann im März offiziell das politische Tagesgeschäft von Noch-Regierungschef Wen Jiabao übernimmt.
Wen hat sich in den vergangenen Jahren zu einer Art freundlichem Gesicht des Kommunismus stilisieren lassen, was ihm den Spitznamen "Opa Wen" bescherte: Er sprach sich für politische Reformen in der Volksrepublik aus und spendete den Opfern von Naturkatastrophen Trost. Und immer wieder verurteilte Wen die Korruption im Land - doch gerade erst berichtete die "New York Times", Wens Clan habe seit 1992 im Verborgenen 2,7 Milliarden Dollar (rund 2,1 Milliarden Euro) angehäuft.
Der 57-jährige Li, ein stets gerne lächelnder Bürokrat, hat eine ähnlich leutselige Ausstrahlung wie "Opa Wen". Mit seinen fließenden Englischkenntnissen und seinem Auftreten kommt Li aber jugendlicher und moderner daher als seine oft steif wirkenden Parteigenossen. Lis Werben für Wirtschaftsreformen stößt bei vielen Ökonomen auf ein positives Echo - China habe diese Neuerungen dringend nötig, argumentieren sie.
Li, der aus der armen ostchinesischen Provinz Anhui stammt, arbeitete sich in jungen Jahren in der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei nach oben. In Chinas Noch-Präsident Hu Jintao, der in den 1980er Jahren Chef der Organisation war, fand er einen einflussreichen Förderer. Mit seinem Jura-Abschluss von der renommierten Universität Peking und einem Doktortitel in Agrarwirtschaft pflegt Li heute das Image als jemand, der sich intensiv um die chinesische Mittelschicht bemüht.
Bevor er zum Vize-Regierungschef der Volksrepublik aufstieg, war Li Parteichef in Henan in Zentralchina und Liaoning im Nordosten des Landes - und beide Provinzen gediehen unter seiner Regierung. Schon jetzt werden jedoch Zweifel an Lis politischer Durchschlagskraft laut, erst recht nach einer nicht enden wollenden Serie von Skandalen im Gesundheitssektor: Li steht als Vize-Regierungschef einer Kommission vor, die genau diese Skandale verhindern soll.
In seiner Zeit als Parteichef von Henan sah sich Li scharfer Kritik für seinen Umgang mit einer Infektionswelle mit dem Aids-Virus ausgesetzt: Durch Schlamperei in einem von der Regierung unterstützten Blutspendeprogramm infizierten sich die Bewohner ganzer Ortschaften. Lis Provinzregierung reagierte auf Proteste mit harschem Vorgehen gegen Kritiker.
Hauptaufgabe des neuen Regierungschefs Li wird sein, das Wirtschaftswachstum Chinas wieder anzukurbeln. Da die Volksrepublik ausgesprochen exportorientiert wirtschaftet, flacht sich das Wachstum in der weltweiten Krise ab - denn die Nachfrage aus den USA und aus Europa lahmt. Beobachtern zufolge macht Li sich dafür stark, die Inlandsnachfrage in China anzukurbeln und das Land so aus der Exportabhängigkeit herauszumanövrieren.
Li habe "ein gutes Verständnis von Wirtschaft - soviel ist sicher", sagt Willy Lam, Experte für chinesische Politik an der Chinesischen Universität von Hongkong: "Es könnte ihm jedoch an Charakterstärke oder Charisma fehlen." Manch einer in Peking sei besorgt, dass Li aus dem gleichen Holz geschnitzt sei wie sein Vorgänger Wen und dass er seine politischen Ziele nicht gegen den Widerstand in Ministerien und Provinzen durchsetzen könne.
Was Lis Privatleben angeht, gibt es kaum offizielle Informationen - ein typisches Phänomen bei prominentem Personal der Kommunistischen Partei. Chinesischen Presseberichten zufolge ist Li mit Cheng Hong verheiratet, einer Literaturwissenschaftlerin an einer Pekinger Universität. Das Paar hat eine gemeinsame Tochter, die in den USA studieren soll.
Quelle: ntv.de, AFP